Im Gebet verstehen: Bei Gott zähle ich
Ich bin ein aktiver Mensch. Ich brauche und liebe Bewegung. Und ich bin gerne produktiv. Am liebsten erledige ich mehrere Dinge gleichzeitig. Rumsitzen oder nichts tun kann ich nicht gut. Meditieren, Yoga oder Autogenes Training sind nichts für mich. Doch: Ich versuche, mir jeden Tag Zeit fürs Gebet zu nehmen und Kraft aus dem Glauben zu schöpfen.
Ich fühle mich auf dem Glaubensweg noch recht am Anfang. Manchmal schiebe ich das Gebet auf, oft bin ich in Gedanken ganz wo anders. Ich möchte lernen, wie mein Gebet zu einem persönlichen Dialog zwischen Gott und mir werden kann. Gottes Gegenwart deutlicher spüren, seine Stimme klarer hören, seinen Plan für mich erkennen.
Deshalb steige ich nach dem Masterabschluss in den Flieger – um in Spanien für einige Wochen in einem Kloster mit zu leben. Ich habe die Schwestern von Maria Stella Matutina zuvor bei einem Bibelnachmittag in Deutschland kennengelernt. Sie strahlten so eine Weisheit und Liebe aus, die mich sofort begeisterte. Hier nehme ich euch mit in zwei verschiedene Gebetsformen des Klosters. Heute: die Anbetung.
»Ich glaube zu spüren, wie alles in diesem Kirchenraum auf IHN hin ausgerichtet ist. Beeindruckend!«
Meine Erfahrung bei der stillen Anbetung.
Es ist 6:15 Uhr. Zeit für das zweite Gebet des Tages. Hinter den rund 45 Schwestern, die in der Kirche knien, auf dem Boden oder kleinen Gebetshockern sitzen, habe auch ich mir einen Platz gesucht. Hier drinnen ist es fast genauso dunkel wie draußen um diese Uhrzeit. Nur ein paar Kerzen brennen und ein Spot strahlt dieses kleine Stück Brot an, in dem Jesus selbst gegenwärtig ist. Wir halten Anbetung.
Jeder Tag bei den Schwestern von Maria Stella Matutina ist geprägt durch das Stundengebet und zwei Stunden stille Anbetung. Ich liebe die musikalisch und durch meditative Texte gestaltete Anbetung bei Nightfever. Aber zwei Stunden täglich und noch dazu in Stille kommen mir, als ich davon höre, doch ziemlich lang vor …
Während ich in der Kirche der Ordensschwestern knie und bete, lasse ich meine Blicke anziehen von diesem Licht, dieser schlichten Schönheit der Eucharistie. Ich glaube zu spüren, wie alles in diesem Kirchenraum auf IHN hin ausgerichtet ist. Beeindruckend! Doch ich weiß nicht so recht mit dieser Stille umzugehen.
Ich mag Tätigkeiten, bei denen ich Fortschritt sehe. Messbare Ergebnisse, an denen ich ablesen kann, wie produktiv ich war. An denen ich meine Tätigkeit bewerten kann. All das steht in völligem Widerspruch zu dem, was ich hier in der Anbetung erlebe.
Ich brauche eine Weile um zu verstehen, dass es hier gerade nicht um Tun und Produktivität geht. Jesus sieht mich. Er liebt mich, während ich einfach nur da bin.
Obwohl wir mehr als 40 junge Frauen in der Kirche sind, spüre ich diese Liebe Jesu zu mir ganz persönlich. Klingt vielleicht nach frommen Floskeln, aber trifft mich in diesem Augenblick mitten ins Herz. Sein Blick auf mich und in mich berührt mich so tief, dass ich fast erschrecke. Ich kann es mir nicht erklären, aber ich kann es spüren.
Was passiert hier? Eine Schwester sagt mir später: „Die stille Anbetung ist eine Schule der Liebe. Es ist Jesus, der dich lehren will zu lieben“. Diese Vorstellung gefällt mir. Ich möchte von Jesus lernen. Doch dann denke ich wieder darüber nach, was ich tun kann. Etwas in mir möchte sich diese Liebe verdienen.
Über meine Erfahrungen spreche ich mit den Schwestern. Ihre Aussagen faszinieren mich: „Sei da und bitte den Heiligen Geist, dich zu verwandeln.“ Oder: „Du musst nichts tun, ER wirkt in dir – auch, wenn du es nicht gleich merkst.“ So, wie man Menschen automatisch ähnlicher wird, mit denen man viel Zeit verbringt, sei das auch mit Jesus. Das finde ich anschaulich.
Gott ist der „Ich bin da“. Aber wann bin ich im Alltag schon mal da? Deshalb knie ich hier, im Kloster vor Jesus in der Eucharistie. Jeden Tag, immer wieder. Ich bringe die verschiedensten Gedanken und Gefühle mit. Komme zu ihm mit Bitten und Dank, mit Freuden und Sorgen. Bin mal mehr und mal weniger anwesend.
Die Anbetung, diese Gebetszeit ohne viele Worte, lässt mich Gott und mich selbst auf neue Weise kennenlernen. Hier zählen nicht meine Eigenschaften und Talente. Nicht meine Fehler und Erfolge, nicht meine Schwächen, mein Aussehen oder mein Status. Hier zähle ich.
Wer bin ich? Wer bin ich vor dir, Jesus? Wer bin ich wirklich? Und wer bist du? Wie bist du? Diese Fragen drängen sich langsam an die Oberfläche. Ich denke, diese Fragen kann man nicht mit endgültigen Antworten abarbeiten. Man darf sie mitnehmen und bekommt unterwegs mal mehr mal weniger Licht und Klarheit. Genauso weiß ich, dass ich Beten nie endgültig lernen und dann können werde. Es scheint mir eine Reise und gerade deshalb so spannend. Ich möchte mich weiter führen lassen. Und du?