Bökenförde gehört zu den beliebtesten Wallfahrtsorten im Erzbistum Paderborn.
19.05.2020
Faszination

Ich sehe dich in tausend Bildern

Eine Anleitung zur Wallfahrt, oder: eine Spurensuche auf den Spuren des Glaubens.

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von Lioba Vienenkötter

Leicht ließe sich eine lange Liste von Dingen anfertigen, die man im Moment nicht tun darf. Zweierlei stünde aber nicht darauf: Radfahren und beten. Also habe ich mich am Sonntag auf mein Fahrrad geschwungen und habe eine kleine Wallfahrt unternommen. Passend zum Marienmonat Mai habe ich verschiedene Marienwallfahrtsorte im Kreis Soest besucht. Davon möchte ich euch im Folgenden berichten.

Meine Reise startet in der Bahn nach Lippstadt, mein Fahrrad habe ich neben mir angeschnallt. Auf dem Weg telefoniere ich mit meiner Mutter, sie ist fasziniert von meiner Idee und hat noch einige Tipps auf Lager. In Lippstadt angekommen setze ich mich auf mein Fahrrad und radele nach Bökenförde. Bökenförde gehört zu den beliebtesten Wallfahrtsorten im Erzbistum Paderborn, ich kenne den Ort aus Erzählungen meiner Großmütter, die regelmäßig mit ihren kfd-Gruppen dorthin gepilgert sind.

Das Brünneken liegt malerisch am Wegesrand.

Wie eine Legende berichtet, erschien einem Hirten die Mutter Gottes über dem Wasser eines Brunnens nahe Bökenförde, so kam das Dorf zu einem mittelalterlichen Gnadenbild der „Mutter der göttlichen Gnade“. Von späteren Pilgern sind weitere Wunder überliefert, ein Mädchen zum Beispiel soll ihre Sehkraft im Gebet zum Gnadenbild wiedererlangt haben, wie ein altes Wallfahrtsbuch berichtet: „durch die Vorbitt der Mutter Gottes in ihrem Gebett von dem allmächtigen Gott erhöret, mithin seien miraculoser Weise Kranke gesund, die Lahmen gehend und die Blinden sehend geworden.“

An diesen Geschichten lässt sich natürlich zweifeln, aber die Marienverehrung in Bökenförde gilt sowohl für das mittelalterliche Bildnis, als auch für das Brünneken, das mit einer dazugehörigen Kapelle außerhalb des Dorfes zwischen den Feldern liegt. Die Prozessionswege von Lippstadt und Erwitte zum Brünneken sind bereits in Karten von 1580 verzeichnet. Diese Kontinuität der Marienverehrung fasziniert mich.

Das Brünneken liegt malerisch am Wegesrand. Daneben steht eine winzige weiße Kapelle. Drinnen ist es kühl, vor einer Marienstatue stehen dutzende Kerzen. Ich zünde eine Kerze an und knie mich hin. Dieser Ort ist der Inbegriff von Andacht.

In der Kappelle ist es kühl, vor einer Marienstatue stehen dutzende Kerzen.
Menschen kommen, um Kerzen zu entzünden und zu beten.

Das Marienbild aus dem 12. Jahrhundert kann man in der St. Dionysius Kirche im Dorfkern besuchen. Die Kirche ist frisch renoviert und ungewöhnlich groß für einen Ort mit 1500 Einwohnern. Die jahrhundertelangen Wallfahrten haben ihre Spuren hinterlassen. Die Maria steht in einer Nische, links des Hochaltars, das gesamte Seitenschiff ist ihr gewidmet. Um 13 Uhr mittags ist die Kirche leer, ich habe die Maria ganz für mich. Im Hintergrund werden Marienlieder abgespielt, die Stimmung ist friedlich und einladend. Die Wand hinter der Statue ist bemalt mit kleinen blauen Menschen, kleine Seelen, die zu Maria schauen. In der Kirche liegen Gebete und Gedichte aus, eines von Novalis gefällt mir besonders gut:


In dieser Kirche vor dem Marienbild verstummt das Getümmel der Welt.

Ich sehe dich in tausend Bildern


Ich sehe dich in tausend Bildern,
Maria, lieblich ausgedrückt,
Doch keins von allen kann dich schildern,
Wie meine Seele dich erblickt.

Ich weiß nur, daß der Welt Getümmel
Seitdem mir wie ein Traum verweht,
Und ein unnennbar süßer Himmel
Mir ewig im Gemüte steht.


Novalis hat recht: In dieser Kirche vor dem Marienbild verstummt das Getümmel der Welt. Man kann ganz ruhig werden.

Auf meinem Weg komme ich an einem Heiligenhäuschen vorbei, das auf der Kreuzung steht. Ein Ort um zur Ruhe zu kommen, direkt am Wegesrand, wo jeden Tag viele Menschen vorbeikommen. In ihm hängt ein Bild von Maria mit dem Jesuskind auf dem Arm, davor Blumen und eine Kerze. Ich mag diese kleinen Heiligenhäuschen, die Kerzen und Blumen, die ganz verschiedene Menschen aufstellen. Man findet die Spuren anderer, die zum Beten hergekommen sind. Jede Blume und Kerze ist wie ein kleiner Gruß – du bist nicht allein. Der Besuch eines solchen Heiligenhäuschens ist wie ein gemeinsames Gebet, ohne sich zu kennen oder zu treffen.

Ein für mich ganz besonderes Heiligenhäuschen steht in Bad Westernkotten am Friedhof unter der Friedhofslinde.
Auf meinem Weg komme ich an einem Heiligenhäuschen vorbei, das auf der Kreuzung steht.

Ein für mich ganz besonderes Heiligenhäuschen steht in Bad Westernkotten am Friedhof unter der Friedhofslinde. Dort steht es schon seit 1684, seit dem 30-jährigen Krieg also, aber dazu später mehr. Das Häuschen ist von außen recht unscheinbar, es hat eine kleine Gittertür, dahinter verbirgt sich eine Mariendarstellung, abermals mit Jesuskind. Für mich hat dieses Heiligenhäuschen eine besondere Bedeutung, weil meine Großmutter, die nicht weit entfernt gewohnt hat, es viele Jahrzehnte lang alle paar Tage besucht hat, um es zu säubern, Blumen oder Kerzen zu bringen. Dieses Häuschen ist in meiner Erinnerung untrennbar mit meiner Großmutter verknüpft. Und ich finde, dass diese persönliche Geschichte zeigt, welch enge Bindung Menschen zu Orten wie einem Heiligenhäuschen aufbauen können, wie sie Gott in ihren Alltag einbauen, auf ihre ganz eigene Art und Weise.

Bad Westernkotten hat aber auch im Ganzen eine besondere Verbindung zu Maria. Die Marienverehrung hat ihren Ursprung im 30-jährigen Krieg. Damals waren durch die Pest so viele Menschen gestorben, dass im ganzen Dorf nur noch wenige Westernkötter übrig waren. Diese Überlebenden beteten zur Gottesmutter und versprachen, einen Lobetag als Dank für die Rettung auszurichten „solange noch einer von uns übrig ist“. Also feiert das ganze Dorf bis zum heutigen Tag ein großes Fest zu Ehren Marias, und zwar am ersten Sonntag nach Mariä Heimsuchung, am 02. Juli. An diesem Tag wird das Dorf um vier Uhr morgens mit Böllerschüssen vom Schützenplatz geweckt. An den Andachtsstationen werden noch im Dunkeln die kleinen gelb-weißen Fähnchen aufgestellt. Und riesige Blumenteppiche ausgelegt: an der Josefslinde, an der Friedhofslinde, an der Antoniuslinde, am Schützenplatz. Der Lobetag beginnt mit einem kurzen Gottesdienst, dann stellen sich alle zur Prozession auf. Mit der Lobetagsmadonna zieht eine lange, festliche Prozession einmal rund ums Dorf.


Maria, wir dich grüßen, o Maria, hilf!
Wir fallen dir zu Füßen, o Maria hilf!
O Maria, hilf uns all hier in diesem Erdental!


Gerne hätte ich die Lobetagsmadonna in der Westernkötter Kirche besucht, aber die befindet sich gerade im Umbau (den Lobetagsaltar seht ihr trotzdem oben rechts auf dem Foto, genauso wie das Lobetagsfenster rechts, das die Prozession abbildet).

Stattdessen war ich im alten Kirchturm, in dem eine Pietà aus dem 18 Jahrhundert steht. Als Pietà bezeichnet man die Darstellung der trauernden Maria, die den Leichnam Christi im Schoß hält. Die Stimmung in diesem recht engen Turm erinnert mich an die der Wallfahrtskappelle am Brünneken. Auch hier stehen Kerzen und Blumen. Man kann leicht zur Ruhe kommen und beten.

Der Lobetagsaltar in Bad Westernkotten
Das Lobetagsfenster zeigt ein Bild der Prozession.
Im alten Kirchturm der Westernkötter Kirche steht eine Pietà aus dem 18 Jahrhundert.

Nach einer kurzen Pause schwinge ich mich wieder auf mein Fahrrad und mache mich über Erwitte auf den Rückweg nach Lippstadt. Ich habe noch eine letzte Station geplant, bevor ich mit dem Zug zurück nach Münster fahre.

Nach ein paar Kilometern quer durch die Felder, in dieser Jahreszeit sehen die Gerstenfelder immer aus wie flauschige Felle, die sich über die Erde legen, erreiche ich mein Ziel: Die Stiftsruine in Lippstadt. Die Ruine, die auch als Kleine Marienkirche bekannt ist, ist der Überrest einer 1222 geweihten Stiftskirche. Sie gehörte zum 1185 gegründeten Augustinerinnenstift. Als im 18. Jahrhundert dem Damenstift das Geld fehlte, wurde die Kirche verlassen und verfiel allmählich. Im Jahre 1855 veranlasste Friedrich Wilhelm IV, dass die Ruine in ihrem verfallenen Zustand erhalten bleiben sollte. Und genauso steht sie auch heute noch in einem kleinen Park mitten in der Lippstädter Innenstadt.

Besonders schön ist, dass man durch die Fensterbögen direkt in den Himmel schauen kann.

Ich mag diese Oase der Ruhe. Die verfallene Kirche erinnert an die Endlichkeit des Irdischen und steht trotzdem weitestgehend stabil (auch wenn die Warnhinweise an den Mauern anderes behaupten). Besonders schön ist, dass man durch die Fensterbögen direkt in den Himmel schauen kann. Es gibt diverse Gedichte und Gemälde aus der Romantik, die genau diese Grenzüberschreitung zwischen Himmel und Erde einzufangen versucht haben. Hier wird die Verbindung spürbar.

Mein Zug geht in zehn Minuten. Das reist mich aus der Stille. Ich eile zum Bahnhof. Auf der Rückfahrt habe ich Zeit um den Tag Revue passieren zu lassen. Ich habe diesen Ausflug sehr genossen. Obwohl ich nur wenige Stunden unterwegs war, fühle ich mir erholt, ich konnte Kraft schöpfen, die ich nun mit nach Hause nehmen kann. Was ich besonders inspirierend fand, ist die Tatsache, dass Menschen seit Hunderten von Jahren zu bestimmten Stätten oder Bildern pilgern, um zu beten, Kraft und Trost zu finden. Dass die Marienverehrung ganze Dörfer und Regionen seit Generationen prägt und bewegt. Dieser Tag war eine Spurensuche auf den Spuren des Glaubens.

Mach auch du dich auf den Weg – auf den Weg zu neuen und bekannten Zielen. Egal, ob mit dem Zug, dem Rad oder zu Fuß. Für diejenigen von euch, die nach einer Weg-Inspiration suchen, hat das Erzbistum Paderborn eine Webseite erstellt, auf der Wallfahrten im ganzen Bistum gesammelt werden.

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