"Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe..."
25.09.2013

"Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe..."

SAINTS4LIFE: Franz von Assisi

Gemächlich laufe ich durch den Wald. Es riecht nach Herbst. Das Laub raschelt unter meinen Füßen. Ich genieße die Stille: Niemandem zu begegnen und meine Gedanken schweifen lassen zu können. Kein Wunder, dass das hier meine Lieblingsstrecke ist. Ich bin fast ein bisschen wütend, als ich mitten auf der Lichtung, die ich nun betrete, jemanden sitzen sehe. Als hätte mich der Mann gehört, dreht er sich plötzlich um. Er ist einen Moment lang genauso irritiert wie ich, hier in den Tiefen des Waldes jemandem zu begegnen. Dann verändert sich sein Gesicht zu einem Lächeln. Er hebt langsam seine linke Hand und schlägt sie sanft zwei Mal neben sich auf den Boden.

Nur langsam gehe ich auf ihn zu. Ganz geheuer ist mir dieser hagere Mann in der weiten braunen Kutte nicht. Mit etwas Abstand setze ich mich ins platt gesessene Gras. Einen Moment lang schauen wir beide einfach in die Abendsonne. „So schön ist sie!“, sagt er unvermittelt hinein in die Stille. Ich weiß nicht recht, was er meint und sage daher nichts. „Die Sonne“, fügt er leise hinzu, wie zu sich selbst. „Gott ist die Freude. Deshalb hat er die Sonne vor sein Haus gestellt. Denkst Du nicht auch?“ Ich wende mich ihm zu und kann so direkt in seine Augen blicken. Er sieht mich zum ersten Mal richtig an. Seine Augen sind von tiefem Blau. In ihnen spiegelt sich eine Menge Lebenserfahrung. Sie müssen schon viel gesehen haben. Ich muss ihn ziemlich verwundert begutachtet haben, denn plötzlich lacht er laut auf. Dabei schüttelt sich sein ganzer Körper. So sonderbar er mir auch scheint, ich muss einfach mitlachen. Die anfängliche Angst fällt von mir ab.

Als wir uns wieder beruhigt haben, sagt er liebevoll: „Du hast eine Frage, oder?“ Ich hätte so viele, aber ich sage bloß halb fragend, halb bittend: „Können Sie mir von sich erzählen?“ Bevor er anfängt zu sprechen, löst er sich aus dem Schneidersitz, streckt seine Beine aus und stemmt beide Hände hinter seinem Rücken auf den Boden. Mir eröffnet sich so der Blick auf seine bloßen Füße. Die Erde hat ihre Spuren hinterlassen. Er muss schon einen langen Weg gegangen sein, denke ich im Stillen.

Ein Flügelschlag lässt mich aufhorchen. Eine Taube hat sich auf seiner Schulter niedergelassen. Mit dem Handrücken fährt er ihr durch das Gefieder. „Trommler Gottes nennt man mich, meine Liebe“, setzt er an. „Dabei habe ich nur ein paar Brüder zusammengetrommelt. Aber ja, es werden immer mehr“, sagt er fast ein bisschen besorgt. „Sagt dir die Stelle aus dem Matthäusevangelium, Kapitel 10, etwas?“ Ich muss schmunzeln. So bibelfest bin ich nun wirklich nicht. Er hatte es auch nicht erwartet. Gedankenverloren zitiert er: „Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe... Steckt nicht Gold, Silber und Kupfermünzen in euren Gürtel. Nehmt keine Vorratstasche mit auf den Weg, kein zweites Hemd, keine Schuhe, keinen Wanderstab ... “. Dann fügt er lauter hinzu: „So wollte ich mit meinen zwölf Brüdern leben - einfach in die Welt gehen und die Frohe Botschaft verkünden.“ Sanftmütige Demut schlägt mir entgegen. Ein großer Prediger und Seelsorger sitzt da vor mir. „Franz“, sage ich plötzlich und er sieht mich wieder an. „Und was meinst Du, sollen wir tun?“ Ich muss an die Kirche denken, die so manches Mal diesen Auftrag vergessen hat. Und an mich selbst. Er sagt sanft lächelnd und wohl wissend: „Wenn jeder einzelne darauf verzichtet, Besitz anzuhäufen, dann werden alle genug haben.“ Dann steht er auf. „Ich werde für euch beten“, sagt er zum Abschied. „Und Du, Du musst dir nur die Sonne anschauen, dann siehst du Gott - vergiss das nicht.“ Ich bleibe noch eine Weile sitzen, während er langsam aus meinem Blickfeld verschwindet. Seine wenigen Worte haben mich sehr nachdenklich gemacht. Will ich mich auf den Weg machen und Christus nachfolgen? Als ich gehen will, sehe ich einen kleinen Zettel vor mir auf dem Boden. In zittriger Handschrift steht dort geschrieben:

O Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens,

dass ich Liebe übe, wo man sich hasst,

dass ich verzeihe, wo man sich beleidigt,

dass ich verbinde, da, wo Streit ist,

dass ich die Wahrheit sage, wo der Irrtum herrscht,

dass ich den Glauben bringe, wo der Zweifel drückt,

dass ich die Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält,

dass ich ein Licht anzünde, wo die Finsternis regiert,

dass ich Freude mache, wo der Kummer wohnt.

Herr, lass du mich trachten:

nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;

nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;

nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.

Denn wer da hingibt, der empfängt;

wer sich selbst vergisst, der findet;

wer verzeiht, dem wird verziehen;

und wer stirbt, erwacht zum ewigen Leben.

Gebet des Heiligen Franziskus von Assisi

Isabella Henkenjohann

Unsere JUPA-Mitarbeiterin Isabella Henkenjohann ist für den Bereich "SAINTS 4 LIFE" zuständig und schreibt jeden Monat über eine spannende Begegnung mit einem Heiligen. Vorschläge können an redaktion@jupa-paderborn.de gesendet werden.

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