Pro und Contra zur neuen EU-Reform des Urheberrechts
Dass das Urheberrecht ein Update braucht, darüber sind sich alle einig. Das aktuelle Gesetz ist für die Verbreitungslogik von CDs und gedrucktem Papier gemacht. Nicht fürs Internet. Musiker, Schriftsteller, Videoproduzenten sollen für ihre Werke fair bezahlt werden. Auch das ist Konsens. Nur, wie kann das geschehen? Das EU-Parlament hat am Dienstag, 26. März, einer Reform des Urheberrechts zugestimmt.
Macht damit die Politik das Internet kaputt? Darüber streiten sich nicht nur die Geister, sondern auch die YOUPAX-Autoren Tobias Schulte und Till Kupitz. Während Tobias Schulte der Reform Gutes abverlangt, denkt Till Kupitz, dass die Politik eine schlechte Entscheidung getroffen hat.
Die EU-Urheberrechtsreform erklärt:
1. Worum geht es in den umstrittenen Artikeln elf und 13 (mittlerweile 15 und 17)?
Folgendes Beispiel: Ein Nutzer lädt auf YouTube ein Video hoch. Darin ist ein Lied zu hören, das der Nutzer zwar privat hören, aber nicht veröffentlichen darf. Bislang ist das Video einfach online gegangen. Der Nutzer haftet für seinen Rechtsverstoß. YouTube musste erst eingreifen, wenn es davon wusste – also wenn sie selbst das Video geprüft hatten oder jemand sie darauf hingewiesen hat.
Mit der Reform sollen nun die Plattformen für die Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzer haften. Damit gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder YouTube schließt einen Lizenzvertrag mit dem Urheber des Liedes ab oder das Video darf nicht hochgeladen werden. So oder so muss YouTube alle Videos prüfen, bevor sie hochgeladen werden dürfen. Dafür nutzen die großen Plattformen in Zukunft wahrscheinlich Uploadfilter. Im Gesetzt steht das Wort Uploadfilter allerdings nicht.
2. Muss jede Plattform die Videos prüfen, bevor sie hochgeladen werden?
Nein. Die Urheberrechtsreform (Artikel 17 Absatz sechs) nimmt Plattformen davon aus, die es in der EU weniger als drei Jahre gibt und die weniger als 10 Millionen Euro Umsatz pro Jahr machen. Dazu gehört auch Wikipedia als nicht kommerzielle Seite. Allerdings sind davon ausgenommen wiederum Seiten, die mehr als fünf Millionen eindeutige Besucher im Monat haben.
3. Ab wann spüren wir Auswirkungen des Gesetzes?
Damit das Gesetz beschlossen ist, müssen ihm die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder im Europäischen Rat zustimmen. Danach ist es die Aufgabe der einzelnen Länder, die neue Richtlinie in ihrem nationalen Recht umzusetzen. Bei der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) war das genauso. In Deutschland wurden die Änderungen auf den letzten Drücker eingeführt.
4. Gibt es bisher keine Uploadfilter im Internet?
Doch, Google zum Beispiel betreibt einen Filter namens Content ID. Der Konzern wirbt damit, dass Rechteinhaber, also zum Beispiel Musiker, das Tool nutzen, "um ihre Inhalte auf YouTube im Handumdrehen zu identifizieren und zu verwalten", so schreibt der Konzern. Weiter heißt es: "Auf YouTube hochgeladene Videos werden geprüft und mit einer Datenbank verglichen, in der Dateien gespeichert sind, die von Rechteinhabern an uns übermittelt wurden. Urheberrechtsinhaber entscheiden darüber, was geschieht, wenn Inhalte in einem Video auf YouTube mit einem ihrer eigenen Werke übereinstimmen."
Genau da liegt auch der Unterschied zu den neuen Uploadfiltern: Bisher leitet YouTube Verstöße lediglich an die Urheberrechtsinhaber weiter. Mit der neuen Reform muss YouTube selbst aktiv werden und illegale Inhalte schon vor dem Hochladen identifizieren und blockieren. Ansonsten haftet YouTube für die rechtswidrigen Inhalte der Nutzer. Der neue Uploadfilter muss nicht mehr nur Musik, sondern auch Bilder, Videos und Texte auf Verstöße prüfen.
„Warum es Youtube nächstes Jahr nicht mehr gibt“ – mit diesem Video hat YouTuber „Wissenswert“ Stimmung gegen die EU-Urheberrechtsreform gemacht. Er befürchtet, dass YouTube nach der Reform alle kleineren Kanäle, die nicht zu großen Medienkonzernen gehören, dichtmacht. Sein Argument: YouTube wolle sicher keine Milliardenstrafen wegen Urheberrechtsverletzungen riskieren.
Das Internet der Amateure würde zum Internet der Profis. Man könnte es auch anders sehen: Das Internet würde zur Plattform derer, die das Urheberrecht beachten und die nicht andauernd dagegen verstoßen.
Am Tag der Entscheidung des EU-Parlaments veröffentlicht "Wissenswert" ein neues Video. Der Titel diesmal: „ARTIKEL 13 BESCHLOSSEN - Was passiert jetzt?“. Er sagt: „Grob gesagt betrifft es jeden Kanal oder Account, der nicht nur Videos oder Fotos erstellt, die er zu 100 Prozent selbst erschaffen hat oder dafür keine Lizenzvereinbarung abschloss.“ In dem Video beschreibt er, dass auf YouTube und Co. ununterbrochen Urheberrechtsverletzungen begangen werden. In Reaction Videos, Let’s Plays und auf Wissenskanälen. Schluss damit.
Seine Befürchtungen teilen die vielen Demonstranten. Zu Tausenden gingen (vermehrt junge) Menschen in Deutschland und ganz Europa in den Tagen vor der Reform-Entscheidung auf die Straße, um insbesondere gegen Artikel 13 zu protestieren. Aus zwei Gründen sind die Befürchtungen nicht nachvollziehbar. Erstens, weil Google und Facebook sich ins eigene Fleisch schneiden würden, wenn sie nur noch Videos von Medienkonzernen freigeben würden. Die Plattformen sind gerade durch den individuellen Content der vielen kleinen Player großgeworden. Zweitens, weil diese Ansicht einen Verstoß gegen das Urheberrecht als Kavaliersdelikt darstellt.
Dass YouTuber beim Posten nicht aufs Urheberrecht achten, scheint eng damit vernetzt, dass im Netz doch alles scheinbar umsonst ist. Account bei Instagram? Kostet nichts, außer ein paar Daten. Journalistische Inhalte? Viele frei verfügbar. Wer zahlt schon für Spiegel Plus, Zeit Plus oder ein Abo der regionalen Tageszeitung. Und Lieder? Können von YouTube aufs Handy gedownloadet und weiterverbreitet werden. Vielleicht braucht es jetzt mit der Urheberrechtsreform einen Knall, der Politik und Netzgemeinde aufweckt.
Zu gern würde man YouTuber "Wissenswert" fragen, ob die in seinem Video verwendeten Bilder vom Europaparlament, Angela Merkel und Youtube-Chefin Susan Wojcicki zur freien Verfügung stehen oder geschützt sind. Also ob der Beitrag überhaupt hätte erscheinen dürfen.
Wer über die Reform diskutiert, muss sich zunächst an die eigene Nase packen. Ich bin im Internet eher Zuschauer. Voll analog, ey. Wenn ich etwas poste, dann meist auf YOUPAX und dessen Social Media Kanälen. Wir als Redaktionsteam achten darauf, das Gedankengut von anderen Menschen als solches zu kennzeichnen. Wir verwenden Bilder, die wir selbst geschossen haben, die uns zur Verfügung gestellt wurden, oder die von Internetseiten lizenzfrei angeboten werden. Der Uploadfilter – das sind wir selbst mit unseren journalistischen und ethischen Standards. Warum sollten YouTuber weiter nach viel lascheren Regeln produzieren und damit Geld verdienen dürfen?
Die Frage, die völlig zu Recht gestellt wird, lautet: Wie kann die Reform umgesetzt werden? Können zum Beispiel Uploadfilter erkennen, ob sich ein Video mit einem geschützten Foto im Rahmen des Zitatrechts auseinandersetzt oder nicht? Sicher nicht mit 100-prozentiger Trefferquote.
Wer Zensur durch YouTube, Instagram und Facebook befürchtet, dem kann ein Blick auf die Folgen des ebenfalls heftig umstrittenen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes nahegelegt werden. Im Sommer 2017 wurde kritisiert, dass das Gesetz die Meinungsfreiheit im Internet einschränkt. Die Logik: Aus Angst vor möglichen Strafen könnten potenziell beleidigende Äußerungen eher gelöscht statt stehengelassen werden. Es kann zu Overblocking, also dem vermehrten Löschen von legalen Inhalten, kommen. Ist das so eingetreten? Diese Frage kann jeder selbst beantworten.
Gewarnt wird nun auch davor, dass durch die Urheberrechtsreform Chancenungleichheit im Internet befeuert wird. Nur Google besitze einen zuverlässigen Uploadfilter. Kleinere Plattformen könnten Googles Dienst nutzen und das teuer bezahlen. Die Folge: Die Kleinen machen sich abhängig vom Großen. Die Reichen werden noch reicher.
Hier könnte die Politik handeln und verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Sie könnte die Forschung von künstlicher Intelligenz, die in Deutschland schon breit gefächert ist, unterstützen. Mit kleineren Plattformen zusammen könnten die EU-Staaten ein bezahlbares Tool entwickeln, um Videos vor dem Upload zu kontrollieren. Immerhin sind noch über zwei Jahre Zeit, bis das Gesetz wirksam wird.
Eines vorweg: Im Großen und Ganzen halte ich die Reform für sinnvoll. Ich selbst kennzeichne fremde Quellen immer deutlich und lade nur Dinge hoch, für die ich auch die Rechte habe - das sollte endlich auch für YouTuber gelten. Illegales gehört bestraft.
Allein der fehlgeratene Artikel 13 lässt die positiven Seiten der Reform jedoch in seinem Schatten verschwinden. Er gefährdet das Internet, wie wir jungen Leute es kennen und lieben.
Dass kommerzielle Plattformen wie YouTube es schaffen, Lizenzen für alles zu bekommen, was die Nutzer posten könnten, ist Wahnsinn. Doch genau dazu werden sie durch die Reform aufgefordert - ein unmögliches Unterfangen, gerade für kleine und nicht so finanzstarke Plattformen. Also bleibt nur Option zwei übrig: die Nutzer schon daran hindern, unerlaubte Inhalte ins Netz zu stellen. Das geht - Stand jetzt - nur durch Uploadfilter. Die wurden im Koalitionsvertrag von Union und SPD noch als "unverhältnismäßig" abgelehnt. So macht sich die Politik nur noch unglaubwürdiger bei jungen Menschen. Aber was interessiert mich mein Gerede von gestern...
Übrigens: YouTube nutzt derzeit schon einen solchen Filter, das sogenannte Content-ID-System. Allerdings müssen Rechteinhaber dafür ihre Werke aktiv auf YouTube hochladen, damit die Software illegale Kopien erkennen und blockieren kann. Nach der Reform muss YouTube nun selbst aktiv werden und alle unerlaubten Kopien von Bildern, Videos, Musik oder Texten "ausfiltern". Ansonsten, das besagt ja die EU-Reform, muss YouTube Strafe zahlen. Da ist es nur logisch, dass solche Plattformen lieber ein paar Inhalte zu viel als zu wenig blockieren bzw. löschen. Wenn dadurch vielleicht massenhaft legale Meinungsäußerungen wie Parodien oder Remixe weggefiltert werden, ist der Weg zu einer Zensur nicht weit. Die Redefreiheit wird eingeschränkt, das freie Internet wäre Geschichte.
Die Entwicklung des YouTube-Filters hat Google im Übrigen etwa 100 Millionen Dollar gekostet. Wie soll das von kleinen, kommerziellen Plattformen gestemmt werden, liebe EU-Politiker? Auch junge Start-Ups können nur auf maximal drei Jahre Mutterschutz durch die Reform hoffen. Es bleibt nichts anderes übrig, als die Software-Lizenzen bei den Internet-Riesen Google und Co. zu kaufen. Dadurch wird deren Macht nur noch größer und größer - das kann nicht das Ziel der Urheberrechtsreform sein. Eine Reform zu verabschieden, ohne schon jetzt Lösungen für kleine Unternehmen aufzuzeigen, halte ich für fahrlässig.
Zumal auch die teuerste Technologie noch äußerst fehleranfällig sein kann, wie mitunter fast schon lachhaften Beispiele zeigen. Filter können nicht erkennen, ob es sich um Satire oder eine legale Nutzung nach dem Zitatrecht handelt. Wo also ist die Alternative zum Uploadfilter?
Nicht umsonst gingen zuletzt tausende (junge) Leute auf die Straße, um gegen die EU-Reform und Artikel 13 zu protestieren. Im digitalen Zeitalter sind wir längst nicht mehr nur Nutzer, sondern alle auch Urheber. Doch das neue Gesetz wurde nicht für uns neue Urheber gemacht, sondern nur für Verleger oder Plattenlabels. Dabei ist nicht einmal geregelt, wie viel Geld sie tatsächlich durch die Reform bekommen.
Ein sinnvoller Gegenvorschlag: Warum zahlen die Internet-Giganten, die Milliarden an Werbegeld in Europa verdienen, nicht in eine Art Fonds ein, aus dem dann die Kreativen bezahlt werden?
Jetzt sind fast alle zurecht aufgebracht: Datenschützer, die Internet-Plattformen, sogar große Konzerne und Rechteinhaber, die eigentlich davon profitieren sollten. Aus Angst vor einer Zensur aber auch vor allem die jungen Leute. Die Politiker haben ein Eigentor geschossen.