Aus dem Archiv: Junge Menschen finden oder haben ganz andere Glaubensquellen als ihre Eltern und Großeltern – wohin führt das? Ein Interview mit Kirchenentwickler Msgr. Dr. Michael Bredeck
Monsignore Dr. Michael Bredeck, in einem Gespräch über die Zukunft der Kirche sagten Sie: „Von meiner Generation ist nicht mehr viel zu erwarten, wir verwalten den Niedergang der Kirche. Also sollen, ja müssen, die jungen Menschen die Kirche verändern“. Stehen Sie dazu?
Dass von meiner Generation nichts mehr zu erwarten ist, möchte ich so nicht sagen. Aber: Von ihr ist eher nicht zu erwarten, die Kirche mit wirklich neuen Ideen zu gestalten und so zu verändern, wie es Ihre Generation derzeit schon vielfach lebt. Meine Generation geht, wenn sie Verantwortung übernimmt, in der Regel von dem Kirchenbild aus, das wir aus unserer Jugend kennen. Deshalb stehe ich zu der Aussage, dass wir diese Form von Kirche, aus der meine Generation stammt, „abwickeln“ werden.
Wie kann man das machen, eine Form von Kirche abwickeln?
Indem wir ehrlich benennen, dass ein Ende dessen, was wir kennen, gekommen ist. In dieser Flächendeckung und Größe, in dieser Sattheit und gesellschaftlichen Verwurzelung ist die „Volkskirche“ zu Ende. Das ist zwar schon häufig gesagt worden, aber es ist immer der erste Schritt, sich das wirklich persönlich einzugestehen. Es ist die Voraussetzung, um neu anzusetzen und einen Schritt weiterzukommen.
Einen Schritt zurück. Sie haben gesagt, dass Kirche nicht wieder so sein wird, wie Sie es in Ihrer Jugend erlebt haben. Wie haben Sie Kirche denn erlebt?
An sich bin ich da ein schlechtes Beispiel, weil ich als Jugendlicher in der Kirche nicht so aktiv war. Es war eine Gemeinde mit 3.500 Katholiken in einem Stadtteil meines Heimatsorts Lünen. Darüber hinaus kannte ich kirchlich so gut wie nichts, außer der Gemeinde meiner Oma in Dortmund. Ich hatte auch mit der anderen Kirchengemeinde im selben Ort überhaupt nichts zu tun. Jede Gemeinde hatte eigene Priester, den Kinderchor, Jugendkreis und ihre Feste. Da lief Jahraus-Jahrein dasselbe, nur mit anderen Leuten. Später, als Vikar, habe ich die ausgehende Zeit dieses Modells auch noch sehr genossen.
Und heute?
Heute gibt es diese Selbstverständlichkeit im Leben der Kirchengemeinden nur noch an wenigen Stellen. Die Gemeinden, Gruppen, Verbände etc. müssen übergreifend zusammenrücken. Gleichzeitig ist spürbar, dass diese fast vereinsförmige Form der Kirche auch Leute, die wirklich sehr religiös sind, nicht mehr interessiert. Ein Unterschied zwischen meiner Jugend und heute ist, dass es früher neben den Gemeinden nur die Verbände gab. Heute sieht das viel differenzierter aus: Da entwickelt sich eine digitale Kirche, es gibt Initiativen wie Nigthfever und YOUNG MISSION, lokale Events zum Beispiel auf Dekanatsebene, dazu sehr profilierte Orte wie Hardehausen, die für jüngere Leute sozusagen ihre Gemeinde sind.
Die Frage ist, ob wir im Bistum noch stärker Orte für junge Erwachsene bräuchten. Manchmal denke ich darüber nach, dass wir einen größeren Teil des pastoralen Personals aus den Kirchengemeinden freistellen sollten, damit sie für drei Jahre nur für so etwas wie YOUNG MISSION, Pilgerreisen nach Assisi oder auch als Wanderprediger im Bistum arbeiten können. Natürlich würde das viele Konflikte hervorrufen, weil sie ja „vor Ort“ fehlen würden. Aber ich bin auch davon überzeugt, dass so etwas als Experiment richtig wäre. Das hätte zwei Voraussetzungen. Die eine wäre, dass das Personal dazu fähig ist und dafür beauftragt wird. Das andere ist, dass das Personal, das in den Gemeinden verbleibt, nicht darauf neidisch sein darf und den Einsatz der Kollegen und Mitbrüder mitträgt.
Ist das Modell überhaupt realistisch?
Derzeit sieht es nicht danach aus. Aber natürlich ist so etwas realistisch, wenn es einmal so entschieden würde. Eine solche Entscheidung kann man treffen, da spricht ja nichts gegen.
Wie würde so etwas entschieden werden?
Es müsste eine Entscheidung fallen, so etwas mal auszuprobieren, vielleicht mit drei oder fünf Personen für ein Jahr zu starten. Vermutlich müsste eine solche Entscheidung gut abgestimmt sein mit den Diözesanen Gremien und es bräuchte sicher auch eine intensive Auswertung eines solchen Experiments. Und natürlich müsste der Widerstand, den es dagegen geben wird, einkalkuliert werden.
»Der Glaube an Gott wurde stark mit einer Art gelebtem Vereinsleben in der Kirche beziehungsweise Gemeinde gleichgesetzt. Die persönliche Beziehung zu Gott, die sich stärkt aus dem Gebet und den Sakramenten, dem Sprechen über das Evangelium, dem Engagement für konkrete Menschen – diese persönliche Ebene wurde meistens vorausgesetzt, aber nicht explizit thematisiert. «
Monsignore Dr. Michael Bredeck
Leiter des Bereichs Entwicklung und Kommunikation im Erzbischöflichen Generalvikariat
Sie arbeiten seit gut zehn Jahren an der Zukunft der Kirche von Paderborn – wie sieht diese Ihrer Meinung nach aus?
Vieles davon ist schon beschrieben, Konturen sind im Grunde klar: Die heutigen Gemeinden werden deutlich kleiner werden: weniger Gläubige, weniger Ressourcen stehen ihnen zur Verfügung. Daneben werden profilierte kirchliche Orte neue Bindungsformen hervorbringen. Das Gemeindeverständnis wird sich also deutlich ausdifferenzieren und die Gläubigen werden weitgehend selbst bestimmen, was sie als „ihre“ Gemeinde sehen.
Es wird auch eine größere Bedeutung von Netzwerken geben: Ich bin davon überzeugt, dass es in Zukunft nicht mehr ohne kleine Gruppen beziehungsweise kleine Glaubensgemeinschaften gehen wird. Als Christin und Christ bist du in diesem großen Meer von säkularen Freundinnen und Freunden verloren, wenn du nicht zu einer Gruppe oder Weggemeinschaft gehörst, bei der du weißt, dass der gemeinsame Glaube wichtig ist. Das heißt aber nicht, dass nur kleine Gruppen Zukunft haben.
Sondern?
Es wird eine Mischung sein. Der Nährboden des Glaubens wird durch Kleingruppen generiert werden, zum Beispiel in dem man sich über das Evangelium austauscht, das eigene Leben im Licht des Evangeliums reflektiert, Hausgottesdienste feiert etc. Das kann auch digital sein – und ich hoffe, dass sich auch Priester daran beteiligen werden.
Es werden auch Gottesdienste in Gemeinden, Einrichtungen wie Schulen oder Dekanaten gefeiert werden, das wird ja nicht völlig verschwinden. Und dann wird die entscheidende Frage sein, wo Menschen den Nährboden für ihren Glauben finden.
Wurde in den Gemeinden der Glauben als Nährboden denn vergessen?
Ich würde es anders formulieren: Der Glaube an Gott wurde stark mit einer Art gelebtem Vereinsleben in der Kirche beziehungsweise Gemeinde gleichgesetzt. Das würde ich aus heutiger Sicht als das Versäumnis ansehen. Die persönliche Beziehung zu Gott, die sich stärkt aus dem Gebet und den Sakramenten, dem Sprechen über das Evangelium, dem Engagement für konkrete Menschen – diese persönliche Ebene wurde meistens vorausgesetzt, aber nicht explizit thematisiert. Das rächt sich jetzt, weil diese persönliche Ebene bei vielen gar nicht entstanden ist. Aber nur, wenn sie entstanden ist, hat man unter säkularem Druck gute Gründe, Christ zu sein.
Das bedeutet nicht, dass niemand geglaubt hat – es gab immer schon religiös begabte Menschen. Und viele Menschen konnten sich an den religiösen Formen, die sie kannten, festhalten, weil es auch andere gab, die das konnten.
Religiosität ist eine Begabung?
Ich bin der Auffassung, dass von 100 Menschen vielleicht maximal 15 eine religiöse Begabung haben oder religiös musikalisch sind, wie das auch formuliert wird. Dass sie von sich spüren: Wow, der Glaube ist wichtig für mein Leben. Für die allermeisten Menschen ist es aber harte Arbeit, sozusagen Training, in so eine Beziehung zu Gott kommen. Dafür brauchen sie gute Gründe, begeisternde Menschen oder überzeugende Lebensentwürfe.
Die persönliche Beziehung zu Gott, zu Jesus, die wurde und wird noch immer weitgehend vorausgesetzt – und es ist ja auch schwer, über diese persönliche Beziehung zu sprechen. Dass ich mich an Gott wende, ‚Du‘ zu ihm sage, dass Jesus für mich persönlich der Weg, die Wahrheit und das Leben ist und Antworten für mich hat auf meine Lebensfragen. Das ist in den Alphakursen, bei YOUNG MISSION und in vielen anderen Projekten ein Thema. Aber das hat mit der Gemeinde der 70er, 80er, 90er und 2000er nur wenig zu tun. Oder zumindest ich kenne nur wenig, was in diesen Jahrzehnten in diese Richtung angestoßen wurde.
Wenn ich ein junger Mensch vor Ort bin, etwas verändern möchte und stoße an Grenzen bei meinem Pfarrer oder den ehrenamtlich Verantwortlichen. Wie ermutigen Sie diese jungen Menschen?
Ich würde mir wünschen, dass wir solchen jungen Menschen von Paderborn aus oder auf Dekanatsebene ein Angebot machen oder sie unterstützen, sich digital zu versammeln, vorbei an den Hindernissen. Wenn es einen Konflikt gibt, dass sie keinen Raum bekommen, dann würde ich sagen: Trefft euch in einer Kneipe und wir finanzieren das. Keine Ahnung. Das darf an so etwas nicht scheitern.
Monsignore Dr. Bredeck, vielen Dank für das Gespräch.