Stefan Drießen brennt für seinen Glauben und die Musik.
07.09.2019
Perspektive

Mein Weg auf dem Markt der Möglichkeiten

Zwischen Zukunftsdruck und gegenwärtiger Lockerheit

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von Christina Behrens

Die Zeit zwischen Schulzeit und Jobleben ist spannend: Rund 12.000 Ausbildungsberufe und Studiengänge bieten unendlich wirkende Möglichkeiten, sich für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren und einen Platz in der schnelllebigen Welt zu finden. Gesellschaftlicher Druck, familiäre Erwartungen und die eigenen Vorstellungen können da aufeinanderprallen. Wir haben mit einer Berufsberaterin und einem Suchenden, der seinen Weg gefunden hat, besprochen, wie man sich in dieser Phase am besten zurechtfindet und auf dem unbeständigen Arbeitsmarkt Bestand hat.

Elektroinstallateuer, Systemgastronom, Verkäufer, Kraftfahrer – Stefan Drießen hat in seinem Leben schon viele Berufe ausgeübt. Ein Jobwechsel ist in der immer schneller werdenden Welt Normalität. Nur 14 Prozent der Arbeitnehmer bleiben ihr Leben lang in nur einem Unternehmen. Die Mehrheit der Deutschen hingegen wechselt mittlerweile bis zu fünf Mal den Job. Auch Stefan gehört dazu. Er arbeitet heute als Gemeindereferent – und wenn man seiner keineswegs gradlinigen Geschichte lauscht, fügt sie sich nach und nach zu einem stimmigen Bild.

Stefans Geschichte beginnt mit einer Sackgasse: In seiner Kindheit besucht er die Hauptschule, welche Anfang der 1990er Jahre noch nicht so verrufen war. Seine Berufspläne sind ehrgeizig: Er will Rechtsanwalt, Arzt oder Pfarrer werden. Ein strebsames Ziel, was sein Denken in seiner Kindheit und Jugend bestimmt, sich aber nicht realisieren lässt. Sein Versuch das Abitur zu schaffen scheitert trotz Qualifikationen für das Gymnasium. Die stattdessen folgende Ausbildung zum Elektroinstallateur langweilt ihn. Er weiß nicht, wohin es für ihn beruflich gehen soll.
Regine Supplié kennt diese Situation gut von anderen Jugendlichen. Sie ist seit vielen Jahren bei der Agentur für Arbeit in Paderborn angestellt und aktuell als akademische Berufs- und Studienberaterin tätig. Ihre Kunden sind zwischen 15 und 24 Jahren alt: Schüler oder Studierende und an einem ähnlich ratlosen Punkt im Leben. „Das sind anfängliche Unsicherheiten“, weiß Regine Supplié über die Orientierungslosigkeit zu berichten, „für gewöhnlich weiß jeder etwas – und wenn es das ist, was er oder sie nicht will, oder was besonders leichtfällt.“ Statt konkreten Ratschlägen unterstützt sie junge Menschen mit geschickten Fragen, um sie selbst zu Schlussfolgerungen kommen zu lassen. Oft hilft ihnen auch das Reden über die Zukunftspläne selbst schon.

Stefan und seine Leidenschaft: Das Auflegen als DJ.
Stefan und seine Leidenschaft: Das Auflegen als DJ.

»Ich war schon immer speziell - auch in der Berufswahl.«

Stefan Drießen
Gemeindereferent

Eine Sammlung von nicht-attestiertem Wissen

Stefan entscheidet sich für den obligatorischen Zivildienst beim Maltester Hilfsdienst: "Ich bin hinten im Wagen mitgefahren und musste von jetzt auf gleich eine Beziehung zu den Menschen aufbauen", sagt er über den seelsorgerischen Aspekt der Tätigkeit, "da merkte ich, dass ich mich gut in sie hinein fühlen und Smalltalk führen kann." Eine Erkenntnis, die ihn seitdem durch das Leben begleitet, ebenso wie der wiederkehrende Wunsch doch Abitur zu machen. Er entschließt sich, die Reifeprüfung nochmal auf dem zweiten Bildungsweg zu versuchen. Doch nicht nur der Druck das Abitur dieses Mal zu schaffen lastete auf ihm, auch die Wartezeit bis zum Schulbeginn muss er überbrücken. Noch immer besteht diese Angst vor Leerlauf im Werdegang, auch wenn sich das Bewusstsein langsam ändert. Junge Menschen wissen, dass sie sich mehr Zeit bei der Berufsfindung lassen können, allerdings sind sie noch ein bisschen verunsichert: "Ihre Fragen drücken immer noch Angst aus: ‚Was sagt so ein Personaler, wenn ich eine Lücke im Lebenslauf habe?‘ bekomme ich oft zu hören", erzählt Regine Supplié aus ihrer Beratungserfahrung. Sie aber kenne keine Lücken. Schließlich sei dies meist die Zeit, in der nicht-attestiertes Wissen gesammelt wird – und das ist ebenso relevant im späteren Job. Solche Zeiten können nachhaltig beeindrucken und von einer starken Persönlichkeit zeugen.

»Es gibt kein besser oder schlechter. Es gibt nur unterschiedliche Werdegänge.«

Regine Supplié
Akademische Berufs- und Studienberaterin 

Die Zeit bis zum Abitur nutzt Stefan zum Geldverdienen mit den „Spezialsachen“ in seinem Werdegang: Er wird für einige Monate Kurier, räumt Regale im Supermarkt ein und fängt mit Beginn der neuen Schulzeit an, bei Subway Sandwiches zu verkaufen. Nachts geht er mittlerweile einer seiner Leidenschaft nebenberuflich nach und legt als DJ in den Rhein-Rock-Hallen auf. Eine turbulente Zeit mit vielen kleinen Jobs, die ihn rückblickend um einige Erfahrungen reicher gemacht haben. Dennoch plagten ihn in dieser Zeit auch die Zweifel: "Es war nicht leicht nochmal zur Schule zu gehen. Ich habe es dann gemeinsam mit Gleichgesinnten geschafft. Nach meiner bestandenen Prüfung dachte ich dann, ich wäre jetzt endlich was."

»Heute sage ich: Wenn ich eine neue Richtung nicht einschlagen kann, ist der Gedanke, der dahinter steckt, für mich in dem Moment nicht wichtig - Gott hat einen Plan mit mir.«

Stefan Drießen
Gemeindereferent

Dem lang angestrebten Berufswunsch des Rechtsanwalts steht zu diesem Zeitpunkt nicht mehr viel im Weg, ein passender Studienplatz ist ihm sicher. Der Grund für das Studium liegt für ihn auf der Hand: Ansehen und Standing - die perfekte Grundlage für die ihm fehlende Wertschätzung. Skeptisch wird er bei seinem vermeintlichen Berufswunsch erst, als er im Gespräch mit Kommilitonen nicht mitreden kann und sich stattdessen immer mehr für die Kirche und den Glauben interessiert. Je wichtiger Gott ihm wird, desto deutlicher naht der Studienabbruch. Annähernd ein Drittel aller Studierenden schmeißen heute das Studium hin. "Bei den hohen Abbruchquoten ist vor allem das Sich-auf-den-Weg-machen wichtig", analysiert Regine Supplié den steigenden Trend "Nach ein, zwei Semestern abzubrechen macht die Entscheidung glaubwürdig. Problematisch wird es dann, wenn die Person sich nicht traut einen Schlussstrich zu ziehen." Stefan traut sich, auch nach fünf Semestern. Erstaunlicherweise trägt er seine Entscheidung mit Fassung – er realisiert, was wirklich wichtig für ihn ist.

Mit 29 Jahren beginnt Stefan nochmal neu und entschließt sich Gemeindereferent zu werden. Es ist die Liebe zum Glauben, die ihn in der Entscheidung bestärkt, und auch heute noch trägt. "Ich mache etwas Neues, was ich nun von Herzen wirklich will", resümiert er den ungewöhnlichen Weg, den er eingeschlagen hat. Für ihn ist es eine aufregende, wenn auch anstrengende Zeit: Er initiiert die Nightfever-Veranstaltungen in Paderborn, lernt seine zukünftige Frau kennen und kämpft mit der eigenen Existenzangst. Die mögliche Arbeitslosigkeit bei nichtbestehen der Dienstprüfungen wirkt auf ihn beängstigend – zu Unrecht. Er bewältigt die Prüfungen und ist seitdem als Gemeindereferent tätig. "Endlich kann ich mein Leben genießen", freut sich Stefan über den Abschluss des Kapitels. Seine Vision ist es heute, Menschen eine gute Zeit mit Mehrwert zu schenken.

Jeder Job hielt für Stefan Drießen eine Lektion bereit - auch das Belegen der Sandwiches.
Jeder Job hielt für Stefan Drießen eine Lektion bereit - auch das Belegen der Sandwiches.

Aus der Lebens- und Berufserfahrung von Stefan und Regine Supplié lässt sich vieles lernen. Gemeindereferent Stefan sagt von sich, dass er erst spät geschaut hat, was ihm eigentlich Spaß macht. Er rät auf das Herz zu hören und Wille und Wunsch voneinander zu unterscheiden. Berufs- und Studienberaterin Regine Supplié kann das aus ihrer Perspektive gut ergänzen: "Es lohnt sich, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Leitfragen sind: Wer bin ich eigentlich und wozu kann ich stehen? Das hilft dabei, reflektiertere Entscheidungen zu treffen und später authentisch im Job zu sein." Unabhängig davon, welchen Beruf wir anstreben, helfen klare Vorstellungen über das Ziel. Bei den rund fünf Jobwechseln, die wir durchschnittlich im Berufsleben einplanen müssen, wird es zwangsläufig Kurven und Umwege geben. Es liegt an uns, sie zu unserer Geschichte zu machen und wir selbst zu sein. Denn so oder so: der Markt der Möglichkeiten wird uns willkommen heißen – ein Stück weit entscheiden wir das Wie.

Kurz erzählt: Gedanken zu euren Werdegängen

Sebastian
Luisa
Tobias

Ich bin begeisterungsfähig und mache gern Projekte

Markt der Möglichkeiten.

"Ich habe meinen Bachelor in Logistik an der TU Dortmund gemacht und bin eher durch einen Zufall an meinen ersten Job geraten. Schon in der kirchlichen Jugendarbeit habe ich immer gerne Veranstaltungen organisiert, über einen Kontakt bin ich dann bei der christlichen Großveranstaltung schlechthin gelandet. Für den klassischen Weg in die Wirtschaft ist dies eher ein Umweg, aber eine für mich sehr wertvolle Erfahrung mit möglichen Folgeperspektiven. Druck verspüre ich deswegen überhaupt nicht. Es ist jedoch eine zeitlich begrenzte Projektstelle, auf mögliche Veränderungen danach muss ich mich zwangsläufig einstellen. Wer weiß, vielleicht finde ich danach noch einen passenden Masterstudiengang."

Sebastian (24) organisiert Kirchentage

Ich arbeite gerne für die Wissenschaft

Luisa möchte bald in die Forschung gehen.

"Ich studiere Erziehungswissenschaften und habe während des Studiums gemerkt, dass mir das wissenschaftliche Arbeiten liegt. Seitdem ich das weiß, möchte ich nach meinem Master am Lehrstuhl arbeiten. Leider sind die Stellen zum Promovieren sehr rar. Aber ich lasse das nun auf mich zukommen. Bisher habe ich das Abitur und auch den Bachelor fast in Regelzeit durchziehen können. Einen anderen Plan habe ich bisher auch nicht. Das führt zwangsläufig zu Druck, zumal ich nur eine kurze Übergangszeit bis zum ersten Job haben möchte. Lange Zeiten ohne richtige Aufgabe und einem unstrukturierten Tag geben mir das Gefühl des Stillstands – so möchte ich nicht in das Berufsleben starten."

Luisa (23) möchte später in die Forschung

Ich habe Abenteuerlust und lerne gerne Neues

Tobias in seinem Café.

"Ursprünglich habe ich eine Lehre als Tischler gemacht. Ich liebe Holz, man fühlt sich einfach wohl, wenn man es um sich hat und es lässt sich gut bearbeiten. Aber der Arbeitsmarkt ist hart, der Druck wird an die Angestellten weitergegeben. Zwischendurch war danach vier Jahre auf Wanderschaft und hab gelernt alles lockerer zu sehen und zu improvisieren. Seit fünf Jahren bin ich wieder zuhause und musste mich erst einmal wieder einleben. In der heutigen Zeit muss alles immer schnell gehen und günstig produziert sein – auf die Arbeit mit Spanplatten habe ich keine Lust. Seit vier Monaten habe ich mit meinem Vater gemeinsam eine Rösterei mit einem kleinen Café aufgemacht, die wir am Wochenende öffnen – da ist man anders unter Druck, aber es macht Spaß.“

Tobias (31) orientiert sich neu

Mix