Landschaft in Betlehem
Faszination

Pilgerreise nach Jerusalem

Folge 1: Betlehem und die Hirtenfelder

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Von Tobias Schulte

„Wer im Heiligen Land viel sehen will, der sollte die Augen schließen und das Herz öffnen.“ Dies ist einer der ersten Sätze, die Reiseleiter Cfir Horev sagt, als ich mit Pilgern aus meiner Pfarrei vom Flughafen in Tel Aviv durch Israel fahre. In fünf Teilen berichte ich thematisch sortiert von der Reise durchs Heilige Land: Von Betlehem über Nazareth zum Jordan, dem See Genezareth und schließlich Jerusalem. In diesem Sinne: Augen zu, Herz auf!

Betlehem: Augen zu, Herz auf!

Von Deutschland aus ist Israel kaum greifbar. Wir haben vielleicht den blauen Felsendom mit seiner goldenen Kuppel schon mal gesehen. Von der Landschaft – die immerhin fünf Klimazonen umfasst – haben wir kaum ein Bild vor Augen. Wenn Israel in den Medien auftaucht, dann meist wegen Konflikten zwischen Juden, Moslems und Christen sowie Israelis und Palästinensern. Unsicher habe ich mich jedoch zu keinem Zeitpunkt der Reise gefühlt.

Zum Beginn der Serie über das Heilige Land nehme ich euch mit nach Betlehem. Das bedeutet zugleich, dass direkt der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern präsent ist.

Der Eingang der Geburtskirche
Der Eingang der Geburtskirche
Besucher strömen zu diesem heiligen Ort
Besucher strömen zu diesem heiligen Ort
Der prunkvolle Altar in der Geburtskirche
Der prunkvolle Altar in der Geburtskirche
Die Bauplane passt nicht ganz zur Atmosphäre
Die Bauplane passt nicht ganz zur Atmosphäre

Menschen knien sich hin, beten und berühren den Stern mit den Fingerspitzen. Andere zücken ihr Handy.

Der berühmte Geburtsstern in der Grotte
Der berühmte Geburtsstern in der Grotte
Durch das Gitter kaum zu erkennen: Die Krippe
Durch das Gitter kaum zu erkennen: Die Krippe

Politisch gehört Betlehem zum Westjordanland, dem autonomen Gebiet der Palästinenser. Geografisch ist Betlehem nur zwölf Kilometer von Jerusalem entfernt, das ziemlich in der Mitte Israels liegt. 710 Kilometer Grenze – teils mit Stacheldrahtzaun, teils mit einer meterhohen Mauer – trennen die beiden Gebiete. Juden ist es verboten, ins Westjordanland zu reisen. Unser jüdischer Reiseleiter hat eine Ausnahmegenehmigung. Als wir mit unserem Bus durch den Checkpoint an der Grenzkontrolle fahren, sagen einige Mitreisende: „Das ist ja wie früher bei der Fahrt in die DDR!“

Ein krasser Perspektivwechsel für uns europäische Christen

Schmale, mehrstöckige Häuser aus hellem Kalkstein auf steinig-beigefarbenen Hügeln prägen die Gegend rund um Betlehem. Viele Gebäude stehen im Rohbau leer, am Straßenrand gibt es kaum Stellen, die frei von Müll sind. Einzelne Bäume wirken wie grüne Farbtupfer in der Landschaft. Der Blick Richtung Osten lässt nur noch trockene Wüste erkennen.

Das Westjordanland und Israel sind sinnbildlich auch Wüste für Christen. 170.000 leben im Westjordanland, im gesamten Heiligen Land machen Christen zwei Prozent der Bevölkerung aus. Viele Christen, so erzählt es unser Reiseleiter, seien sehr gebildet, aber sie werden von Juden und den muslimischen Arabern nicht gern gesehen. Viele würden auswandern, um eine bessere Zukunft zu haben.  Ein krasser Perspektivwechsel für uns europäische Christen, da wir es gewohnt sind, in der Mehrheit zu sein und zu bestimmen, wo es langgeht.

Die Geburtskirche ist eine der ältesten der Welt

Unser Bus parkt in der Tiefgarage eines Shoppingcenters in Betlehem. Wir steigen aus, laufen an den Läden vorbei und durch die zur Mittagszeit leblos wirkende Stadt rauf zur Geburtskirche. Die Kirche ist eine der ältesten der Welt. Sie stammt aus dem sechsten Jahrhundert und wurde seitdem nicht zerstört. Dafür aber lange vernachlässigt.

Um in die Geburtskirche zu kommen, stellen wir uns auf dem Vorplatz, der so unspektakulär wie die Kirche von außen ist, in einer Schlange an. Ich muss mich bücken, um durch den gemauerten Eingang zu gehen. Die Geburtskirche ist rein orthodox. Dunkle Holzbalken bilden das Dach, das bis zum Giebel einsehbar ist und von zahlreichen Säulen aus rotem Kalkstein getragen wird. Vor dem dunklen Holzaltar mit zahlreichen Ikonen hängen Dutzende spitz zulaufende Öllampen.

Das Herzstück der Kirche ist die Geburtsgrotte unter dem Altar. Da die Kirche renoviert wird, halten sich die Menschen nicht lange im Hauptschiff zwischen weißen Planen und Baugerüsten auf. Gefühlt alle Besucher strömen zu dem engen Eingang der Geburtsgrotte.

Wie beim Einlass ins Fußballstadion schiebe ich mich mit den Menschen um mich herum in die Grotte. Auf der rechten Seite ist der berühmte 14-zackige Geburtsstern in den Boden eingelassen. Schrill-bunte Tücher umranden den etwa ein-meterbreiten Altar über dem Stern. Darum hängen silberne und goldene Öllampen. Menschen knien sich hin, beten und berühren den Stern mit den Fingerspitzen. Währenddessen beugen sich andere um sie herum, um den Stern zu sehen. Wieder andere zücken ihr Handy.

Hitze und Hektik - auch das gehört zu den gemeinsamen Glaubensorten

Auf der gegenüberliegenden Seite der Grotte wird die Krippe verehrt, in der Jesus nach der Geburt gelegen hat. Heute sieht man dort einen kleinen Altar, unter dem ein Gemälde in die Wand eingelassen ist, das jedoch durch das Gitter davor kaum zu erkennen ist. Augen zu, Herz auf – lautet ja sowieso das Motto der Pilgerfahrt. Doch in der Geburtskirche blieb das Herz zu.

Hektisch und heiß ist es in der Geburtsgrotte – also verlasse ich sie wieder, ohne wirklich einen Moment der Spiritualität erlebt zu haben. Rückblickend betrachtet waren die Geburtskirche in Betlehem und die Grabeskirche in Jerusalem die beiden Orte, die mich am wenigsten berührt haben. Dafür war es dort zu wuselig, ich habe mich durch die vielen Menschen zu sehr gestört gefühlt.

„Du kannst aber nicht ins Heilige Land reisen, ohne in diesen beiden Kirchen gewesen zu sein“, denke ich im Nachhinein. Denn zu Glauben und Kirche gehört es dazu, gemeinsame Orte zu haben. Glauben ist aber auch etwas total Individuelles. Gott ist für jeden an ganz unterschiedlichen Orten und Momenten erkennbar. Für einige vielleicht auch gar nicht. So ist das auch im Heiligen Land. Wer versucht, durch Anfassen und Sehen zu glauben, dass Jesus dort geboren wurde und gestorben ist, für den sind die Geburts- und Grabeskirche inspirierende Orte.

Die Kapellenkuppel auf den Hirtenfeldern
Die Kapellenkuppel auf den Hirtenfeldern

Die Hirtenfelder

Nur wenige Kilometer von Betlehem entfernt und in Blickweite der Geburtskirche, liegen die Hirtenfelder. Eine kleine Kapelle mit runder Kuppel erinnert an die Hirten, die in der Weihnachtsgeschichte in dieser Gegend Schafe geweidet haben. Höhlen, unter anderem eine direkt hinter der Kapelle, und die Hügellandschaft, die heute noch zu sehen sind, passen historisch gut in das Bild.

Den Hirten ist an Weihnachten ein Engel erschienen. Die Hirten haben den berühmten Stern über Betlehem gesehen und sind ihm zum Geburtsort Jesu gefolgt. Die Erscheinung des Engels beziehungsweise das Licht des Sterns hat der Architekt der Kapelle beeindruckend aufgenommen. Die Kuppel besteht aus vielen kleinen Glasfenstern. Scheint die Sonne kräftig, dann erleuchten ihre Strahlen den Innenraum der Kapelle.

Ich blicke bewusst über längere Zeit in das Licht der Kuppel, deren Rand mit Engelsfiguren verziert ist. Stille. In mir kommen nach und nach Fragen hoch: Wie außergewöhnlich muss das sein, einem Engel zu begegnen? Was bringt mich – innerlich und äußerlich – zum Strahlen? Wozu würde ich sofort aufbrechen und, so wie die Hirten, alles stehen und liegen lassen?

Ein Mosaik in der Kapelle, wie der Engel den Hirten erscheint und gleichzeitig das Licht über Betlehem zu sehen ist, sorgt für weitere Fragen: Welchen Lichtern bin ich schon gefolgt in meinem Leben? Welche waren im Endeffekt nicht so hell? Was für ein Licht sehe ich, wenn ich in meine Zukunft blicke? Will ich diesem Licht folgen?

In der Kapelle der Hirtenfelder und an vielen weiteren Momenten der Pilgerreise habe ich entdeckt, dass ich diese Erinnerungsorte durch Stille und Fragen für mich öffnen kann. Glauben bedeutet eben nicht nur Sehen, sondern auch Staunen und Fragen zulassen, die man selbst nur versuchen kann, zu beantworten. Fragen, bei denen es kein richtig und falsch gibt.

Glauben bedeutet für mich besonders Gemeinschaft – im Gebet, in der Kirchengemeinde oder eben einer Pilgergruppe. „Die Kapelle auf den Hirtenfeldern hat eine wahnsinnig gute Akustik“, macht uns unser Reiseleiter aufmerksam. Mitten im Spätsommer bei 35 Grad stellen sich meine Härchen zu einer Gänsehaut hoch, als wir mit 40 Pilgern „Stille Nacht, Heilige Nacht“ singen.

Stille Nacht, Heilige Nacht – eigentlich total altmodisch, in diesem Moment aber, genauso wie an Weihnachten, total schön. Die schönsten Momente der Pilgerfahrt waren die, an denen wir als Gruppe für Ruhe gesorgt und an den Orten gemeinsam gebetet und gesungen haben. Dann haben diese Orte für mich eine ganz andere Magie bekommen und waren inspirierend.



Wozu würde ich sofort aufbrechen und, so wie die Hirten, alles stehen und liegen lassen?

Durch viele kleine Glasfenster strahlt die Sonne ins Innere
Durch viele kleine Glasfenster strahlt die Sonne ins Innere
Wie beeindruckend muss es sein, einem Engel zu begegnen?
Wie beeindruckend muss es sein, einem Engel zu begegnen?

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