Wie zwei ukrainische Priester in ihrer Heimat den Krieg erleben und helfen
Was keiner für möglich gehalten hatte, ist seit dem 24. Februar bittere Realität: In Europa herrscht Krieg. Etwa 1500 km von uns entfernt sitzen Menschen mit Todesangst in Bunkern. Verlieren ihr Leben, weil sie erschossen werden. Sind Millionen auf der Flucht und haben kein Zuhause mehr.
Für die meisten Menschen in Westeuropa ist es unvorstellbar, was die Menschen in der Ukraine gerade erleben. Um dennoch einen kleinen Einblick liefern zu können, haben wir Kontakt in die Ukraine gesucht. Und gefunden.
Über das europäische Friedens- und Glaubensnetzwerk go4peace haben wir von den Priestern Iwan Sokhan und Dr. Mykhaylo Melnyk erfahren. Sie arbeiten für die Ukrainische Sozialakademie in Kiew. Nachdem Russland die Ukraine überfallen hat, sind sie weiter nach Westen in die Stadt Lemberg geflohen. Wie erleben die beiden Priester diese Situation? Und wie versuchen sie zu helfen?
Die Ukrainische Sozialakademie der griechisch-katholischen Kirche ist Wegweiser für soziale Unternehmen und soziale Innovationen in der Ukraine. Sie setzt sich für die Anwendung christlicher Werte in der Wirtschaft ein. Außerdem lassen sich dort junge Menschen ausbilden, die sich den Werten der Menschenwürde, Freiheit und Solidarität verpflichtet fühlen. Aufgrund des Kriegs hat die Sozialakademie ihren Aktionsort aus Kiew in den Westen der Ukraine verlegt. Gemeinsam mit Partnern organisiert sie dort Soforthilfe für traumatisierte Kinder und Mütter, die auf der Flucht sind.
Eins vorweg: Die Situation in der Ukraine ändert sich schnell. Fast täglich. Als wir am 9. März mit Sokhan sprechen, sagt er: „Im Augenblick würde ich sagen, dass die Lage relativ stabil ist. Aber stabil schlecht“.
Wenn er über die aktuellen Herausforderungen spricht, redet er nicht über militärische Neuigkeiten oder die Friedensverhandlungen. Sondern über die Menschen, die ständig in Gefahr sind. Die nicht wissen, was sie morgen zu Essen und zu Trinken haben. Die keine Medikamente und Verbandszeug haben. Für die Menschen in der Ukraine wird der Krieg immer mehr zum Alltag, erzählt Mitbruder Melnyk. Er sagt: „Wir begrüßen uns hier nicht mehr mit Guten Tag oder Guten Abend. Es ist ganz klar, dass das hier gerade alles nicht gut ist. Inzwischen wissen die Menschen: Es ist Krieg und es wir auch morgen noch Krieg sein. Und wir alle versuchen weiterzumachen. Jeder Tag bringt etwas Neues. Natürlich auch schreckliche Geschichten. Aber wir versuchen, aus jeder Situation das Beste zu machen. Füreinander da zu sein“.
Die Männer schätzen die Hilfsbereitschaft anderer europäischer Ländern. Sie erzählen von Hilfstransporten und der Herausforderung, diese zu koordinieren. Inzwischen habe jede Stadt ein zentrales Versorgungszentrum. Hier werden Anfragen gesammelt, wer was wo braucht. Und auch, wer was anbieten kann. Aus dem Westen der Ukraine heraus kümmern sich Verwaltungsmitarbeiter darum, dass die Menschen im Osten des Landes versorgt werden. Sie sammeln Spenden und organisieren gezielt Hilfstransporte. Ob die Transporte bei den Bedürftigen ankommen, sei jedoch nie sicher: „Ein großes Problem ist aktuell, dass die Russen die humanitäre Hilfe oft nicht durchlassen. Die Transporter werden beschossen.“
»Im Augenblick würde ich sagen, dass die Lage relativ stabil ist. Aber stabil schlecht.«
Pfarrer Iwan Sokhan
3 Millionen Menschen sind schon aus der Ukraine geflohen. Fast die Hälfte sind Kinder. Stand 15. März. Die Flucht ist oft beschwerlich. Das Ziel ungewiss. „Die Leute fliehen immer zuerst in den westlichen Teil des Landes. Deswegen hat sich in manchen Städten die Einwohnerzahl in der letzten Woche verdoppelt“, erklärt Melnyk. Die Menschen können kaum private Dinge mitnehmen. Es fehlt an Geld und Nahrung. Oft gibt es keine Möglichkeit, sich auch nur einen Augenblick auszuruhen. „Die Menschen, die hier ankommen, haben oft schon einen langen und schwierigen Weg hinter sich. Sind entkräftet und hungrig. Deswegen haben wir uns entschieden, warme Mahlzeiten zu verteilen.“
Neben der materiellen Unterstützung haben die Helfer der Sozialakademie noch ein anderes Anliegen: „Wir geben den Menschen nicht nur seit Langem wieder eine warme Mahlzeit. Wir sind auch für sie da. Wir wollen, dass sie sich geliebt fühlen. Dass sie sich wirklich als Menschen geschätzt fühlen.“
Die Menschen gehen nicht nur zum Beten in die Kirche, sondern kommen mit konkreten Fragen und Bitten. Weil sie eine Unterkunft suchen oder etwas zu Essen brauchen. Die Türen der Pfarrgemeinden sind immer offen. Aber auf diese Situation waren die Gemeinden nicht vorbereitet. Melnyk erklärt: „Wir hatten keine Küche oder Möglichkeiten, um Essen zuzubereiten. Deshalb sieht unsere Idee nun so aus: Jede Pfarrgemeinde wird eine Suppenküche und einen Speisesaal bekommen, um mehr Leuten eine warme Mahlzeit ermöglichen zu können. Dafür sammeln wir gerade Spenden.“
Die beiden Priester kennen auch das Gefühl der Angst: „Ich denke, das ist ganz menschlich. Jeder von uns hat Angst. Wir hören die Bomben. Hören die Sirenen zur Evakuation wegen Luftangriffen. Wir schlafen in Bunkern. Natürlich haben wir alle Angst. Aber es ist unser Dienst als Priester, für die Leute hier da zu sein. Egal welche Konfession. Egal welche Religion. Einfach da sein, weil die Leute diese Unterstützung gerade so dringend brauchen. Oft geht es darum, einfach zuzuhören. Wir wollen da sein und helfen, wo es die Menschen gerade brauchen.“
Wie schaffen die Helfer es, trotz allem weiterzumachen? Melnyk erklärt: „Die Kraft dazu kommt an erster Stelle von oben. Aber wir bekommen auch von anderen Menschen Kraft. Ein dankbares Lächeln. Ein gutes Gespräch. Wenn ich gebe, bekomme ich oft ganz viel zurück“.
»In allen Ländern wird für uns und für den Frieden gebetet. Diese Verbundenheit zu spüren, das gibt Kraft und Mut weiterzumachen.«
Pfarrer Dr. Mykhaylo Melnyk
Eine besondere Kraftquelle ist für Melnyk das Gebet. Sein persönliches Gebet, aber auch die Gebetsgemeinschaft, von der er sich getragen weiß: „So viele Menschen beten gerade für den Frieden. Und da spüre ich im Gebet einfach diese Einheit und diese Gemeinschaft“.
Der Priester ist berührt davon, wie die Länder Europas zusammenstehen. „Wir sehen die Bilder von den vollen Plätzen, wo Menschen in anderen Ländern für den Frieden auf die Straße gehen. Menschen zeigen mit blau-gelben Fahnen, dass sie sich mit uns verbunden fühlen. In allen Ländern wird für uns und für den Frieden gebetet. Diese Verbundenheit zu spüren, das gibt Kraft und Mut weiterzumachen.“
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