Es gibt Fragen, die halten mich gefangen. Meistens beginnen sie mit: „Warum…?“ – und wirken unmöglich zu beantworten: Warum lässt Gott zu, dass Menschen einander Böses tun? Warum gibt es das Leid? Warum hat der Tod immer noch so viel Macht, wenn Christus ihn doch besiegt hat?
Natürlich möchte ich vertrauen. Darauf, dass alles einen Sinn hat. Dass es Gott am Ende doch gut meint und dass das „Warum?“ nur unbeantwortet bleibt, weil ich mit meiner zeitlich-menschlichen Beschränktheit das große Ganze nicht durchschauen kann. Aber irgendwie reicht mir das nicht. Es fühlt sich nicht nach Befreiung an.
Zwei Wochen vor Ostern haben wir mit vielen jungen Menschen in der Pfadfinderkapelle St. Georg in Rüthen einen Film geschaut, der einen mit „Warums?“ nur so bombardiert: Philipp Mickenbecker - Real Life.
Es ist kein Spielfilm. Es ist eine Doku: die Geschichte von Philipp Mickenbecker, der auf YouTube mit dem Kanal The Real Life Guys unglaublich erfolgreich ist, dann unheilbar krank wird und stirbt. Der Film zeigt, wie ihn seine Freunde dabei begleiten – und welche Rolle der Glaube dabei spielt. Die Kamera ist überall dabei.
Ich wollte mich auf den Abend vorbereiten und den Film vorher allein schauen. Das sollte ich auf keinen Fall tun, rät man mir. Weil der Film so extrem sei, weil er so erschüttere, so viele Fragen aufwerfe: Warum? Wieso? Weshalb?
»Ich bin im Frieden.«
Philipp Mickenbecker
Also lade ich einen Freund ein. Wir schauen den Film gemeinsam, wir begleiten den jungen Mann von unserer Seite des Bildschirms aus bis an Sterbebett, wo er umgeben von Freunden und Familie seinen letzten Atemzug tut. Kurz danach ist der Film zu Ende.
Ich schalte den Fernseher aus – aber über den Film reden? Will ich nicht. Muss ich nicht.
Ich bin nicht irritiert. Ich bin weder entsetzt noch aufgelöst. Beeindruckt - ja, das bin ich. Auch gerührt. Aber mein intensivstes Gefühl ist ein anderes. Es ist das, was Philipp Mickenbecker selbst mit seinen letzten Worten sagt: „Ich bin im Frieden.“
Seine Geschichte füllt mein Herz mit Frieden, weil er selbst mit seiner Geschichte im Frieden scheint. Weil Philipp Mickenbecker Sätze sagt wie:
„Ich glaube in dem Moment, wo man nicht mehr nach dem Warum fragt, sondern nach dem Wozu und da was rausholen kann, da verändert sich einiges.“
Als Jesus am Kreuz ist, betet er mit den Worten aus Psalm 22: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Ich spüre seine Not. Aber muss ich mich auch fragen: „Musste das sein? Warum?“
In der Neuübersetzung der Bibel geht der Text einer anderen Facette nach, die das hebräische Original ermöglicht. Dann heißt das Gebet: „Mein Gott, mein Gott, WOZU hast du mich verlassen?“
Wie Philipp Mickenbecker es sagt: Dann verändert sich einiges. Im Moment von Schmerz und Leid hält dann nicht mehr ein „Warum?“ die Gedanken gefangen und schnürt das Herz zusammen, sondern das „Wozu?“ weitet das Herz und sucht nach Antworten.
Wozu?
Damit der Hauptmann wissen kann: „Wahrhaftig, das war Gottes Sohn!“ (Mt 27,54)
Wozu?
Damit Maria Magdalena eine Perspektive bekommt und Jesu Botschaft weitergeben kann: „Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.“ (Joh 20,17)
Wozu?
Damit der Jünger ins leere Grab steigen, sehen und glauben kann. Damit Petrus zu dem Gelähmten sagen kann: „Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, steh auf und geh umher!“ (Apg 3,6)
Wozu?
Für uns! Damit wir die Freiheit finden, die im Herzen beginnt, wenn das steinschwere „Warum?“ weggewälzt wird durch die auferstehende Dynamik des Wozu.
Diese österliche Erfahrung wünscht,
vielleicht unterstützt durch einen kleinen Filmabend,
von Herzen
Diözesanjugendpfarrer
Tobias Hasselmeyer