Der Friedhof als Ort der Ruhe und Erinnerung
16.01.2020
Body + Soul

Der Himmel ist hier

Gedanken zum Tod

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von Lioba Vienenkötter

Ich habe mich in den vergangenen zwei Jahren mehrfach von meinen Großeltern verabschiedet. Zum Teil im Abstand von einem Monat zweimal. Ich bin in meinen Auslandsaufenthalt geflogen mit dem Wissen, dass mein Großvater gestorben sein würde, wenn ich wiederkäme. Ich habe bei jedem Anruf meines Vaters und bei jedem zweiten meiner Mutter in den letzten Jahren die Angst gehabt, einer der beiden sei gestorben. Aber sie haben sich immer wieder aufgerappelt. Mehr oder weniger.
Letzte Vergangene Woche ist mein Großvater gestorben. Er ist 95 Jahre alt geworden und friedlich eingeschlafen, aber ich wurde trotzdem das erste Mal in meinem Leben mit dem Tod eines Verwandten konfrontiert.

Früher war ich häufig neidisch auf die Kinder, die mit ihren Großeltern zusammen wohnen konnten, im gleichen Haus oder zumindest in der gleichen Stadt. Ich habe meine Großeltern nicht häufig gesehen. Die Zeit, die wir zusammen verbracht haben, war umso wertvoller: Rehe füttern, Spaziergänge an den Salinen und Ausflüge ins Sauerland. Ich erinnere mich an Oma beim Märchenvorlesen und Kartoffelschälen und Opa im Gemüsegarten oder an seinem Goldfischteich. Ich schmecke Streuselkuchen und Graubrot mit Plockwurst und selbstgemachte Himbeermarmelade.

Vor vier Jahren ist mein Opa zu uns nach Dorsten ins Pflegeheim gekommen. Zwei Jahre später kam Oma hinterher. Auf einmal haben die beiden aktiver an unserem Alltag teilgenommen, waren bei Pfadfinderveranstaltungen, Geburtstagen oder Handballspielen, zum Grillen im Garten und zum Kaffeetrinken im Wohnzimmer. Einmal waren die beiden sogar in meiner WG in Münster und Opa hat das letzte Dosenbier vom Festival getrunken und sich über meine mickrigen Gemüsebeete lustig gemacht. Meine Großmutter sagt, sie sei froh, dass sie so alt geworden ist. Wenn man bedenkt, wie viele ihrer Freunde und Geschwister sie beerdigen musste, wie schlecht es ihr gesundheitlich zwischendurch ging, ist das schon eine bemerkenswerte Äußerung. Aber sie sagt, sie sei froh, noch so viel von uns, ihren Kindern und Enkelkindern habe lernen zu können.“Sie haben es sehr genossen. Für uns Angehörige war es schön, Es war schön, aber nicht immer einfach. Schwierig ist nun aber vor allem, dass solche Erlebnisse in Zukunft nicht mehr möglich sein werden.

Oft verspricht ein Sonnenstrahl am Himmel Hoffnung
Oft verspricht ein Sonnenstrahl am Himmel Hoffnung

Mein Großvater hatte ein Lieblingszitat: „Die Erinnerungen sind das einzige Paradies, das uns keiner nehmen kann“ von Jean Paul. Gerade in der Zeit im Pflegeheim hat es sich immer mehr zurückgezogen, hat sich in seinen Gedanken und Erinnerungen vergraben. Das Zitat beschreibt seine Lebensweise also sehr gut. Das Zitat passt aber auch jetzt nach dem Tod zu unserer Situation als Hinterbliebene: Mein Großvater ist tot, ist physisch nicht mehr anwesend. Was bleibt, sind die vielen Erinnerungen, die wir mit ihm machen durften.

Mein Opa hat zu meiner Mutter auf die Frage nach einem Leben nach dem Tod gesagt: "Der Himmel ist hier". Der Pastor, der das Auferstehungsamt leiten wird, schmunzelt über diesen Satz, er findet ihn sehr treffend. Er sagt, viele Menschen würden denken, der Himmel sei irgendwo zwischen den Sternen am Ende des Universums. Ich mag Opas Vorstellung davon, dass unsere Toten uns umgeben, uns im Leben begleiten und nach uns schauen. Das passt auch dazu, dass Gott immer bei uns ist.

Gerade wenn ein geliebter Mensch von uns gegangen ist, ist es wichtig, Trost zu finden. In der Uni haben wir darüber gesprochen, dass Gott der Trost der Menschen ist. Um Trost geht es auch in der Lesung, die wir für das Auferstehungsamt ausgesucht haben: 

»Brüder und Schwestern, wir wollen euch über die Verstorbenen nicht in Unkenntnis lassen, damit ihr nicht trauert wie die anderen, die keine Hoffnung haben. Wenn Jesus - und das ist unser Glaube - gestorben und auferstanden ist, dann wird Gott durch Jesus auch die Verstorbenen zusammen mit ihm zur Herrlichkeit führen. Dann werden wir immer Herrn sein. Tröstet also einander mit diesen Worten!«

1 Thess 4,13-14.17b-18

Meine Großeltern sind und waren beide gläubig, aber auf unterschiedliche Weise. Während meine Großmutter sich ständig mit Heiligenlegenden, den Lebensläufen wichtiger Glaubenspersonen der letzten 2000 Jahre, der KfD und der "Christ in der Gegenwart" (fast hätte ich ein Abo zum Abitur bekommen) beschäftigt hat, hat mein Großvater den schweizer Theologen Hans Küng studiert. Seine Ausgabe von „Der Anfang aller Dinge“ ist so zerlesen, dass sie auseinanderfällt. In diesem Werk findet sich eine treffende Passage zum Tod:

»Dies ist meine aufgeklärte, begründete Hoffnung: Sterben ist Abschied nach innen, ist Einkehr und Heimkehr nach in der Welt Urgrund und Ursprung, unsere wahre Heimat «

Das ist auch wieder ein Bild, das schön zum Glauben passt: der Tod als Heimkehr zu Gott, der Heimat. Diese Ein- und Heimkehr beschreibt den Zustand meines Großvaters perfekt: In den letzten Jahren ist mein Großvater immer stiller geworden. Er hat nicht mehr viel gesprochen, stattdessen hat er mit Lächeln kommuniziert. Die Schwestern im Pflegeheim meinten, er habe seinen Frieden gefunden, mit sich und der Welt.

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