Die letzten Monate der Einsamkeit waren für niemanden leicht. Wie gelingt der Weg raus aus der Isolation?
Das ist mein Schreibtisch. Er ist für mich das Sinnbild der vergangenen 15 Monate. An diesem Tisch bereite ich meine Seminare vor und schreibe Hausarbeiten. Seit 15 Monaten besuche ich von hier aus auch die Uni – digital, versteht sich. Aber dieser Schreibtisch kann noch so viel mehr, wie ich im letzten Jahr lernen durfte.
Er ist Arbeitsort für Recherche und Interviews für YOUPAX, Treffpunkt mit meinen Freundinnen, für sämtliche Pfadfinderaktionen. Ich hab hier viele Stunden mit meiner Familie verbracht und ein Praktikum absolviert. Und wenn ich abends das Licht ausschalte, dann fühle ich mich zumindest etwas weniger allein. Schließlich ist da noch der eigene Schreibtisch, der das Zimmer füllt.
Abgehängt, eingesperrt, einsam. So habe ich mich in den vergangenen Monaten mit Lockdown und Ausganssperre gefühlt – und damit bin ich nicht allein. In einer Studie im November 2020 fühlten sich 64% der Befragten „zunehmend psychisch belastet“. In der Studie wurden 7000 junge Menschen zwischen 15 und 30 Jahren befragt.
Doch: Was genau hat diese Situation so bedrückend gemacht? Eine Frage, über die ich mit der Kinder- und Jugendpsychologin Martina Regniet spreche. Sie beantwortet die Frage, indem sie erklärt, was zum Jungsein dazugehört: „Jugendliche wollen und müssen sich vergleichen, voneinander lernen, sich ausprobieren, ihre Wirkung testen und ihre Grenzen spüren. Sie müssen wissen, dass andere ähnliche Ängste und Sorgen haben, müssen sich von der Familie abgrenzen und Eigenes erschaffen. Und das alles ist in der Pandemie nicht möglich.“
Ein Satz, der Martina Regniet nach vielen Gesprächen mit Jugendlichen im Gedächtnis geblieben ist, ist: „Ich habe Angst, mein Leben zu verpassen“.
Das zeigt wiederum auch die Studie, in der 60% der Befragten angaben, sich zumindest teilweise einsam zu fühlen. Mit diesen Zahlen gehen bei jungen Menschen vor allem auch Zukunftsängste einher: 68% haben Angst vor ihrer Zukunft. Ängste sind auch der Hauptgrund, aus dem im vergangenen Jahr Patientinnen und Patienten in die von Frau Regniet geleitete Beratungsstelle der Caritas in Sundern gekommen sind: „Die Ängste entwickeln sich besonders, wenn man alleine ist und sich nicht mit anderen über seine Sorgen austauschen kann. Wenn man sich in seiner peer group aufhält, merkt man, dass andere die gleichen Probleme haben und genau das ist zurzeit nicht möglich.“
»Die psychischen Auffälligkeiten nehmen gerade in den Familien zu, die ohnehin schon psychisch belasteter sind, also in alleinerziehenden oder sozial schwächer gestellten Familien. Da hat die soziale Benachteiligung der Kinder und Jugendlichen noch einmal zugenommen.«
Dr. Martina Regniet
psychologische Kinder- und Jugendpsychotherpeutin und
Leiterin der Familien- und Schul-Beratungsstelle Sundern
Martina Regniet beschreibt an dieser Stelle die Bedeutung der pädagogischen Fachkräfte an Schulen und Kindergärten, die für die jungen Menschen als – wie sie sagt – „gesunde Erwachsene“ wichtige Außenkontakte darstellen. Dass auch dieser Kontakt nur eingeschränkt möglich war, habe die Situation der jungen Menschen zusätzlich erschwert. Mit Blick auf die Öffnungen und die Rückkehr zur Normalität, die uns nun hoffentlich bevorsteht, betont die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin die Verantwortung der Pädagoginnen und Pädagogen an den Schulen und in den Kindergärten. Sie müssten gerade jetzt darauf achten, wer am Rand steht und wen man gezielt in die Gemeinschaft einbinden müsse. Das gleiche betreffe aber auch die ehrenamtlichen Leiterinnen und Leiter von Jugendgruppen und Sportvereinen, die jetzt, da die Angebote wieder öffnen, auch bei den Kindern nachhorchen sollten, die sich aus den Gruppen zurückgezogen hätten.
Zu diesen Pädagoginnen und Pädagogen gehören auch Lea Schmitt und Hans-Bodo Markus, die als Mitarbeitende des Erzbischöflichen Generalvikariats Schulen besuchen, um dort religiöse Schulwochen durchzuführen. Sie thematisieren das, was den Schülerinnen und Schülern am Herzen liegt: Zukunft, Liebe, Freundschaft, Tod.
Im Rahmen der zwei religiösen Schulwochen, die im vergangenen Schuljahr in Arnsberg und Balve stattfanden, kamen weitere Themen dazu: zum Beispiel Masken, wie Hans-Bodo Markus berichtet: „Es waren die ersten Gesprächsrunden mit Masken. Diese verändern die Kommunikation immens. Deshalb war das Thema Maske für die Schülerinnen und Schüler sehr wichtig und es wurde auch mit Einsamkeit in Verbindung gesetzt, da eine Maske Distanz schafft.“ Ein Thema, das uns wohl auch jetzt im Zuge der Öffnungen noch begleiten wird.
Die Diskussionen über den Komplex Einsamkeit bieten aber auch die Chance, den Jugendlichen langfristige Perspektiven zu eröffnen, wie Lea Schmitt betont: „Uns ist es immer ein Anliegen, über die Sorgen und Ängste der Schülerinnen und Schüler zu sprechen, aber es ist genau so wichtig, diese mit einem Funken Hoffnung zu versehen. Wir versuchen nicht, die Sachen einfach so umzudrehen, wir nehmen die Sorgen und Ängste natürlich wahr und ernst. Dennoch sollte die Möglichkeit bestehen, über die Woche hinweg neue Ansatzpunkte und Kraftquellen zu finden: Was sind wichtige Leute, an die ich mich wenden kann, wenn ich mich einsam fühle? Wie kann ich mit der Situation umgehen?“ Dies seien Fragen, die die jungen Menschen auch für ihr Leben nach der Pandemie noch benötigten, schließlich sei es immer gut zu wissen, an wen sie sich bei Problemen wenden könnten, erklärt Lea Schmitt.
Um die Rückkehr ins gesellschaftliche Leben macht sie sich keine Sorgen: „Ich glaube, dass wir uns ganz automatisch wieder an das normale Leben gewöhnen werden, da wir uns drüber freuen, das Leben wieder spüren zu können.“ Hans-Bodo Markus ergänzt dazu: „Bedeutsam ist jetzt, dass das Verbot von Nähe fällt, dass konkrete menschliche Begegnungen möglich sind, weil der Mensch ja ein Beziehungswesen ist. Viele Menschen vermissen genau diese Formen der Nähe: das Händeschütteln und die Umarmungen. Wenn das wieder möglich ist, wird das viel positive Energie freisetzen.“
Kinder- und Jugendpsychologin Martina Regniet unterstützt diese Einschätzung. Sie hält es für immens wichtig, jetzt Pläne für die Zukunft zu machen, um gerade jungen Menschen neue Perspektiven anbieten zu können, Ferienangebote seien da eine gute Maßnahme. Sie verweist aber auch auf die Kinder und Jugendlichen, die besonders stark unter der Pandemie gelitten haben. Für sie werde es ein langer Weg, um sich zu erholen und aus der Isolation zurück ins gemeinschaftliche Leben zu kommen.
Ich jedenfalls bin super froh darüber, dass wieder so viel möglich ist: Pfadfindergruppenstunden, Zeltlager, Theaterbesuche, ja sogar Geburtstagsfeiern. In den letzten Tagen war ich manchmal regelrecht überfordert ob all der Möglichkeiten und der Termine, die jetzt wieder in Präsenz stattfinden. Nur eines fehlt mir noch: die Uni, für die leider keine Öffnung in Sicht scheint. Aber das ist wohl ein anderes Thema...