Die Justitia mit Waage und Augenbinde gilt als Symbol für Recht und Gerechtigkeit.
08.09.2021
Miteinander

Dürsten nach Gerechtigkeit

Warum fällt uns Menschen Gerechtigkeit so schwer? Und was verstehen wir darunter?

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Von Lioba Vienenkötter

Gerechtigkeit ist eine der Kernfragen der Menschheit. Auch heute rufen viele danach: Es geht um Generationengerechtigkeit, Klimagerechtigkeit und Geschlechtergerechtigkeit. Aber was verstehen wir eigentlich unter dem Begriff? Und warum lohnt es sich, sich mit den eigenen Perspektiven zu beschäftigen?

Schreib über Gerechtigkeit! So lautet der Aufruf des Caritasverbandes Paderborn in Zusammenarbeit mit der young caritas, der Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit und YOUPAX für einen gemeinsamen Schreibwettbewerb. Junge Menschen sollen in einem beliebigen Textformat ihre Gedanken und Ideen vom komplexen Thema Gerechtigkeit festhalten. Wir von YOUPAX begleiten die Reihe und versorgen euch den ganzen September über jeden Donnerstag mit frischer Inspiration.

Das ist aber ungerecht! – Ich glaube, in meiner Kindheit war das mein meist gebrauchter Satz, der immer dann zum Einsatz kam, wenn ich das Gefühl hatte, dass meine Schwester besser behandelt würde als ich. Kein Zweifel, dieses Ungerechtigkeitsempfinden gab es auf beiden Seiten. Es war ein ständiger Begleiter unserer Kindheit – sehr zum Ärger unserer Eltern im Übrigen.

Gerade auf Klimademos wird nach Gerechtigkeit gerufen

Was uns als Kindern schon schwer viel, das wurde später nicht leichter: Natürlich störe ich mich jetzt nicht mehr daran, wer wie lange wach bleiben darf, schließlich sind wir beide erwachsen. Jetzt ärgert es mich, wenn ich gesellschaftliche Ungerechtigkeiten erlebe: Wenn Menschen auf der Straße aus rassistisch motivierten Gründen beleidigt werden, wenn Frauen nicht das gleiche Gehalt bekommen wie ihre männlichen Kollegen oder weil unsere Generation die Klimasünden der vorherigen ausbaden muss. Ungerechtigkeit ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Wie sieht es mit der Gerechtigkeit aus?

Wir müssen aufeinander zugehen, um Gerechtigkeit zu erlangen.

Gerechtigkeit - eine Utopie?

Ich habe darüber nachgedacht. Mir fällt kein Ort ein, an dem auf unserer Welt Gerechtigkeit herrscht, immer gibt es irgendetwas zu bemängeln. Vielleicht habe ich heute einen schlechten Tag, aber vielleicht fällt uns Menschen die Einrichtung gerechter Verhältnisse auch einfach sehr schwer. Oder ist es gar utopisch in einer gerechten Welt leben zu wollen?

Vielleicht hilft es, sich über die Philosophie der Gerechtigkeit nähern zu wollen. Wegweisend ist da John Rawls Eine Theorie der Gerechtigkeit. Der Philosoph definiert darin zwei Gerechtigkeitsgrundsätze, die auf dem Prinzip der Gleichheit beruhen. Gerechtigkeit herrsche dann, wenn erstens alle Menschen die gleichen Rechte und Freiheiten haben. Zweitens müssen alle Ungleichheiten so zu begründen sein, dass sie zum Vorteil der Schwächsten ausfallen und trotzdem dazu führen, dass allen der Zugang zu allen Ämtern und Möglichkeiten offensteht. In dieser Theorie ist eine Gesellschaft also auch dann gerecht, wenn einige mehr oder Anderes bekommen als andere, so lange die weniger Begüteten keinen Nachteil dadurch haben. Gerechtigkeit und Gleichheit sind also nicht als gleichbedeutend zu verstehen.

Das Gleichnis vom Weinberg

Ähnlich steht es tatsächlich auch in der Bibel und zwar im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg:

Denn mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer, der früh am Morgen sein Haus verließ, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben. Er einigte sich mit den Arbeitern auf einen Denar für den Tag und schickte sie in seinen Weinberg. Um die dritte Stunde ging er wieder auf den Markt und sah andere dastehen, die keine Arbeit hatten. Er sagte zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg! Ich werde euch geben, was recht ist. Und sie gingen. Um die sechste und um die neunte Stunde ging der Gutsherr wieder auf den Markt und machte es ebenso. Als er um die elfte Stunde noch einmal hinging, traf er wieder einige, die dort herumstanden. Er sagte zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag untätig herum? Sie antworteten: Niemand hat uns angeworben. Da sagte er zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg! Als es nun Abend geworden war, sagte der Besitzer des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter, und zahl ihnen den Lohn aus, angefangen bei den letzten, bis hin zu den ersten. Da kamen die Männer, die er um die elfte Stunde angeworben hatte, und jeder erhielt einen Denar. Als dann die ersten an der Reihe waren, glaubten sie, mehr zu bekommen. Aber auch sie erhielten nur einen Denar. Da begannen sie, über den Gutsherrn zu murren, und sagten: Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleichgestellt; wir aber haben den ganzen Tag über die Last der Arbeit und die Hitze ertragen. Da erwiderte er einem von ihnen: Mein Freund, dir geschieht kein Unrecht. Hast du nicht einen Denar mit mir vereinbart? Nimm dein Geld und geh! Ich will dem letzten ebenso viel geben wie dir. Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Oder bist du neidisch, weil ich (zu anderen) gütig bin? So werden die Letzten die Ersten sein und die Ersten die Letzten. (Mt 20,1-16)

Auch wenn es für die Arbeitenden ungerecht erscheint, dass sie trotz unterschiedlicher Arbeitszeiten das gleiche Gehalt bekommen, geht es im Gleichnis gerecht zu, wie der Weingutbesitzer betont. Denn im Endeffekt bekommen jeder so viel, wie vorher vereinbart wurde: Alle bekommen so viel, wie sie benötigen.

Gerechtigkeit ist ein zentrales Narrativ in der Bibel: Immer wieder geht es um die Gerechtigkeit Gottes und die Suche nach den gerechten Menschen. Gerecht meint dabei vor allem die Art der Beziehung zwischen den Menschen, beziehungsweise der Beziehung zwischen Gott und den Menschen. Wenn sich die Menschen an Gottes zehn Gebote halten, leben sie gerecht und werden von ihm belohnt. Diese Belohnung verspricht auch Jesus in seinen Seligsprechungen der Bergpredigt: „Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.“ (Mt 5,6). Gleichzeitig markiert die Ausrichtung auf die Zukunft aber auch, dass Gerechtigkeit den Menschen erst im himmlischen Paradies widerfährt.

Gott ist ein gerechter Gott

Wie im Himmel so auf Erden?

Gibt es Gerechtigkeit also nur im Himmel und nicht auf Erden? Oder müssen wir uns nur mehr darum bemühen?

Ich denke, es ist schon ein guter Schritt, Sich damit zu beschäftigen, was Gerechtigkeit für einen bedeutet. Ab wann ist etwas gerecht? Bevor wir Gerechtigkeit erlangen können, müssen wir für uns klären, was wir darunter verstehen.

Lasst uns also über dieses Thema ins Gespräch kommen! Eine gute Gelegenheit ist der Schreibwettbewerb der Caritas Paderborn. Hier sind junge Menschen dazu aufgefordert, sich darüber Gedanken zu machen, woher Gerechtigkeit kommt und wie wir sie wahrmachen können. Wenn du zu diesem Diskurs beitragen möchtest, dann findest du alle weiteren Informationen, sowie die Einladung zu verschiedenen Schreibworkshops auf der Homepage der Caritas.

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