"Gott räumt der Liebe den ersten Platz ein"
02.10.2014

"Gott räumt der Liebe den ersten Platz ein"

SAINTS4LIFE: Charles de Foucauld

Ich schlendere durch die Paderborner Innenstadt. Sie erwacht erst langsam wieder aus der Schläfrigkeit der Sommerferien. Es ist lange nicht so hektisch wie sonst. Und auch ich habe keine Eile. Vor dem Brunnen des Rathauses halte ich inne. Plötzlich merke ich, dass ich nicht mehr auf Kopfsteinpflaster stehe. Ich trete einen Schritt zurück und blicke auf den Boden vor meinen Füßen. Ein blauer Engel schaut mir entgegen.
Der blaue Engel ist umrahmt von einem stählernen Kreis. Ich gehe in die Hocke und schaue mir das Gebilde näher an. Da ist noch etwas anderes: „Ein Kreuz, ein Halbmond und ein Davidsstern“, sagt eine tiefe Stimme neben mir. Aus dem Augenwinkel sehe ich braune Sandalen, die den Blick auf braungebrannte Füße freigeben. Er reicht mir eine ebenso von der Sonne gegerbte Hand, um mich aufzurichten. Er hält meine Hand eine Weile länger fest, als nötig und nimmt doch seinen Blick nicht von der Plakette, die in den Boden eingelassen ist. „Es ist ein Engel der Kulturen“, sagt er dann. Jetzt sehe auch ich die Zeichen der drei großen monotheistischen Religionen: Judentum, Christentum und Islam. „Dieses Denkmal geht ganz schon unter auf diesem großen Vorplatz“, erwidere ich ihm und blicke mich um. Niemand wendet seinen Blick vom historischen Rathaus zu SAINTS4LIFEder Plakette. „Es spricht vielleicht ein bisschen für diese Zeit“, sagt er mit einem traurigen Blick. Jetzt erst bemerke ich, dass dieser hagere Mann in eine weiße Kutte gekleidet ist. „Wenn doch nur alle Menschen in diesem Kreis zusammenleben könnten, aber das tun sie nicht. Sie hören nicht auf, sich zu bekriegen. Man denke nur an Syrien, an den Irak … “, die Stimme versagt ihm. Er greift mit seiner dürren Hand nach dem Herz, was er um seinen Hals trägt. Daraus ragt ein kleines Kreuz. Er sieht meinen Blick und erklärt: „Zuerst kommt die Liebe, dann die Religion. Man kann den Menschen unendlich viel Gutes tun ohne Worte, ohne Predigt, ohne Aufsehen. Ich war viel in Nordafrika unterwegs. Der Islam hat in mir eine tiefe Umwälzung hervorgerufen. Der Anblick dieser Gläubigkeit, dieser Menschen, die in der ständigen Gegenwart Gottes leben, hat mich etwas Größeres und Wahreres erahnen lassen als die weltlichen Beschäftigungen. Sie haben mich wahrlich auf die Gottsuche geschickt. Ich habe meinen Gott in Jesus Christus entdeckt und bin dann wieder zurück. In Algerien habe ich unter den Tuareg einfach gelebt…“ Dieser Stimme könnte ich stundenlang zuhören. Sie ist voller Liebe und Güte. Aber mir brennt eine Frage auf den Lippen: „Haben sie denn die Menschen missionieren können?“ Er lacht. „Ich denke nicht. Weißt Du, was ich versucht habe? Gut zu sein. So gut, dass man einmal sagt: „Wenn schon der Diener so ist, wie muss dann erst der Meister sein!“ Aber ich musste auch etwas anderes lernen. Wir neigen dazu, Taten mit sichtbaren Erfolg an die erste Stelle zu setzen. Gott aber räumt der Liebe den ersten Platz ein.“ Er muss über seine eigenen Worte schmunzeln. „Ich weiß selber, dass sich jeder selbst auf Gottsuche begeben muss. Und seinen eigenen Weg finden wird, Gott zu begegnen. Oder erst selbst stellt sich einem direkt in den Weg. So wie bei mir, damit ich es auch wirklich begreife.“ Er nickt mir zu und geht seines Weges, schneller als ich ihm einen Gruß erwidern könnte.
Ich schaue noch mal auf den Kreis, auf das Kreuz vor meinen Füßen. Das ist mein Standpunkt. Und dennoch kann ich den anderen meine Hand reichen.
Ich kehre noch einmal um, gehe in die Marktkirche und knie mich hin. Am Ausgang erblicke ich einen Aushang. „Charles de Foucauld - Missionar mit Leidenschaft und Entschlossenheit.“ Als ich in die Augen dieses Mannes blicke, erkenne ich sie plötzlich wieder …

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