Andacht

Einsam?! - Ich doch nicht

Meine Gedanken zum Thema Einsamkeit

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von Miriam Pawlak

Als ich mich vor gut anderthalb Jahren zum ersten Mal mit dem Thema Einsamkeit befasst habe, hätte ich nicht gedacht, dass es heute - wegen der Pandemie - noch relevanter werden würde. 

Damals war ich auf Youtube auf eine Doku gestoßen, in der es hieß, dass jeder Zehnte in Deutschland sich einsam fühlt und bei den 18 bis 39-Jährigen trifft das sogar auf jeden Fünften zu! Das hat mich ziemlich geflasht! Wir, die junge Generation, wir haben doch mit vielen Menschen in der Schule, Uni und in der Freizeit zu tun. Wieso sollen ausgerechnet wir uns einsam fühlen?

Blick auf See umrandet von herbstlicher Landschaft

Eine Leere, die lehrt auf mich selbst zu hören

Ein Sozialforscher und Psychologe, der in der gennanten Doku vorkam, ist der Meinung, dass wir das Gefühl von Einsamkeit gar nicht gerne zulassen. Nach außen hin vertuschen wir dieses Gefühl absichtlich. Ich kann das schon verstehen; ich meine, wer gibt denn gerne zu, dass er sich einsam und vielleicht sogar verlassen fühlt? Es ist ja nicht das Alleinsein gemeint, das wäre ja bloß ein Zustand, schließlich ist jede und jeder mal allein. Es geht vielmehr um das Gefühl von Einsamkeit, also um ein inneres Befinden, das tiefgründiger ist. Ich kann auch einsam sein, wenn ich mit Freunden unterwegs bin, weil etwas in mir fehlt.

Es kann mir physisch gut gehen und manchmal muss man es mir gar nicht anmerken, dass ich aber psychisch nicht gut drauf bin und ich mich nicht vollkommen fühle. Eine gesunde Balance von Leib und Seele zu halten, das ist gar nicht so leicht, wenn die Psyche durch das Gefühl der Einsamkeit überrannt wird. Es gibt zahlreiche Gründe dafür, warum sich Menschen einsam fühlen: Nach einer schmerzlichen Trennung einer Beziehung, durch einen Wohnungswechsel oder durch einen Todesfall.

Das scheinen mir punktuelle Erfahrungen im Leben zu sein, die sicher einschneidend sind, die anders gewendet, hilfreich sein können, wenn sie zu einem neuen Aufschwung, zu neuer Kraft führen: Indem ich mich wieder mehr um mich selbst kümmere, mein Ich wieder zu schätzen lerne, indem ich in einer neuen Stadt Menschen kennenlerne, mit denen ich mich verabreden kann, indem ich mich jemandem anvertrauen kann und einfach nur erzähle, wie es mir geht. Dabei kann ich einsamen Schmerz in Energie umwandeln. In Energie, die mich aufbaut. Dafür kann ein alter sowie ein neuer Freundeskreis eine gute Community sein, die mich auffängt. 

Dieser Absatz hat es in der Corona-Pandemie in sich. Während ich die Zeilen nochmal lese, merke ich, dass ich damals noch sehr viel optimistischer gedacht habe, denn ich konnte mich mit Freunden treffen - und jetzt? Ein harter Lockdown steht uns wieder kurz bevor. Da helfen Telefonate und Zoom-Meetings nur wenig, muss ich zugeben.  Es ist völlig okay, wenn wir trotz Isolation einfach nur für uns sein wollen. Es ist auch okay, wenn wir Gott nicht spüren, auch wenn wir es gerade jetzt wollen. Wir müssen nicht immer reden, aber wir dürfen - dann, wenn wir meinen, dass es uns gut tut.
Herbstlaub

Wenn dich das Gefühl der Einsamkeit nicht verlässt

Viel schwieriger finde ich die Form von Einsamkeit, die sich existentiell auf die Persönlichkeit auswirkt, wenn sich also die Einsamkeit als Grundgefühl einschleicht. Schwieriger ist sie deshalb, weil ich sie erst nicht bemerke und wenn die Einsamkeit da ist, kann sie deprimieren.

Was dann? Wenn ich Schmerzen habe und die gehen einfach nicht weg, dann gehe ich zum Arzt. Wenn ich mich einsam fühle – zu wem gehe ich dann? Ich kann dann natürlich auch zum Arzt gehen. Wenn ich mich aber nicht traue oder nicht sicher bin, ob ich wirklich medizinische Hilfe brauche - was dann? 
«Ist da jemand?», könnte ich jetzt mit Adel Tawil fragen, der sich in seinem gleichnamigen Lied genau dieser Frage stellt. Wenn ich doch schon die Frage nach diesem Jemand stellen kann, vielleicht ist das ein Indikator für etwas Tieferes und Größeres, das mich unruhig macht. Rastlos. Suchend. Schweigsam. Einsam.   

Bei mir ist es oft so: In den Momenten, in denen ich mich besonders einsam fühle, da werde ich gehalten. Genau darin liegt ja das Paradox: Wir Menschen können gar nicht allein sein, wir sind es auch nie – aber wieso fühlen wir uns dann so? Glauben wir nur nicht immer fest genug daran? Ich habe keine endgültige Antwort darauf. Aber ich bin davon überzeugt, dass  im Gefühl der inneren Leere und der Abwesenheit Gottes eine tiefe Sehnsucht, vielleicht sogar die Suche Gottes nach uns Menschen steckt. Ich merke es manchmal sogar im Nachhinein. 

herbstlicher Waldweg

Andere Menschen suchen die Einsamkeit ganz gezielt, weil sie daraus ihr Lebenselixier schöpfen. Auch die Kirche kennt viele Heilige, die sich offen über ire innere Leere äußern. Schaut euch mal die Biografie von Therese von Lisieux an – so eine junge Frau, die Gott mit beeindruckendem Vertrauen, durchkreuzt von Leere, Zweifel und Einsamkeit, gedient hat bis an ihr Lebensende. Sie hatte schon von kleinauf den Drang in den Karmel (kontemplativer Orden) einzutreten, obwohl sie viele einsame Stunden in der Dunkelheit nach der Hand Gottes getastet hat. Obwohl sie sich nie bis zuletzt sicher war, ob ihre Träume „echte“ Gotteserfahrungen gewesen waren, hat sie an IHM festgehalten. In ihrer Biographie („Geschichte einer Seele“) erzählt sie, dass es schon immer ihr innigster Wunsch gewesen sei, eins zu werden mit Jesus. Daher erhielt sie auch den Beinamen «Therese vom Kinde Jesu». Ihr Arzt, wenn man so will, war kein anderer als Jesus Christus. 

Decke, eine Tasse Kakao auf einem Buch, das mit Laub bedeckt ist

Einsam, aber nicht allein

Einsamkeit kann sehr laut sein. Deswegen glaube ich, dass sie wahrgenommen werden will. Wir brauchen die Einsamkeit und ein Gespür für den Umgang mit ihr, damit wir leise werden und uns selber besser verstehen lernen. Ich glaube, dass Einsamkeit viel mit Stille und dem Knistern des Herbstlaubs unter den Schuhsohlen zu tun hat. Daher habe ich den Artikel 2018 auch im goldenen Monat Oktober verfasst – weil ich so richtig in der Herbststimmung war. Klar, Einsamkeit meldet sich nicht vorher an – sie kommt und geht, wann sie will. Manchmal bleibt sie. Sie ist vielleicht zeitlos.

Ich spüre aber, dass Einsamkeit vielmehr noch mit Gott zu tun hat, als ich es bis hier hin habe durchklingen lassen. Es ist so viel Mystik im Spiel, wenn ich an das Phänomen Einsamkeit denke. Einsamkeit als Raum für Gotteserfahrung kann mir letztendlich den Halt geben, den ich mir wünsche. Weil ich Gott in der Stille begegnen kann und mich auf ihn einlassen kann. Er will sich mir zeigen. Er schenkt mir die Hoffnung, die ich brauche, denn ich will nicht einsam durch das Leben gehen. Er will da sein, wenn ich mich so unangenehm einsam fühle. Das tut gut.


  Auch Feste im Jahreskreis verhelfen uns zu einem gesunden Umgang mit Einsamkeit. Die Fastenzeit hat mich  in eine Erwartungshaltung versetzt. Ostern hat mich neu mit Hoffnung erfüllt. Wir sind Menschen. Wir suchen diese Räume der Geborgenheit, die Heimat bedeuten.  Wir suchen das Licht, dieses Göttliche, das die Finsternis der Einsamkeit durchbricht.

Wir dürfen uns einsam fühlen. Das müssen wir manchmal auch. Wirklich, es ist gut so. Nutzt die Zeit der Einsamkeit und ruht euch aus, denn sie kann gewinnbringend sein. 

Ihr fühlt euch vielleicht einsam, aber ihr seid nicht allein damit.

»Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus.«

Mk 6,31

Hinweis: Dieser Artikel erschien bereits im Oktober 2018.

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