Christian Städter betet, indem er das Evangelium meditiert.
31.01.2022

Das ist das Ziel des Gebets

Über die Frage: Was will Gott mir damit sagen?

von Christian Städter

Oft läuft es in unserer Vorstellung so ab: Ich bin aufgewühlt, gestresst. Ich gehe in eine stille Kirche, setze mich da irgendwo hin, fange an zu beten und dann werde ich ruhig und mir geht es wieder gut. Das kann so vorkommen, macht aber nicht den Kern des Betens aus.

Im Beten pflege ich meine Beziehung mit Gott. Es meint gerade nicht, mir mal eine kurze und erholsame Auszeit von der anstrengenden Realität zu nehmen. Denn unser Glaube als Christen sagt: Gott und Realität – das gehört zusammen.

Gott und die Realität gehören zusammen

Mehr noch: Gott kommt in Jesus in unsere Welt. Das heißt: Es gibt keine himmlische Parallelwelt, in die ich mich zurückziehen kann, wenn ich mich nur gekonnt in irgendwelche Meditationstechniken einübe. Gott hat mich vielmehr in die Welt gestellt, um hier meinen Glauben zu leben. Und um am Reich, das Jesus verkündet hat, mitzubauen: ein Reich der Gerechtigkeit und des Friedens.

Natürlich kann und soll mir das Gebet auch Kraft schenken, wenn ich mich in die Stille zurückziehe und das Schwere und Belastende aus meinem Alltag vor Gott trage und dann vielleicht auch spüre: Gott steht an meiner Seite.

Aber vor allem sollen im Gebet mein Leben und die Realität, die mich umgibt, immer wieder eine Rolle spielen. Ich soll sie nicht verdrängen, sondern erwägen. Das heißt: Ich soll die Realität mit der Frage in Verbindung setzen: Was will Gott mir damit sagen?

»Es gibt keine himmlische Parallelwelt, in die ich mich zurückziehen kann, wenn ich mich nur gekonnt in irgendwelche Meditationstechniken einübe. Gott hat mich vielmehr in die Welt gestellt, um hier meinen Glauben zu leben.«

Christian Städter
Spiritual im Priesterseminar

Drei Pole der Aufmerksamkeit

Wie kann ich beten, um dem auf die Spur zu kommen? Mir hilft es, im Gebet meine Aufmerksamkeit auf drei verschiedene Pole zu lenken:

(1.) Einmal auf das, was um mich herum in der Welt geschieht: Was nehme ich wahr? Was höre ich? Was erzählen mir andere? Was sehe ich auf den Straßen, im Fernsehen, in der Zeitung? Womit habe ich oder haben andere Menschen zu kämpfen? Woran erfreuen wir uns? Was belastet uns?

(2.) Dann gibt es den Pol meines Inneren: Was löst das alles in mir aus? Was gibt es für innere Regungen in mir? Was sind meine Bedürfnisse und Sehnsüchte? Wohin zieht es mich in meinem Leben? Was möchte ich am liebsten tun oder am liebsten lassen?

(3.) Und der dritte Pol ist der Pol der Offenbarung, also alles, was von Gott kommt. Das meint in erster Linie natürlich das, was wir in der Bibel von und über ihn lesen. Theologen sprechen hier von der Selbstoffenbarung Gottes. Darüber hinaus sind damit auch all die Ausdrucksformen gemeint, die die Kirche im Laufe von 2000 Jahren gefunden hat, um den Glauben sicht- und hörbar zu machen: Gebete, Lieder, Symbole, Riten, Gottesdienstformen und so weiter.

Wie ich mit den Polen der Aufmerksamkeit bete

Wenn ich bete, schaue ich auf diese drei Pole und trage die Gedanken, die mir dabei kommen, vor Gott. Ich möchte das mal an einem konkreten Beispiel veranschaulichen. Was mich in meinem Leben momentan sehr bewegt, ist die Situation, in der sich gerade die Kirche in Deutschland befindet: Ich sehe, wie sie sich die Amtsträger – zu denen ich als Priester ja auch selbst gehöre – immer wieder in schlechtes, sündhaftes Verhalten verstrickt haben.

Das Aufdecken der Skandale, in denen es meist um Missbrauch und Geld geht, bringt dies schonungslos in die Öffentlichkeit. Und ich höre, wie viele Stimmen in der Gesellschaft die Kirche in ihrer jetzigen Form scharf bis herablassend kritisieren.

Dann schaue ich auf mich selbst. Ich nehme wahr, wie mich das leicht alles Richtung Traurigkeit, Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit zu ziehen droht. Aber zugleich spüre ich auch: Traurigkeit und Niedergeschlagenheit bringen mich nicht voran im Leben.

Was sagt mir die Bibel?

Schließlich schaue ich auf den Pol der Offenbarung: Ich lese in der Bibel, wie das Volk Gottes im Alten Testament immer wieder klagt, weil es darniederliegt und weil die Stadt Jerusalem zerstört ist.

Ich merke: Menschen, die sich mit Gott auf den Weg gemacht haben, haben immer schon ähnliche Erfahrungen wie ich gemacht. Auch Menschen, die wir als heilig bezeichnen, waren nicht davor geschützt, zusammenzubrechen.

Aber dann gibt es auch Propheten, die ins Klagen einstimmen und zugleich die Hoffnung hochhalten, dass das Volk wieder neu zusammenfinden und die Stadt Jerusalem wieder aufgebaut werden wird.

Was soll ich tun?

Darüber meditiere ich. Und ich merke: Es kann nicht darum gehen, dass ich das Schlechte und die Skandale ausblende, so tue und arbeite, als würde es sie einfach nicht geben. Vielmehr soll ich angesichts dieser Sachen im Glauben Kraft finden zum Arbeiten, zum Aufbauen, zum Aufbrechen.

Das Bild von der darniederliegenden Stadt Jerusalem, die wieder aufgebaut werden soll, damit sich darin das Volk wieder neu sammeln kann, ist für mich gerade in dieser Zeit ein Bild von starker Kreativität, ein Bild, das mich anspricht und mir Freude macht. Und irgendwie führt es mich zu der Frage hin: Und wo ist jetzt mein Platz? Was soll ich tun?

Beten ist keine Auszeit von der Realität

So ähnlich stelle ich mir auch das Gebet Jesu vor. Wenn Jesus sich nachts zurückzieht, um zu beten, hat er noch das im Ohr, was er tagsüber in den Städten und Dörfern gehört hat. Er schaut darauf, was sich in seinem Inneren regt – vom Mitleid Jesu ist oft die Rede in den Evangelien. Er betet einen der Psalmen, die er sicherlich auswendig kennt, und spürt der Frage nach: Vater, was soll ich tun? Was ist Dein Wille für mein Leben? Von Jesus lerne ich: Beten ist keine Auszeit vom Leben. Keine Auszeit von der Realität, sondern die Zeit, in der ich frage: Gott, was ist Dein Wille für mich im Hier und Jetzt? Und wo schenkst Du mir Kraftquellen, um diesen zu tun?

Wer sich weiter in das Modell der drei Pole vertiefen möchte, findet einige gute Hinweise in dem Buch "In der Kraft des Geistes" von Igna Kramp und Johanna Schulenburg.

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