Viele Senioren sind nun allein zuhause.
23.03.2020
Perspektive

Wie Corona unser Leben verändert

Sechs Menschen erzählen, wie die Heimquarantäne ihren beruflichen und privaten Alltag beeinflusst.

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Protokolle von Laura Konieczny

Das Coronavirus und die damit einhergehende aktuelle Situation beeinflussen jeden und jede von uns auf unterschiedliche Art und Weise. Sechs Menschen erzählen, wie sich ihr Alltag durch Homeoffice, Überstunden und die neuen Umstände verändert hat.

Sebastian Stolz: Pflegedienstleitung in Castrop-Rauxel

Der Alltag im Pflegedienst, für den ich arbeite, ist kein Alltag mehr. Seit letzter Woche gab es immer mehr Landesbeschlüsse und behördliche Anweisungen zum Schutz unserer Mitarbeitenden und Patienten. Im Betrieb geht es aktuell hauptsächlich darum, wie alles weiterhin gut funktionieren kann. Darum arbeite ich dieser Tage mehr und schlafe weniger als sonst. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen sehr souverän mit der neuen Situation um. Viele Patienten sind verunsichert und haben auch Angst vor der Situation. Einige vermeiden sogar die Versorgung und sagen Termine aus Angst vor einer Infektion ab. Trotz der angespannten Situation bin ich einfach froh, dass unser Team an Pflegekräften so toll funktioniert und mit Mut und Zusammenhalt an die Sache herantritt.

»Wir müssen alle an einem Strang ziehen. Wir überfordern sonst das Gesundheitssystem.«

Ein riesiges Problem ist der Umgang mit der Erkrankung innerhalb der Gesellschaft. Wir versuchen im Pflegedienst von alten und erkrankten Menschen alles menschenmögliche, um Infektionsketten zu unterbinden, weitreichende Kontakte zu vermeiden für die Sicherheit unserer Patienten und Bewohner zu sorgen. Währenddessen haben sich in den letzten Tagen und Wochen zu viele Menschen nicht an das Versammlungsgebot gehalten und sich verhalten, als wäre alles wie immer. 

 Ich kann darum nur auf die Vernunft von Jung und Alt pochen und bitten, zumindest vorübergehend, den Alltag zu pausieren und die Verbreitung des Coronavirus aufzuhalten. Wir müssen alle an einem Strang ziehen. Wir überfordern sonst das Gesundheitssystem.

Lisa Radtke: Mutter, Studentin, Angestellte aus Dortmund

Ich habe einen zweieinhalbjährigen Sohn, Emil. Unter der Woche bin ich komplett mit Kinderbetreuung und 20 Stunden Arbeit für eine Pressestelle pro Woche ausgelastet. An den Wochenenden schreibe ich an den Hausarbeiten für mein Vollzeitstudium. Der Workload ist schon hoch, durch gesparte Pendelstrecken klappt es zeitlich aber trotzdem. Gut ist, jetzt mehr Zeit mit dem Kind verbringen zu können. Wir nehmen uns Zeit für mehr lesen, kuscheln, basteln und verändern als Familie unsere Routinen.

Lisa jongliert mehrere Aufgaben rund um ihre Familie und den Beruf

»Wir verändern als Familie unsere Routinen.«

Mein Mann Phil und ich arbeiten jetzt in Schichten: Phil fängt immer ganz früh an zu arbeiten und kümmert sich ab nachmittags um Emil. Die Uni dürfen wir Studierende gerade nicht betreten. Als Studentin mit Kind fange ich aber ohnehin immer sehr früh vor meinen Deadlines an, meine Hausarbeiten zu schreiben. Man weiß ja nie, ob nicht noch eine Kinderkrankheit dazwischenkommt.

Lisa Marie Wilke: Sozialarbeiterin aus Castrop-Rauxel

Ich muss in meiner Arbeit in einer Wohneinrichtung für Jugendliche jetzt viel spontaner und flexibler sein. Der Tagesablauf ist verändert und ich muss immer wieder die aktuelle Situation erklären. Einige der Jugendlichen sind kognitiv eingeschränkt und für sie ist es schwierig zu begreifen, warum sie nun nicht mehr rausgehen und ihre Freunde treffen sollen, obwohl sie sich doch selbst gesund fühlen. Zuhause zu bleiben ist ja selbst für Erwachsene schon anstrengend. Ich versuche darum, für Abwechslung zu sorgen und den Tag interessant zu gestalten: alle dürfen länger schlafen, wir machen Nachtwanderungen, Lagerfeuer und schauen gemeinsam zum Beispiel die Ansprache von Angela Merkel oder einfache Erklärvideos an.

Durch die Schutzmaßnahmen hat ein Teil der Infrastruktur runtergefahren. Das macht es schwierig, neue Klienten aufzunehmen. Dabei wäre das gerade jetzt wichtig. Die Krisen in Familien steigen nun durch die geänderten Umstände voraussichtlich an, weil die Situation für alle neu und ungewohnt ist.

Privat halte ich virtuell meine Kontakte Freundinnen und Freunden. Zuhause leben wir mit drei Generationen zusammen. Meine Großeltern nun seltener zu sehen, fällt mir sehr schwer. Die Angst, mich selbst infizieren, ist gering, obwohl ich mit Asthma vorerkrankt bin. Der Gedanke, dass ich mit einer Infektion auch andere Menschen anstecken könnte, belastet mich hingegen.

Lisa Marie bei der Arbeit.

Tobias Strunck: IT-Entwickler aus Dortmund

Ich arbeite als Software-Entwickler und tue das aktuell im Homeoffice. Normalerweise habe ich meinen Rechner in der Firma, stehen, weil meine Kollegen und ich uns häufig vor Ort absprechen müssen. Trotzdem ist das Homeoffice jetzt kein großer Aufwand. Ich wähle mich einfach von einem anderen Computer ins Firmennetz ein. Anstatt uns im Büro zu beratschlagen, telefonieren wir Entwickler jetzt super viel miteinander, neulich auch mal zwei Stunden am Stück.

Privat merke ich die Veränderungen durch Corona noch mehr als beruflich Ich treffe mich sonst oft mit Freunden und Freundinnen. Auch mit denen telefoniere ich jetzt viel. Normalerweise singe ich im Chor und bin ehrenamtlicher Messdiensterleitung in St. Ewaldi Dortmund. Das fällt jetzt auch alles aus. Ich denke, dass mir diese Routinen ebenso wie die Messen und Andachten auf Dauer fehlen werden. Ich habe schon jetzt zuhause ab und an Langeweile. Umso mehr freue ich mich, dass meine Gemeinde nun Videos aus der Kirche aufnehmen will, um vor allem in der Fastenzeit Andachten zu teilen.

Die Perspektive, noch viele weitere Wochen zuhause zu bleiben, macht mir ein mulmiges Gefühl. Ich glaube, das wird anstrengend auf Dauer. Ich wohne zuhause bei meinen Eltern, das heißt ich bin immerhin nicht ganz allein, aber vielleicht gehen wir uns auf Dauer auf die Nerven. Was mich trotz alledem freut, ist die Solidarität der Menschen untereinander. Menschen gehen nun füreinander einkaufen und unterstützen sich: Das hätte man früher schon gebrauchen können und jetzt tun wir das endlich.

»Ich denke, dass mir diese Routinen ebenso wie die Messen und Andachten auf Dauer fehlen werden.«

Tobias Strunck aus Dortmund

Stefanie Bayer: Musikerin aus Bochum

Stefanie begleitete die Ministrantenwallfahrt 2018 in Rom.

Ich war vergangene Woche krankgeschrieben, darum habe ich von Corona im Arbeitsalltag als Schulsozialarbeiterin noch nicht viel mitbekommen. Diese Woche mache ich Homeoffice und arbeite auf, was liegengeblieben ist. Dann sehen wir weiter. Nebenberuflich mache ich zusammen mit meinem Partner und einer Band Musik. Viele der Auftritte wurden und werden nach und nach abgesagt, zuletzt die nordwestdeutsche Ministrantenwallfahrt im Juni in Osnabrück. In meiner Arbeit als Sängerin, Coach und Chorleitung fallen natürlich auch viele Veranstaltungen weg. Man muss lernen, in solchen Zeiten kreativ damit umzugehen, zum Beispiel Onlinecoachings anbieten oder neue Songs arrangieren. Ich bin optimistisch, denn das hier ist ja kein Dauerzustand.

Laura Konieczny: Nachhaltigkeitsberaterin und Jounalistin

Ich bin selbstständige Nachhaltigkeitsberaterin und werde pro ausgeführtem Auftrag bezahlt. Mir wurden bereits mehrere Projekte abgesagt. Das bedeutet für mich erhebliche finanzielle Einbußen. Zum Glück kann ich einige meiner Dienstleistungen – das Recherchieren und Schreiben, zum Beispiel – auch im Homeoffice erledigen. Die aktuelle Situation lässt mich umdenken. Sie lässt mich fragen: Was ist wirklich wichtig im Leben? Worauf will, sollte ich, sollten wir unsere Prioritäten legen? Darum sehe ich in der Coronakrise neben all ihrer Tragik auch eine große Chance. Sie lässt uns den bisherigen Status Quo hinterfragen und neue gesellschaftliche Utopien spinnen. Sie schenkt mir Zeit, hinzuhören und hinzusehen: auf meine eigenen Bedürfnisse, auf Möglichkeiten zu Akten der Nächstenliebe, auf die Stimme Gottes, die mir auch in dieser ungewöhnlichen Zeit Hoffnung und Zuversicht schenkt.

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