Mit dem Blick auf den Kirchturm der Erwitter Laurentius Kirche bestreiten wir den Weg.
14.05.2021
Faszination

Auf Spurensuche II

Gegen den Wind zur Himmelsleiter – auf dem Jakobsweg von Geseke nach Erwitte

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Von Lioba Vienenkötter

Meine beste Freundin und ich waren Rad fahren. Das haben wir schon oft gemacht – manchmal mit Hängematte und immer mit Doppelkeksen. Dieses Mal waren wir auf dem Jakobsweg zwischen Geseke und Erwitte unterwegs. Ich sollte also besser „pilgern“ statt „Rad fahren“ schreiben.

Wir starten dort, wo wir vor ein paar Wochen stehen geblieben sind: In Geseke an der St. Cyriakus Kirche. Dieses Mal haben wir jedoch die Fahrräder dabei. Mit diesen machen wir uns auf den Weg: Unser erster Stopp ist das Hospital zum Heiligen Geist, wo wir uns den Pilgerstempel abholen können. Von dort aus verlassen wir den Jakobsweg für einen kleinen Abstecher: Denn wir möchten uns den Steinbruch vor den Toren Gesekes anschauen. Dieser wurde jahrzehntelang für den Kalksteinabbau genutzt. Heute wurde das Gelände zu einem Park umfunktioniert, in dem am Wochenende viele Menschen und Familien spazieren gehen. Zu Recht, finden wir, denn die Aussicht auf den leeren Steinbruch, die hohen Steinwände und die innenliegenden Seen lohnt sich!


Blick auf den Naturpark "Mythos Stein"

Wenn man unten vor den Wänden steht, sieht man die verschiedenen Steinschichten, die in unterschiedlichen Grautönen schillern. Hier ist man ganz klein im Angesicht der Steinmassen. Ich fühle mich hier im Spannungsfeld zwischen der Schönheit der Schöpfung und dem Ausmaß der menschlichen Nutzung.

Wir reißen uns los von dieser beeindruckenden Aussicht und schwingen uns auf die Fahrräder. Schnell geht es den Hügel hinunter, den wir eben noch so mühsam hochgestrampelt sind. Mit ein paar Umwegen (wir haben uns ein- oder zweimal verfahren) geht es auf den Jakobsweg. Nach wenigen Minuten Fahrt erreichen wir die Siechenlinde: Hier stand im Spätmittelalter eine Kapelle, die dem Hl. Jakobus geweiht war und direkt daneben das Leprosenhaus. Dort wurden die ansteckenden Kranken, die beispielsweise Lepra hatten, hingebracht. Nach dem Abriss um 1700 stand an gleicher Stelle der Galgen der Gemeinde. Ein Ort mit abwechslungsreicher und betrüblicher Geschichte.

Der Weg führt uns weiter in kleine Ortschaften – an der St. Pankratius Kirche in Störmede haben sich viele Krähen versammelt, die um den grauen Kirchturm fliegen. Ein beinahe gruseliges Bild, das stimmungsmäßig zum windigen und dunklen Wetter passt, das uns den ganzen Tag begleiten wird. Durch Langeneicke fahren wir weiter nach Bökenförde – die gelben Rapsfelder am Straßenrand leuchten dem Himmel entgegen, auf den Feldern grasen Kühe, Kälber trinken bei ihren Müttern. Bökenförde hat für die Region Lippstadt eine besondere Bedeutung als Marienwallfahrtsstätte. Ich habe den Ort im vergangenen Mai besucht, hier findet ihr meinen Bericht dazu.

Statt das Brünneken oder die Kirche zu besuchen, lassen wir uns an der Giseler nieder. An der ehemaligen Waschstelle des Dorfes, an der bis in die 50er Jahre die Wäsche im Fluss gewaschen wurde, wurde ein Rastplatz mit Bänken errichtet. Wir packen unser Picknick aus und machen Mittagspause. Es gibt Käsebrötchen, Bananen und die berühmten Doppelkekse.

Ein kleiner Traum

Wenn jeder Mensch auf der Welt,
sich nur einmal am Tag für einen kurzen Moment
an dem Wunder einer Blume erfreute,
den Duft einer Rose atmete
dem Rauschen des Windes lauschte,
oder den Wind auf seiner Haut nachspürte,
dann bekäme die Menschheit eine leise Ahnung
von dem großen Geschenk,
das Gott uns in seiner Natur gemacht hat.
Das Staunen über die wunderbare Schöpfung
würde uns Menschen so sehr erfüllen,
dass Kriege und Streit überflüssig würden.
Ein großer Traum,
vielleicht zu groß für einen Einzelnen,
aber je mehr Menschen diesen Traum mit mir träumen,
um so mehr wird er zur Wirklichkeit.

                                                       - Bernadette Muckelbauer

Die Siechenlinde ist ein Ort mit abwechslungsreicher und betrüblicher Geschichte.
An der St. Pankratius Kirche in Störmede haben sich viele Krähen versammelt, die um den grauen Kirchturm fliegen.
Die ehemalige Waschstelle des Dorfes Bökenförde an der Giseler ist heute ein Rastplatz.

Gestärkt geht es weiter durch das Moor Muckenbruch nach Bad Westernkotten. Im heutigen Naturschutzgebiet wurde früher Torf zum Heizen gestochen, ein wichtiger Wirtschaftszweig in Bad Westernkotten. Ein zweiter war lange Zeit die Salzgewinnung aus den örtlichen Solequellen, die den Germanen in der Frühzeit im Übrigen als Heiligtum dienten. Heutzutage ist vor allem der Kurbetrieb bedeutsam für Bad Westernkotten. Davon kündet auch der große Kurpark, den wir nun besuchen.

Am Rande des Moores Muckenbruch grasen Schafe.
Der Erwitter Kirchturm ragt dem grauen Himmel entgegen.
Der heilige Jakobus in der Erwitter Kirche.

Von Bad Westernkotten aus machen wir uns auf den Weg nach Erwitte: Entlang von blühenden Obstbäumen radeln wir direkt auf den Kirchturm zu. Am Schloss paddeln erste Entenküken durch das grüne Wasser. Die Laurentius Kirche in Erwitte steht, umringt von Fachwerkhäusern, mitten im Ortskern. Alles ist ein bisschen malerisch – zumindest, wenn man Sturmgemälde mag. Wir retten uns in die Kirche, an deren Stelle seit der Missionsphase ein Gotteshaus steht und treffen auf einen alten Bekannten, den heiligen Jakobus, dessen Statue im Mittelschiff wartet.

Auch sonst ist die Kirche reich geschmückt: Gerade die Jakobsleiter , die den Säulenbogen rund um den Altarraum schmückt, ist sehr beeindruckend. Die Engel, die auf den Sprossen der Leiter stehen, sind fast lebensgroß und schauen in ihrer archaischen Ausgestaltung auf die Gläubigen hinunter.

Er kam an einen bestimmten Ort, wo er übernachtete, denn die Sonne war untergegangen. Er nahm einen von den Steinen dieses Ortes, legte ihn unter seinen Kopf und schlief dort ein. Da hatte er einen Traum: Er sah eine Treppe, die auf der Erde stand und bis zum Himmel reichte. Auf ihr stiegen Engel Gottes auf und nieder. Und siehe, der Herr stand oben und sprach: Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham und der Gott Isaaks. [...]  Ich bin mit dir, ich behüte dich, wohin du auch gehst, und bringe dich zurück in dieses Land. Denn ich verlasse dich nicht, bis ich vollbringe, was ich dir versprochen habe. Jakob erwachte aus seinem Schlaf und sagte: Wirklich, der Herr ist an diesem Ort und ich wusste es nicht. (Gen 28, 11-16)

Unter dem Blick der Engel setzen wir uns in die Bänke. Der Wind, der uns auf dem Fahrrad den ganzen Weg über entgegenblies, hat uns müde gemacht. Bevor wir nach Lippstadt zum Bahnhof fahren, nutzen wir die Zeit, um zur Ruhe zu kommen. Die Geschichte der Himmelsleiter in Jakobs Traum ist hier besonders inspirierend und passend. Welch schöne Bilder darin aufgemacht werden: die Engel, die die Leiter auf und absteigen und Jakob, der erwacht und erkennt, dass Gott hier bei ihm ist. Wir haben heute vielleicht nicht Gott selbst getroffen, sicherlich aber die Wunder der Schöpfung bestaunen dürfen: von Steinbrüchen, über strahlend gelbe Rapsfelder hin zu Flüssen, Mooren, Küken und Kälbern. Und dafür können wir dankbar sein, auch wenn der Wind wirklich nicht nötig gewesen wäre.

Wer keine Gelegenheit hat, die Erwitter Laurentius Kirche persönlich zu besuchen, kann sich den Kirchenraum hier in einem virtuellen Rundgang anschauen.

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