SAINTS4LIFE: Therese von Lisieux
Von Isabella Henkenjohann
Ich klopfe an die Tür, drücke vorsichtig die Tür auf. Durch den Spalt sehe ich schon, dass meine Freundin nicht in ihrem Bett liegt. „Sie ist ja gar nicht da!“, sage ich und will wieder kehrt machen. „Sie können ruhig auf sie warten, sie müsste jeden Moment wiederkommen“, ruft mir eine Krankenschwester zu, die auf dem Gang an mir vorbei rauscht. Ich überlege einen Moment, setze mich auf das Bett meiner Freundin und mache es mir gemütlich.
Langsam dreht sich ihre Zimmernachbarin in ihrem Krankenbett um. Ich zucke zusammen, als sich unsere Blicke treffen. Eingefallene Wangenknochen, fahle Haut und kurzes Haar. Aber ohne Zweifel sind es die Augen einer Zwanzigjährigen, die mich anstrahlen. „Kein schöner Anblick, was?“, sagt die junge Frau und grinst schief. „Ja“, gebe ich mehr als ehrlich zurück. Plötzlich müssen wir beide lachen. Als wir uns beruhigt haben, schweift mein Blick über ihren Nachttisch. Mir fällt ein Foto ins Auge: Ordensschwestern … Die Frau zieht ihre Hand unter der Decke hervor und greift zum Bilderrahmen. „Das sind meine Schwestern. Ich bin eigentlich Karmeliterin. Leider kann ich nicht mehr mit ihnen zusammen in der Gemeinschaft leben, weil ich zu krank bin“, sie schaut das Bild noch einen Moment an und stellt es zurück an seinen Platz - daneben liegen ein Rosenkranz und ein dickes Notizbuch. „Würden Sie mir einen Gefallen tun? Meine Schwester kommt erst morgen wieder, dabei muss ich unbedingt noch ein paar Gedanken aufschreiben. Ich kann das leider nicht mehr, meine Hände sind zu zittrig. Würden Sie mir das in mein Notizbuch schreiben? Mir kam eben ein Gedanke.“
Ich stehe auf, nehme das abgegriffene Buch in die Hände und schlage es auf. Dort, wo die letzte Schreiberin aufgehört hat, liegt ein Füller. Ich kann gar nicht anders, als den letzten Satz zu lesen: „Ich habe es nie bereut, mich für die Liebe entschieden zu haben.“ Es sind die Worte eines langsamen Abschieds. „Die letzten Sätze sind doch zu meinem Eintritt, oder?“ Ich nicke ihr zu, während ich auch die anderen Zeilen überfliege. Sie sprechen von ihrem Ordenseintritt mit 15, den Schwestern, die ihr das Leben schwer gemacht haben, weil sie so eingebildet und hochmütig war, ihrer Krankheit und der Liebe zu Gott. Mich beschleicht das Gefühl, dass diese Frau ihre letzten Gedanken festhalten will, bevor sie stirbt. „Kennen Sie die Heilige Theresa von Avila?“, sagt die Frau in die Stille hinein. „Das war eine große Heilige! Ich wollte lange so sein wie sie. Nein, eigentlich wollte ich noch mehr sein: Kirchenlehrerin, Priesterin, Märtyrerin. Aber dann habe ich gemerkt, wie schwach ich bin und klein vor Gott.“
Sie nickt mir aufmunternd zu, ich soll schreiben. „Fang an! Also: Klein sein heißt auch, nicht die Fähigkeiten sich selber zuschreiben, sondern anerkennen, dass der liebe Gott diesen Schatz in die Hand seines kleinen Kindes legt, damit er sie nutzen kann, wenn er sie braucht; aber der Schatz gehört immer Gott.“ Das letzte Wort gesprochen, schüttelt sie auf einmal starker Husten. Vor lauter Anstrengung steigen ihr Tränen in die Augen. Sie signalisiert mir mit einem Blick auf den Nachttisch, dass ich das Buch auf den Nachttisch legen soll. „Ich kann nicht mehr“, sagt sie leise und zieht die Decke etwas höher. „Ruhen Sie sich aus“, flüstere ich ihr zu.
Plötzlich berührt mich eine Hand an der Schulter. „Hey du, wach auf!“ Es ist meine Freundin. „Wartest Du schon lange hier?“, fragt sie mich. Ich schaue sie verschlafen an und werfe einen schnellen Blick auf meine Uhr. Eine gute Stunde muss ich schon hier sein. Ich blicke auf das zweite Bett im Zimmer. Es ist mit einem Plastiküberwurf geschützt. „Wo ist denn deine nette Nachbarin?“, frage ich sie erstaunt. „Nachbarin? Ich habe gar keine, siehst Du doch. Schau mal, Du hast auf meinem Buch geschlafen“, sagt sie mit einem breiten Grinsen im Gesicht. „Der kleine Weg der Heiligen Therese von Lisieux - Das Gewöhnliche außergewöhnlich gut vollbringen“ - ich muss lachen. Therese hat einen Sinn für Humor.