Das Rosettenfenster der Dortmunder Propsteikirche
05.07.2021
Faszination

Auf Spurensuche III

Das neue Santiago? Auf dem Jakobsweg von Werl nach Dortmund

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von Lioba Vienenkötter

Meine beste Freundin und ich waren Rad fahren. Das haben wir schon oft gemacht – manchmal mit Hängematte und immer mit Doppelkeksen. Dieses Mal waren wir auf dem Jakobsweg zwischen Werl und Dortmund unterwegs. Ich sollte also besser „pilgern“ statt „Rad fahren“ schreiben.

Sonntagmorgen, Ende Juni, 25° Celsius. Wir stehen – wie schon im November 2020 – vor der Wallfahrtsbasilika in Werl. Die Kirche strahlt mit ihren blauen Fahnen dem ebenso blauen Himmel entgegen. In der Krypta wird der Gottesdienst gefeiert, der Chorgesang dringt zu uns nach draußen. Wir lauschen einige Minuten, reißen uns dann aber doch los: Wir haben noch einen Weg vor uns, heute wollen wir die letzte Etappe des Jakobsweges von Höxter bis Dortmund bestreiten.

Die Wasserspeier der Kunibertkirche

Also raus aus Werl und rein in die Felder und Wiesen – beziehungsweise nach Büderich. An der dortigen Kunibertkirche, die mit kunstvollen Wasserspeiern – gestaltet als Fabelwesen und Teufel – geschmückt ist, warten schon vereinzelte Erstkommunionkinder mit ihren Eltern. Heute ist ihr großer Tag. Was für ein schönes und vertrautes Bild, das uns doch so lang verwehrt blieb!

Etwas außerhalb der Gemeinde stoßen wir auf ein Heiligenhäuschen, das hoch auf einem Hügel thront und aufgrund seiner enormen Größe wohl eher ein Heiligenhaus ist. Unter dem sogenannten Schanzenhügel liegen die Trümmer des alten Zollhauses, Büderich war lange Zeit die Zollstelle für die Erzbischöfe von Köln, hier wurden die passierenden Kaufleute kontrolliert.

Der Holtumer Engel

Durch einen Hohlweg radeln wir weiter nach Holtum.

Mitten im Ort steht die St. Agatha Kirche. Da unsere Heimatkirche auch der Heiligen Agatha geweiht ist, fühlen wir uns hier fast ein bisschen heimisch. Im Schatten der Kirche spielen einige Menschen Boule. Sie grüßen freundlich, wir grüßen zurück und betreten die Kirche. Auf der rechten Seite des Kirchenschiffes steht ein Bildschirm, der mich direkt neugierig macht. Man kann darauf verschiedene Informationsflächen anwählen, woraufhin Gebete oder Informationen angezeigt und vorgelesen werden: Es gibt Impulse zu unterschiedlichen Stimmungen wie Freude oder Dankbarkeit, aber auch vertonte Psalmen, Andachten, biblische Geschichten und Lieder für Kinder.

Als Meditationskirche ist die Agatha Kirche überregional bekannt geworden. Im ersten Moment schrecken wir richtig zusammen, die lesende Stimme war lauter als erwartet. Aber dann genießen wir die Geschichte vom Holtumer Engel, der seit 2019 auf dem Dachfirst sitzt und im Sommersonnenlicht strahlt und glänzt.

Den kleinen Engel im Sinn fahren wir weiter nach Hemmerde, das extra für unseren Besuch blau-weiß geflaggt hat. Nein, natürlich nicht für unseren Besuch, sondern für den Schützengottesdienst, der am Ehrenmal, vor der evangelischen Kirche, stattfindet. Grüne Schützenjacken und Frauen in schicken Kleidern sind noch so ein vertrautes Bild, das uns in den letzten Monaten nicht vergönnt war. Aber an diesem Junisonntag ist ein wenig Normalität eingekehrt und das versüßt uns den Weg, der uns nun entlang von Bienenwiesen nach Stockum und dann nach Unna führt.

Über den Bildschirm lassen sich verschiedene Angebote anwählen.
Der Holtumer Engel auf der St. Agatha strahlt in der Sonne.

Hier halten wir uns nicht lange auf, die evangelische Stadtkirche ist verschlossen. Der Blick über den Marktplatz mit Fachwerkhäusern und Cafés lohnt sich trotzdem. Der Weg aus der Stadt macht deutlich, dass wir uns nun am Rand des Ruhrgebiets befinden, wir radeln durch Industriegebiete und an S-Bahn-Stationen vorbei.

Der Unnaer Marktplatz mit Fachwerkhäusern und Cafés

Auf ins Ruhrgebiet

Es ist mittlerweile Mittag und die Sonne scheint unerbittlich, die ersten Hinweise aufs einen Sonnenbrand zeichnen sich bereits ab. Bald erreichen wir den Dortmunder Stadtrand. Baustelle reiht sich an Baustelle, es wird grau statt grün. Und trotzdem geht nichts über Jahrhundertwendebauten und Jugendstilviertel. Gleichzeitig wird die Wegführung unübersichtlicher, immer selten finden wir die ersehnten gelben Muscheln auf blauem Grund, die uns sonst so zuverlässig leiten. Irgendwann hilft nur noch das Navi, zumindest wenn man beim Suchen nicht vom nächsten Transporter überfahren werden will.

Das Fenster des Seitenschiffes zeigt den mittelalterlichen Stadtbrand

Schließlich erreichen wir die Propsteikirche, die mitten in der Dortmunder Innenstadt steht. Die Kirche, die nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges ganz neu aufgebaut werden musste, steht auf dem Gelände des ehemaligen Dominikanerklosters, das dort im 14. Jahrhundert errichtet wurde. Die Andachtskapelle und der kleine Garten künden noch von den ehemaligen Hausherren.

Heute ist die Kirche auch ein Raum für verschiedene Kunstwerke, die sich auf unterschiedliche Art und Weise mit der Stadt Dortmund beschäftigen: So zum einen das Hochaltarretabel von Derick Baegert, entstanden 1470 – 80, das auf seiner linken Seite die älteste Stadtansicht Dortmunds zeigt. In diese Tradition stellt sich auch der moderne Künstler Joachim Klos, der 2002 mit der Neugestaltung der Kirchenfenster beauftragt wurde. Seine Fenster stellen eine Verbindung modern-formbetonender Kunst mit der Stadtgeschichte her, indem zum Beispiel im vordersten Fenster des linken Seitenschiffs auf den Brand von 1232 rekurriert wird. Das oben eingebundene Rosettenfenster wiederum wird die Stadtansicht des Baegert-Altars aufgenommen. Die künstlerische Gestaltung des Innenraums und der Kirche nimmt für mein Empfinden sehr gelungen Stellung zur engen Verbindung weltlichen und geistlichen Lebens in der Dortmunder Stadtgeschichte und -gesellschaft.

Wir haben heute viel gesehen – von Dörfern mit Erstkommunionkindern und Schützenbrüdern hin zur Industriestadt Dortmund. Mit der Propsteikirche haben wir den Endpunkt der Strecke des Jakobsweges im Erzbistum Paderborn erreicht.

Dortmund – also das neue Santiago? Vermutlich eher nicht. Aber erschöpft und erfüllt sind wir heute nach diesem Tag in der Sonne und auf dem Weg trotzdem. Und: Es ist ein gutes Gefühl, einen Schlusspunkt hinter das Pilgern der vergangenen Monate setzen zu können. Es tut schließlich immer gut zu wissen, was man geschafft hat.

Hier könnt ihr die Dortmunder Propsteikirche in einem virtuellen Rundgang sehen.

Mix

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