Thomas Ruster im Interview über die christliche Sicht auf Mensch und Tier
Die Bibel und der christliche Glauben haben Botschaften für den politischen Einsatz, die soziale Hilfe und die Bewahrung für die Natur. Und was ist mit den Tieren? Das haben sich drei Wissenschaftler der TU Dortmund gefragt und näher mit dem Verhältnis von Mensch zu Tier beschäftigt. Simone Horstmann, Gregor Taxacher und Thomas Ruster haben im September ihr Buch "Alles was atmet. Eine Theologie der Tiere" heraus. Wir haben mit Thomas Ruster (63), Theologieprofessor an der TU Dortmund, darüber gesprochen.
Herr Ruster, 130 Tierarten kommen in der Bibel vor. Welches davon ist ihr Lieblingstier?
Das Lamm.
Warum?
Weil Jesus selbst als Lamm bezeichnet wird. Von der Art, wie Jesus aufgetreten ist, wie er gewirkt hat, muss da was an ihm gewesen sein, was ihn mit Lämmern in Verbindung gebracht hat.
Sie haben schon mehrere Werke herausgebracht: über Wandlung, Engelreligion und das Credo. Wie sehr freuen Sie sich auf den Start des Buchs über Tier-Theologie?
Auf einer Skala von eins bis zehn?
Ja.
8. Das ist mehr, als bei anderen Büchern. Das Thema hat es dringend verdient gehabt, angegangen zu werden. Bisher setzen sich Theologie und der christliche Glauben kaum mit dem Verhältnis von Mensch und Tier auseinander. Das ist sehr bedauerlich.
Warum ist das bedauerlich?
Es stimmt etwas nicht im Verhältnis zwischen Mensch und Tier. Auf der einen Seite rotten wir ganze Tierarten aus, halten Tiere als Fleischressourcen in furchtbaren Mastanlagen. Und auf der anderen Seite werden Haustiere verhätschelt und vermenschlicht. Wir reagieren immer über. Da haben wir aus Sicht des christlichen Glaubens etwas zu sagen, weil wir davon ausgehen, dass die Tiere Schöpfung des gleichen Gottes sind, der auch die Menschen und die Pflanzen geschaffen hat.
»Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.« (Joh 1,29)
Das Buch
"Alles was atmet" kostet 26,95 Euro. Das Buch umfasst 320 Seiten und ist in drei Kapiteln mit jeweils sieben Abschnitten aufgeteilt. Die Überthemen sind das Verhältnis von Mensch zu Tier, Tierethik sowie Tier-Eschatologie. Zeichnungen der Dortmunder Studentin Alexandra Weber (siehe unten) begleiten das Buch.
Der neue Ansatz ihres Buches ist, die Bibel ausgehend von den Tieren und nicht mit den Tieren als Nebendarsteller zu betrachten. Sind aber Tiere nicht nur das?
Ich finde auch, dass die Tiere in der Bibel eher ein Randaspekt sind. Das hängt auch damit zusammen, dass das Gottesbild der Bibel sich bewusst vom Gottesbild der heidnischen Götter abgrenzen will, die überwiegend in Tiergestalt auftreten. Darum gibt es in der Bibel keine wirkliche Nähe zwischen Gott und Tier. Das ist auch ein Mangel der Bibel.
Welche Erkenntnisse hat ihr neuer Blick auf die Tiere hervorgebracht?
Tiere zeigen, dass es anderes Leben als das menschliche gibt. In der Schöpfungsgeschichte stellt Gott Adam die Tiere zur Seite, bevor er die Frau schafft. Adam gibt ihnen Namen und erkennt dass Tiere keine ebenbürtigen Geschöpfe, nicht nach seiner Art, sind. Das bedeutet nicht, dass die Tiere nicht gut genug für den Menschen sind. Sondern: Der Mensch ist nicht allein mit sich in dieser Welt. Die Welt ist nicht nach menschlicher Art geregelt. Wir sind nicht Herr über alles.
Was hat das für Konsequenzen für unsere Gottesbeziehung?
Ich würde sagen: Wer die tierliche Andersartigkeit nicht mehr wahrnehmen kann, der wird auch Schwierigkeiten haben, Gott wahrzunehmen. Gott ist – wie die Tiere auch – ein anderes Lebewesen als der Mensch. Wir müssen ihn in seiner Andersheit würdigen, ohne ihm deswegen fern zu sein.
Viele Erfahrungen zwischen Mensch und Tier und Mensch und Gott sind gleich. Tiere wenden sich Menschen unabhängig von deren Leistung oder Schuld zu. Wenn das kleine Kind mit dem Hund kuschelt, verdient es seine Liebe, ohne dafür etwas geleistet zu haben.
Glauben Sie, dass Tiere auch in einer Beziehung zu Gott stehen?
Einmal kann man sagen, dass sie durch ihr Sein Gott loben. Durch ihre Fröhlichkeit, den schönen Gesang, die Lebendigkeit. Das ist aber nicht bewusst. Was Tiere für eine Gottesbeziehung haben, ist schwer zu ergründen. Ich würde sagen: Sie wissen, dass es andere Arten gibt und deswegen sind sie mit einem Bewusstsein der höheren Mächte ausgestattet. Das ist schon eine Art Gottesbeziehung.
»Der Mensch ist verantwortlich für das Wohl der ihm anvertrauten Tiere. Wenn Mensch und Tier zusammenleben, dann hat der Mensch dafür zu sorgen, dass das gut gelingt.«
Thomas Ruster
Professor für Systematische Theologie an der TU Dortmund
In ihrem Buch behandeln sie auch die Tierbestimmungen im Buch Levitikus. Da geht es in Kapitel 11 darum, welche Tiere als rein und unrein gelten, welche Tiere gegessen und geopfert werden dürfen. Hat das überhaupt eine Botschaft für uns heute?
Die Tierbestimmungen waren Tierschutzgesetze. Nur Rinder, Schafe und Ziegen waren essbar, die allermeisten Tiere waren zum Verzehr verboten. Wenn die unreinen Tiere abscheulich genannt werden, bedeutet das, dass sie nicht zu unserer Lebenswelt gehören. Die Menschen sollen sie in Ruhe lassen. Es ist abscheulich, sich in die fremde Lebenswelt der Tiere einzumischen.
Heute hat man nicht gerade den Eindruck, dass Tiere in ihrer Welt in Ruhe gelassen werden…
Ja, heute wird alles dem menschlichen Interesse untergeordnet.
Das könnte doch auch davon kommen, dass es in Genesis 1,28 heißt: „Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde und unterwerft sie sie euch und herrscht über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen!“
Die Aussage der Textstelle ist: Der Mensch ist verantwortlich für das Wohl der ihm anvertrauten Tiere. Wenn Mensch und Tier zusammenleben, dann hat der Mensch dafür zu sorgen, dass das gut gelingt.
Und da sagten sie zu Beginn des Gesprächs, dass in dem Zusammenleben etwas nicht stimmt. Was hat das für uns Menschen für Konsequenzen?
Wir haben die Beziehung zur Lebendigkeit verloren. Lebendigkeit heißt ja: überraschend, nicht vorhersehbar. Tiere lehren uns das. Zum Beispiel wenn wir einen Hund streicheln: Kommt der Hund näher, lässt er sich streicheln, beißt er mich? Wir setzen heute Maschinen an die Stelle von Tieren und werden dadurch selbst immer maschinenartiger. Wir versuchen eine Welt zu konstruieren, die man dirigieren kann. An und ausschalten. Das tut uns gar nicht gut.
»Aber alles, was in Meeren oder Flüssen lebt, alles Kleingetier des Wassers und alle Lebewesen, die im Wasser leben und keine Flossen oder Schuppen haben, seien euch abscheulich.« (Lev 11,10.11)
Immer mehr Menschen verzichten heute auf Fleisch und tierische Produkte. Wie blicken sie auf die Diskussion, nachdem Sie sich so intensiv mit Tieren auseinandergesetzt haben?
Wenn Tiere einem so nahekommen, fällt es schwer, einfach so reinzuhauen, wenn es mal einen Braten oder Currywurst gibt. Ich sehe das lebende Tier dahinter. Auch Tiere können leiden, Angst und Schmerzen haben. Das ist das, was uns mit Tieren am meisten verbindet.
Was muss sich dann ändern?
Wir gehen davon aus: Warum sollen wir kein Fleisch essen? Diese doofen Veganer stören unseren Frieden am Tisch! Wenn wir Tiere und das Tierleid wahrnehmen, kehrt sich die Beweisrichtung um: Warum isst du überhaupt noch Fleisch? Darauf gibt es vielleicht auch Antworten. Aber in der Regel würde ich sagen: Wir sollten begründen, warum wir Fleisch essen und nicht, warum wir darauf verzichten. Das ist gerade für den Raum der Kirchen ein wichtiges Thema, weil da wenig Sensibilität herrscht.
Die meisten Vegetarier, die ich kenne, verzichten nicht aufgrund einer religiösen Motivation.
Ja, und wenn man aufs Pfarrfest geht, gehört dann ein Würstchenstand und der Schwenkgrill dazu. Diese Gedankenlosigkeit, die wir uns zugelegt haben, ist höchst verdächtig. Tiere werden ja nicht nur zur Fleischressource gemacht, sondern sie werden als solche auch unsichtbar. Vielleicht könnte man eine Faustregel aufstellen, die eher illusorisch ist: Man darf nur das Fleisch von Tieren essen, die man selbst aufgezogen hat – so wie es früher de facto war. Dann würde man viel zurückhaltender werden. Oder wenn über den Supermarktregalen Bilder von Mastanlagen hängen würden.
Herr Ruster, vielen Dank für das Gespräch.