Hinausgehen und die Menschen suchen – aber wie genau soll das gehen?
Das böse Wort mit C – die neue Normalität – veränderte Rahmenbedingungen in allen Lebensbereichen. Wir haben viel mitgemacht in den letzten Monaten. Und ein Ruf war in den ersten Wochen, im so genannten „Lockdown“ in aller Munde, wurde auf vielen Story-Fotos und Profilbildern als Sticker verwendet, war in den Radios ständig zu hören und wurde sogar von Mobilfunkanbietern auf den Handy-Bildschirm gesetzt: „Stay At Home“ – „Bleibt zuhause“.
Diese ersten Wochen und Monate liegen hinter uns, und so langsam kommt so etwas wie Normalität, die „neue Normalität“ eben, zurück. Natürlich entspannen sich auch die Nachrichten wieder. Wir beschäftigen uns nicht mehr nur noch mit Corona und den Folgen, sondern auch wieder mit dem, was sonst so in der Welt passiert. Gleichzeitig wird erste Bilanz gezogen, was gut geklappt hat und was nicht. Dabei wird auch auf „die Kirche“ geblickt. Hat sie alles richtig gemacht? Oder hat sie die Menschen allein gelassen in ihrer Einsamkeit und mit den offenen Fragen?
Viele machen der Kirche genau diesen Vorwurf und verweisen vielleicht dabei auf dieses Evangelium:
"In jener Zeit, als Jesus die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und
erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben.
Da sagte er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter.
Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden.
Dann rief er seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen die Vollmacht, die unreinen Geister auszutreiben
und alle Krankheiten und Leiden zu heilen.(…)
Die Zwölf sandte Jesus aus und gebot ihnen: Geht nicht zu den Heiden, und betretet keine Stadt der Samariter,
Geht zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.
Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe.
Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus! Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben." (Mt 9,36-38; 10,1-8)
Die Aussendung der Jünger – das ist das Gegenteil von „Stay At Home“. Auch Papst Franziskus hat die Jugendlichen beim Weltjugendtag in Rio de Janeiro dazu aufgerufen: „Es geht nicht einfach darum, die Tür zu öffnen, damit sie kommen und um sie aufzunehmen, sondern darum, durch die Tür hinauszugehen, um die Menschen zu suchen und ihnen zu begegnen."
Also hinausgehen und die Menschen suchen. Das klingt gut und ist sicher auch lohnenswert, aber wie genau soll das gehen?
Variante 1: Wir ziehen durch die Lande wie die Apostel. Wir predigen auf den Marktplätzen und bei kaltem Wetter in den Shopping-Malls. Wir nehmen eine Gitarre mit, die wir idealerweise auch bedienen können, und singen fromme Lieder. Evangelikale machen so was. Und die Mormonen. Mir liegt das aber irgendwie nicht. Ich kann nur Klavier und Akkordeon. Und bei aller Freude an der Verkündigung, bin ich immer noch Westfale, der nicht einfach auf jeden zugeht.
Variante 2: So wie 1, nur an den Haustüren. Klingeln und über Gott sprechen. Wie die Zeugen Jehovas. Aber es gibt mittlerweile auch eine katholische Variante, die nennt sich „Misiones“, und ist so etwas wie früher die Volksmission. Ein tolles Projekt aus den Reihen einer Geistlichen Gemeinschaft. www.misiones-glauben-leben.de zeigt, wie es gehen kann. Mutig auf jeden Fall, aber längst nicht jede/r ist zu dieser Mission berufen.
Variante 3: Wir nutzen unsere vorhandene Infrastruktur. Da ist in der Tat viel passiert in den letzten Wochen. Telefonischer Besuchsdienst, Einkaufsservice, Online-Meetings von Jugendgruppen und vieles mehr. Und auch unter den widrigen Umständen wurde die Krankensalbung gespendet und wurden Menschen beerdigt.
Variante 4: Wir wagen uns auf neue Felder. Und da gab es ja wirklich viele neue Erlebnisse. Audio- und Video-Podcasts, Livestream aus unseren Kirchen, Newsletter, persönlich gestaltete Grußkarten in die Häuser, gestaltete Schaukästen. Jede Gemeinde könnte sicherlich aufzählen, was es dort an Besonderheiten und kreativen Ideen gegeben hat
Fazit: Es geht immer mehr, und vieles müssen wir noch lernen. Vielleicht wird man im Rückblick später sagen: Da hättet ihr mutiger sein können. Oder: Da habt ihr jemanden zurückgelassen. Vielleicht. Vielleicht wird man aber auch sagen: Ihr habt immerhin angefangen, denn losgehen ist besser als stillsitzen. Wer etwas macht, macht auch Fehler. Aber wer nichts macht, das Leben nur erleidet, und aus Angst nicht losgeht, der begeht den größten Fehler in der Nachfolge Jesu.
Denn: An Jesus zu glauben, ist das Gegenteil von Stay@home!