"Auch in Deutschland ist Raum für die Jugend notwendig“
16.12.2014

"Auch in Deutschland ist Raum für die Jugend notwendig“

Weihbischof Gregorio Rosa Chávez besucht Offene Tür im Lorenz-Jäger-Haus in Olpe

Vorsichtig lugt sie hinter dem maroden Gemäuer des Hauseingangs hervor. Was aussieht wie ein Versteckspiel, ist für Estefany bitterer Ernst, bevor sie ihr Zuhause im Zentrum von San Salvador verlässt. Und selbst das tut sie nur, wenn es unbedingt sein muss. „Ich habe Angst“ erzählt die Schülerin. Die kleine Hütte der Familie liegt in Popotlán, einem Viertel, das von gewalttätigen Jugendbanden – den „Maras“ – kontrolliert wird. Zu Hause ist kein Platz zum Spielen, deshalb hat sie fast keine Freunde.

Die 13-Jährige wohnt mit ihrer Mutter zusammen. Estefanys Bruder sitzt im Gefängnis ein, der Vater hat die Familie vor einigen Jahren verlassen. Dafür wohnt Estefanys Cousine, deren Mutter verstorben ist, mit ihr zusammen. Sie leben vom Verkauf von Chips und selbstgebastelten Schmuck. Die Kamera schwenkt. Ein Ort der Zuflucht und Hilfe ist für Estefany – aber nicht nur für sie, denn sie ist kein Einzelfall – die Pfarrei San Francisco von Weihbischof Gregorio Rosa Chávez und den „Barmherzigen Schwestern.

OT-Besucher Leo Creo (Marvin Kay Schmidt) sorgt für Musik beim Treffen mit dem Bischof.

Acht Minuten dauerte der Film, den Weihbischof Gregorio Rosa Chávez den Jugendlichen der Offenen Tür im Lorenz-Jäger-Haus in Olpe mitgebracht hat. Acht Minuten, die die Jugendlichen und OT-Leiter Matthias Brunert beeindruckten. Acht Minuten, die beispielhaft aufzeigten, was das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat leisten möchte. Denn die Jugendförderung steht im Blickpunkt der Aktion Adveniat 2014 „Ich will Zukunft“.

„Viele dieser Kinder leben in einem Sumpf aus Elend und Gewalt, der ihnen jede Möglichkeit der Entwicklung nimmt“, fass Weihbischof Chávez zusammen: „Wir müssen diesen Jugendlichen Gründe geben, um zu glauben, um zu kämpfen und um zu leben.“

Als sich die Olper Jugendlichen wieder gefasst hatten, stand sofort eine Frage im Vordergrund: „Wie können wir helfen und das Projekt unterstützen?“ Spenden, eine Aktion vor Ort ins Leben rufen oder gar in San Salvador anpacken? Über den Adveniat-Kontakt seit da einiges möglich, doch bei aller Freude über den Enthusiasmus warnte der 72-jährige Weihbischof aber auch: „Die Sicherheit in San Salvador ist ein großes Thema. Es ist möglich einzureisen, aber solch eine Reise muss sehr gut vorbereitet werden.“

Friedensbotschafter und Verhandlungskünstler

Gregorio Rosa Chávez gilt als Friedensbotschafter und Verhandlungskünstler in ausweglosen Situationen. Er ist Weihbischof und zugleich Pfarrer der Gemeinde San Francisco in San Salvador. Bescheiden und doch mit großer Geduld kämpft er für sein Ziel, den Jugendlichen eine Zukunft zu geben. Gegenseitiges Vertrauen schenken und ehrliches Interesse an den Jugendlichen sind seine Erfolgsrezepte. Sein Herz schlägt für die Jugendlichen, für sie wiederum eine Vertrauensperson.

„Was würdet Ihr tun, wenn Euer Haus hier in Olpe plötzlich geschlossen würde“, überraschte er in der OT des Lorenz-Jäger-Hauses seine Diskussionspartner. Mit der gleichen Frage habe er mal die Jugendlichen eines Jugendhauses in Mecklenburg-Vorpommern erschreckt. „Sie würden vehement protestieren“, erzählte Chávez weiter: „Das hat mich damals sehr beeindruckt. Denn auch in Deutschland ist Raum für die Jugend notwendig.“

Das bestärkt Weihbischof Chávez aber noch mehr, in El Salvador all seine Kraft einzusetzen. Rund sieben Millionen Menschen leben dort auf relativ engen Raum. „Es ist ein junges Land, auch mit vielen jungen Menschen. Auf der einen Seite keine Arbeit und keine Schulen, auf der anderen Seite viel Armut und viel Gewalt“, berichtet Chávez: „Jugendliche, die eine Zukunft suchen, versuchen ihr Glück in den USA.“

Kopfschütteln bei den Olper Jugendlichen als der Weihbischof einen Zahlenvergleich gibt: „In El Salvador werden täglich bis zu 12 Menschen ermordet. Das ist Vergleich zur Einwohnerzahl so, wenn in Deutschland täglich 140 Leute umgebracht würden…“

Unter dem Motto „Ich will Zukunft!“ stellt das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat die Jugendförderung der katholischen Kirche in den Blickpunkt der Advents- und Weihnachtsaktion 2014. In der Adventszeit sind Adveniat-Partner aus Argentinien, El Salvador, Paraguay und Peru in Deutschland unterwegs. Sie berichten über ihre Erfahrungen, wie sie junge Menschen schützen und unterstützen, fordern und fördern, ihnen zu Selbstbewusstsein und Gottvertrauen verhelfen. Die traditionelle Weihnachtskollekte, die am 24. und 25. Dezember in allen katholischen Gemeinden Deutschlands stattfindet, ist für Adveniat und die Hilfe für die Menschen in Lateinamerika bestimmt. Adveniat freut sich über jede Spende auf das Spendenkonto 17345 bei der Bank im Bistum Essen, BLZ 360 602 95 (IBAN: DE03 3606 0295 0000 0173 45, BIC: GENODED1BBE).

Seit 2002 gibt es in seiner Pfarrei San Francisco das Jugendzentrum „Casa de la Juventud“, das von den Ordensschwestern geleitet wird. Es ist für die Jugendlichen ein geschützter Raum, in dem sie sich entfalten können. Auf der Straße wäre es zu gefährlich, einfach mal Skateboard zu fahren, Fußball zu spielen, zu tanzen und zu singen, oder einfach nur mit Freunden Zeit zu verbringen. Die „Casa“ bietet den Raum dazu. Darüber hinaus bieten die Ordensschwestern Hausaufgabenhilfe, PC- und Englisch-Kurse an. Die Tatsache, dass es eine Besonderheit ist, dass die Kinder täglich Kekse und Milch dort erhalten, machte nicht nur die Olper Jugendlichen nachdenklich, die in einer Welt leben, wo Schnellimbiss, Fastfood und Naschwerk Alltag sind.
„Menschen, die so leben wir hier in San Salvador, haben immer noch Träume, ihr Leben zu verändern und zu verwirklichen. Das beeindruckt mich sehr und spornt mich in der Arbeit an“, so Gregorio Rosa Chávez.

Und wieder an die Olper Jugendlichen gerichtet, will Chávez wissen, warum sie denn hier in den Jugendtreff kommen. Die Parallelen sind beachtlich: „Gemeinschaft, Freunde treffen und in Ruhe Spiele machen und einfach nur Chillen.“ In San Salvador müssen jedoch die Regeln im Jugendzentrum allen klar sein: Respekt, kein Alkohol, keine Drogen und keine Gewalt. „Bei uns lernen die Jugendlichen auch, Konflikte gewaltfrei zu lösen“, ergänzt Chávez.

Der Weg zum Ziel führt aber nur über Bildung. Dass dies in El Salvador für Weihbischof Chávez ein Reizthema ist, merkt man dem ruhigen Mann sofort an. Das Schulsystem in El Salvador lässt für ihn viele Wünsche offen. Deshalb will die katholische Kirche dort mit Adveniat helfen. „20 Prozent der Jugendlichen haben weder eine Schulbildung noch eine Ausbildung – weil das Geld fehlt.“

Die Olper Jugendlichen wollen es transparent wissen: „Wie teuer ist denn ein Platz in einer Schule? Welche Spende ist nötig, um einem Gleichaltrigen Schule zu ermöglichen?“ Weihbischof Chávez ist der Praktiker, der auch hier die Antwort parat hat: „300 Dollar im Jahr müssen für einen Schüler aufgebracht werden. Doch das ist wichtig, denn ohne Bildung gibt es keine Zukunft.“

Mit der Jugend versteht er umzugehen und fordert auch gleich eine Zugabe als Leo Creo (Marvin Kay Schmidt), einer der Ot-Besucher, seine selbst geschriebenen, sehr persönlichen Stücke zum Besten gibt. Zwischen Weihbischof Chávez und den Olper Jugendlichen stimmt die Chemie. Die OT-Besucher sind beeindruckt von dem, was sie als Lateinamerika erfahren haben. Am liebsten hätten sie gleich in „Casa de la Juventud“ mit angepackt.

Blog-Parade #ichwillzukunft

Adveniat hat eine Blog-Parade zu unserem Jahresthema #ichwillzukunft gestartet. Die Aktion läuft noch bis zum 19. Dezember. Weitere Infos unter: http://www.adveniat.de/blog/einladung-zur-blogparade-ich-will-zukunft/

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