Freundschaft auf Distanz
16.05.2019
Miteinander

Freundschaft auf Distanz

Wie können wir tiefe Freundschaften führen, wenn Hunderte Kilometer zwischen uns liegen?

test
Von Carolin Schnückel

Vorhin habe ich mit einer Freundin gefrühstückt. Sie hatte Tee und Porridge, ich Kaffee und Haferflocken mit frischen Erdbeeren. Sie hat mir von ihrer anstrengenden Kollegin erzählt, ich habe ihr mein Herz darüber ausgeschüttet, wie ich mir manchmal selbst im Weg stehe. Es tut gut, ihr gegenüberzusitzen. Naja, eher ihrer zweidimensionalen Skype-Version. Sie sitzt nämlich in Hannover in ihrer Wohnung und ich am Küchentisch zuhause.

Nachdem wir uns gegenseitig analysiert, aufgebaut und beschlossen haben, nicht immer alles zu analysieren, sind wir zur Arbeit übergegangen. Sie baut gerade ein Business als ganzheitlicher Gesundheitscoach auf und ich helfe ihr bei der Logoerstellung. Sie bastelt jetzt alleine rum und ich beginne diesen Text.

Schwester für die Not

»Der Freund erweist zu jeder Zeit Liebe, als Bruder für die Not ist er geboren.«

BUCH DER SPRICHWÖRTER 17,17

Alle meine Freundinnen aus der Schule sind nach dem Abi weggezogen. Ich erst auch, aber jetzt bin ich schon lange wieder zurück in der Heimat, in Ostwestfalen. Und damit bin ich bisher die Einzige. Natürlich sind in den Jahren auch neue Leute in mein Leben gekommen, aber irgendwie sind die ältesten Freundschaften immer noch die intensivsten. All die Erlebnisse, jahrelange Kameradschaft, manchmal Komplizenschaft, all die Geschichten, all die Inside Jokes – all das, was das Gefühl entstehen lässt, dass es keine Worte braucht, um eine tiefe Verbindung zu spüren. Eine Geborgenheit, ein Willkommensein mit all meinen Macken, ein stilles Versprechen fürs Leben. Klingt nach Liebe, oder?

Turnbeutel und PUR-Partymix

Für mich ist es das auch. Freundschaft ist eine ganz besondere Form der Liebe. So glücklich ich in meiner Partnerschaft bin – Manches kann mir trotzdem nur eine Freundin geben. Manchmal tut mir die räumliche Entfernung zu meinen engsten Freundinnen so weh, dass ich auch mal weinen muss. Manchmal will man ja nur eine Kleinigkeit teilen – man läuft einem alten Lehrer über den Weg, man isst den Eisbecher, den man sich früher in den Freistunden geteilt hat, man muss grinsen an der Bushaltestelle, wo die kleine Schwester immer ihren Turnbeutel vergessen hat.

Kleine Lebenszeichen zwischendurch

Oft krame ich dann sofort mein Handy aus der Tasche und schicke ein Foto oder einen kurzen Text, um der Freundin zu zeigen, dass ich gerade an sie denke. Meine wirklich allerälteste Freundin – wir sind seit 28 Jahren befreundet – bekommt von mir in jeder Schützenfestsaison sofort eine Sprachaufnahme, sobald die Band den PUR-Partymix spielt. Die klingt dann etwa so (gesungen/gegrölt):

»Du bist nicht haaaart im Nehmen, du bist so herrlich weich, dich nicht zu mögen ist nicht leicht… Hey meine Liebe! Ich hoffe, es geht dir gut! Mir schon, wie du hörst! Wann sehen wir uns… ey, pass doch mal auf mit deinem Bier! Ja, wartet, ich will auch Pommes! Ciao Süße, hab dich lieb!«


Ich mag es, solche kleinen Lebenszeichen zu schicken, um die Verbindung lebendig zu halten. Um sie zum Lachen zu bringen, obwohl oder gerade weil ich überhaupt nicht weiß, was in ihrem Leben eigentlich gerade los ist.

Aber dann gibt es Tage...

Viel zu schnell lasse ich diese kleinen Lebenszeichen aber auch wieder ausschleichen. Vor allem, wenn ich eine Phase habe, in der es mir nicht so gut geht, igele ich mich eher ein, statt mich meinen Freundinnen anzuvertrauen. Dann melde ich mich nicht mehr – oder bin unehrlich, wenn sie fragen, wie es mir geht. Sowas schreibt man irgendwie nicht bei WhatsApp. Man will der Anderen die eigenen Probleme nicht auf die Entfernung „auf den Teller legen“. Wer weiß, in welche Situation ich da gerade reinplatze. Sie hat bestimmt nicht die Zeit, sich damit auseinanderzusetzen. Ich will sie nicht überfordern oder überrollen. Also hört sie erst wieder von mir, wenn ich besser drauf bin.

Wir sehen uns so selten...

Mein Alltag, ihr Alltag

Wenn ich mal ehrlich bin: Es ist echt selten, dass ich wie heute Morgen stundenlang mit einer Freundin telefoniere oder skype. Meine Fernfreundschaften bestehen leider zu einem viel größeren Anteil aus Verabredungen zum Telefonieren, zu denen es wegen einer spontanen Abendeinladung, wegen Kopfschmerzen, wegen einem eiligen Arbeitsauftrag nicht kommt. Mein Alltag, ihr Alltag.

»Wohl dem, der einen Freund fand
und der zu Ohren sprechen darf, die hören.«

BUCH DER SPRICHWÖRTER 25,9

„Sorry Süße, wir müssen es nochmal verschieben.“ „Ja, ist ja kein Thema, wir hören uns bald mal ganz in Ruhe.“ Das Blöde daran: Je länger man nicht mehr „so richtig“ gesprochen hat, umso mehr kleine und große Themen ziehen vorüber, ohne dass man weiß, was die Andere gerade beschäftigt. Umso höher wird der Berg, den man beim Telefonat „abarbeiten“ muss – umso länger muss das Gespräch werden, um wieder auf Stand zu sein – umso größer wird das Zeitfenster, das wir uns bewusst schaufeln müssen.
Die kleinen Zeichen einer Freundschaft

It's the little things...

Dabei gehört es für mich auch als Basic zu einer Freundschaft dazu, dass man den Alltag miteinander teilt und weiß, was bei der Anderen gerade los ist. Denn meine Erfahrung ist: Um echte Verbindung zu spüren, ist meist gar nicht nötig, gemeinsam die großen Lebensthemen zu beackern. Es geht auch darum, in Gedanken bei ihrem Meeting dabei sein zu können. Das neue Sofa zu bewundern (zwar nur per Foto, aber immerhin). Zu wissen, was es heute bei ihr zum Abendessen gibt. Und dann zu erfahren, ob es lecker geworden ist. Es geht um Austausch über den kleinen, normalen Bullshit. Denn daraus baut sich wieder Neues auf. Eine Leseempfehlung, eine Nachfrage, ein anderer Blickwinkel.

So weit weg

Es gab eigentlich mit all meinen engen Freundinnen schon Phasen, in denen ich mich emotional von ihnen entfernt gefühlt habe. Der Grund war oft ein kleines Missverständnis, ein wunder Punkt, der getroffen wurde – und ich tauche ab. In meinem Kopf geht es aber weiter: Wie konnte sie das sagen? Sie muss doch wissen, dass mich das verletzt hat. Per Telefon ein heikles Thema anzusprechen, ist total blöd und schwierig. Also bleibt es bei oberflächlichem Kontakt bis zum nächsten Treffen – und höchstwahrscheinlich schlucke ich dann meine Verletzung runter, um das seltene Date nicht zu belasten; obwohl das Problem bestimmt ganz schnell hätte geklärt werden können.
So weit weg

Vom Meister lernen

Jesus hatte wohl eher weniger Probleme mit Freundschaften auf Distanz. Seine zwölf Besten waren immer um ihn herum. Eine große Clique mit intensiven Gesprächen, ausgiebigen Abendessen, bedingungsloser Unterstützung. Klar, wir wissen, wie seine Freundschaft zu Judas endete – in Verrat und Tod. Obwohl, sie endete ja eigentlich gar nicht.

»Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.«

JOHANNES 15,13

Der größte Freundschaftsbeweis ever. Die größte Geste, das größte „Ich verzeihe dir“. Zu groß für mein Gehirn – aber nicht für mein Herz. Wenn ich mir vorstelle, dass Jesus für die Freundschaft, für die Liebe gestorben ist, dann gibt mir das sofort ein ganz warmes Gefühl für meine Liebsten – egal, was für kleine Unstimmigkeiten es vielleicht gerade gibt. Und es lässt mich erahnen, was tiefe Freundschaften noch alles für mich bereithalten. Dass Jesus für seine Freunde und letztlich auch für mich gestorben ist –
das ist ein überirdisches Geheimnis, dem ich in meinen Freundschaften nur zu gern auf die Spur kommen möchte.

Wenn ich gleich den letzten Punkt dieses Textes getippt habe, werde ich mich bei einer Freundin melden, von der ich viel zu lange nichts gehört habe.

Mix