YOUPAX-Autorin Miriam teilt ihre Gedanken zur Geschwisterliebe.
Habt ihr Geschwister? Ich habe einen jüngeren Bruder und ein sehr gutes Verhältnis zu ihm. Ich gebe zu, ich habe noch nie „Bruderherz“ zu ihm gesagt – aber dafür ein Büchlein mit dem Titel „Der beste Bruder der Welt“ geschenkt. Okay, das klingt genauso kitschig, kommt aber von Herzen.
Mein Bruder malt mir auch Herzchen auf Geburtstagskarten und schickt mir Küsschen-Emojis. Ja, das nennt man wohl wahre Geschwisterliebe – und ja: I love it! Deswegen schicke ich sehr gerne Herzchen zurück und die meine ich so. Da ist es wieder. Das Wort »Herz«. Bruder oder Schwester zu sein hat viel mit dem Herzen zu tun: Man liegt aneinander am Herzen oder es geht mir zu Herzen, wenn meinen Bruder etwas bedrückt und er unglücklich ist. Da existiert eine ganz besondere Verbindung, die wie so eine unsichtbare Schnur, einander spüren lässt (egal wie weit die räumliche Entfernung ist). Vielleicht kennt ihr diese Art der Seelenverwandtschaft ja auch?
Mir ist klar, dass nicht alle Beziehungen zu Geschwistern toll sind. Nicht alle haben Freude daran, von Kind auf Spielzeug, Süßigkeiten und zu meiner Zeit sogar noch das gleiche Zimmer – in dem übrigens auch nur ein PC stand – zu teilen. Es läuft auch nicht immer alles glatt. Natürlich gibt es ab und zu mal Zoff. Das war in der Geschichte der Menschheit schon immer so.
Ich denke da, geprägt wie ich von der Theologie bin, zunächst an die Geschwistergestalten in der Bibel. Bereits das erste Brüderduo Kain und Abel, das im Alten Testament direkt nach der Schöpfungsgeschichte vorgestellt wird. Die Erzählung greift in einer Brutalität auf, wie stark sich Gefühle von Neid und Missgunst zwischen zwei Menschen drängen können, sodass es bis zur Ermordung kommt. Auch heute noch gibt es so etwas wie Ehrenmorde in Familien. Ein häufiges Tatmotiv ist Eifersucht.
Dazu passt die Geschichte von Mose, Mirjam und Aaron ganz gut. Das zweite Buch der Bibel, Exodus, zeichnet nach, wie Mirjam und Aaron die Autorität ihres Bruders anzweifeln. Mose, der große Prophet, der über mehrere Episoden allein mit Gott spricht, übernimmt die Führung der Israeliten und wirft damit einen Schatten auf seine Geschwister, deren Prophetentum dadurch minderwertig erscheint. Von Geschwisterliebe, wie sie einst vorhanden war, möglicherweise als die kleine Mirjam ihrem Bruder bis zur Rettung aus dem Binsenkörbchen auf dem Nil folgte, ist keine Spur mehr.
Trotz dieser Unheilssituationen und Streitigkeiten gibt es vorbildliche Lebensführungen von Geschwistern, wie das im Neuen Testament bezeugt. Das Evangelium nach Johannes erzählt die Story von Maria, Marta und Lazarus. Lazarus, der zuerst krank ist und dann stirbt, wird von Jesus wieder auferweckt. Dreimal betont der Evangelist, dass Jesus die Geschwister liebte. Zu Beginn der Wundergeschichte folgen zwei Aussagen dicht aufeinander: „Herr, sieh: Der, den du liebst, er ist krank“ (Joh 11,3) und „Jesus liebte aber Marta, ihre Schwester und Lazarus“ (Joh 11, 5). Dann, als Jesus sieht wie sehr Maria und andere Juden um ihren Bruder trauern, weint auch Jesus. Der Evangelist hält den Moment fest und lässt die Juden, die als Trauergemeinde gefolgt sind, sprechen: „Seht, wie lieb er ihn hatte!“(Joh 11,36). Das Motiv der Liebe hängt stark mit dem Mitleid und der Trauer, ja der Erschütterung Jesu über Lazarus´ Tod zusammen. In Freundschaften werden alle Emotionen miteinander geteilt. Jesus liebt seine Freunde so sehr, dass er Lazarus vor den Augen aller Anwesenden auferweckt. Seine Machttat soll nicht nur Beweis dafür sein, dass er tatsächlich der Sohn Gottes ist, sondern auch Zeichen seiner Zuneigung. Durch sein Weinen wird das deutlich. Jesus hat, so scheint mir, in Maria, Marta und Lazarus wirklich Schwestern und einen Bruder gesehen.