22.10.2021
Das "Todestor" des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau
Das "Todestor" des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau
Politik

Gegen das Vergessen.

Die Rover Mareike und Florian darüber, was sie aus dem Besuch der Gedenkstätten Auschwitz und Auschwitz-Birkenau gelernt haben

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von Lioba Vienenkötter

Vom 10. bis zum 15. Oktober waren 30 Roverinnen und Rover des DPSG Diözesanverbandes Paderborn auf einer Gedenkstättenfahrt in Polen, um unter anderem die Gedenkstätten Auschwitz und Auschwitz-Birkenau zu besuchen. Roverinnen und Rover heißen in der DPSG (Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg) die Jugendlichen zwischen 16 und 21 Jahren. Unsere Autorin Lioba war auf der Fahrt dabei, um für euch zu berichten.

Mareike Trägner und Florian Hecker sind müde, als ich sie während der Busfahrt auf dem Weg von Krakau nach Dortmund interviewe. Kein Wunder: Hinter den 18-Jährigen liegen sechs bewegende und anstrengende Tage. Trotzdem berichten sie voller Energie von den Erlebnissen der Reise  – und von dem, was sie dadurch gelernt haben.

Florian Hecker und Mareike Trägner
Florian Hecker und Mareike Trägner

Eine Woche in Krakau, Auschwitz und Auschwitz-Birkenau geht zu Ende. Welcher Moment, welcher Ort ist euch aus dieser Woche besonders im Sinn geblieben?

Florian: Mir ist besonders der Besuch im Stammlager Auschwitz im Gedächtnis geblieben. Die Berge von Haaren, Brillen und Töpfen waren schon ziemlich krass. Es war bedrückend, diese Originalgegenstände zu sehen. Dadurch konnte man mehr begreifen, wie krass diese Massenvernichtung damals war. Wie organisiert die durchgeführt wurde.

Mareike: Besonders haben mich die Fotos und Videos berührt, die man im Museum im Stammlager sehen konnte – vor allem von Kindern. Ich konnte mir ziemlich gut vorstellen, wie sie in echt vor mir stehen würden und ich sie am liebsten nur in den Arm nehmen würde. Wir bekommen immer gesagt, welche Massen von Menschen das in den KZs waren – wie viele Millionen. Aber durch die Fotos hatte ich plötzlich ein Gesicht und nicht nur eine Zahl vor Augen. Und ich konnte mir die Menschen vorstellen.


An dieser Wand finden sich hunderte Fotos von Menschen jüdischen Glaubens, die den Menschen bei ihrer Ankunft in Auschwitz-Birkenau abgenommen wurden.
An dieser Wand finden sich hunderte Fotos von Menschen jüdischen Glaubens, die den Menschen bei ihrer Ankunft in Auschwitz-Birkenau abgenommen wurden.

Es ging bei der Führung, die wir in Auschwitz-Birkenau besucht haben, viel um das Leiden der Kinder und Jugendlichen, die oft kaum jünger waren, als ihr es seid. Inwiefern geht euch das besonders nahe?

Florian: Ich finde es halt bedrückend, dass die nicht wussten, was abgeht und dann ins Lager deportiert und umgebracht wurden. Die waren ja völlig unschuldig.

Mareike: Ich fand es krass, in Videos den Unterschied zwischen Opfern und Tätern zu sehen. Man sah Kinder in unserem Alter oder jünger, die den Hitlergruß gemacht haben. Und dann Kinder, die kurz vor der Vergasung standen. Es waren Kinder und Jugendliche im gleichen Alter, aber mit völlig unterschiedlichen Schicksalen. Und dann ist halt die Frage: Wo hätten wir gestanden?


Und wo hättet ihr gestanden?

Mareike: Als Nicht-Jüdin wäre ich nicht ins KZ gekommen. Aber es bleibt die Frage, was man dann gemacht hätte: Würde man mitmachen? Wäre man passiv und würde wegschauen? Oder würde man vielleicht sogar Widerstand leisten? Diese Fragen finde ich sehr schwierig zu beantworten.


Die Betten in der Kinderbaracke in Auschwitz-Birkenau. Auf jeder der drei Ebenen sollten bis zu 15 Kinder schlafen.
Die Betten in der Kinderbaracke in Auschwitz-Birkenau. Auf jeder der drei Ebenen sollten bis zu 15 Kinder schlafen.

Der Besuch der Orte war häufig belastend. Wie geht ihr mit dem Gesehenen und den neuen Informationen um? Wie bewältigt ihr eure Emotionen?

Florian: Ich denke so darüber nach und dann ist es irgendwann wieder gut. Hier in der Gruppe war es nach der Führung durch das KZ im Bus auch komplett still. Jeder musste das erstmal verarbeiten. Aber danach, beim Essen, ging es wieder aufwärts mit der Stimmung. Da muntert man sich gegenseitig wieder auf.

Mareike: Kurz nach den Besuchen im KZ brauchte ich Zeit für mich – Stille und auch eine Umarmung. Aber als ich ein bisschen Abstand gewonnen hatte, hat es mir gut getan darüber zu reden. Gerade auch in den Kleingruppen, in denen wir jeden Tag zusammengekommen sind.

Also war die Gruppe für euch eine große Stütze für euch?

Florian: Ja, auf jeden Fall. Ich denke, das war so eine sich selbst stützende Stütze. Jeder fängt jeden auf. Wenn ich das so sagen kann.

Es ging in dieser Woche viel um Schuld und Verantwortung. Das wurde zum Beispiel auch im Gespräch mit der Zeitzeugin Niusia Horowitz-Karakulska deutlich. Ihr beiden habt außerdem noch einen Workshop zu den Tätern im Nationalsozialismus besucht. Wie denkt ihr nun über die Themen Schuld und Verantwortung?

Mareike: Ich finde diese Begriffe sehr wichtig. Wir haben persönlich keine Schuld am Holocaust, weil wir einfach nicht die entsprechende Generation sind. Aber wir tragen auf jeden Fall die Verantwortung, dass es sich nicht noch einmal wiederholt.

 
Florian: Wir wären schuld, wenn wir das Wissen um den Holocaust nicht weitertragen würden.

Mareike:  Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass es immer wieder passieren kann. Auch wenn der Antisemitismus heute zum Glück nicht unter so vielen Menschen verbreitet ist, kann sich das ändern. Dazu habe ich im Museum in Auschwitz auch ein Zitat von Primo Levi gefunden, das mir besonders in Gedanken geblieben ist. Es geht darin darum, dass der Holocaust noch einmal geschehen kann, weil er schon einmal geschehen ist. Und ich glaube, dass das vielen Menschen nicht bewusst ist.

Das Mahnmal in Auschwitz-Birkenau erinnert an die Toten und lädt zum Gedenken ein.

»It happend, therefore it can happen again: this is the core of what we have to say.«

Primo Levi
1919-1987, Holocaust-Überlebender

Auschwitz-Birkenau war ein VErnichtungslager von unvorstellbarer Größe

Auf dem Heft, das wir zur Begleitung der Gedenkstättenfahrt bekommen haben, steht „Gegen das Vergessen.“ Was bedeutet dieser Satz für euch?

Mareike: Schwierig zu sagen. Aber für mich geht es um diese Verantwortung, dass der Holocaust nicht vergessen wird. Dass wir das Wissen, das wir gewonnen haben, weitertragen und mit unseren Freunden und Familien teilen. Dass wir durch diese Fahrt auch vorbereitet wurden auf die Zukunft, falls Diskussionen über Antisemitismus aufkommen. Wir haben jetzt mehr Wissen erlangt, dass wir einbringen können. Falls wir Kinder haben sollten, können wir das viel besser vermitteln und von unseren Erfahrungen erzählen. Wir haben die Verantwortung dafür, das weiterzutragen, was wir erlebt haben.

Florian: Man sagt immer, es darf nicht vergessen werden, was auch total so ist. Aber viel wichtiger finde ich, dass man sich diese Orte ansieht und da hin fährt, dann weiß man nämlich ganz genau, warum das nicht vergessen werden darf. Weil man da Eindrücke sammelt, die man sich vorher absolut nicht vorstellen kann. Selbst wenn man da war, kriegt man das nicht alles in seinen Kopf, weil das einfach viel zu krass war. 

Die Gruppe legte dort, wo die Gefangenen im Vernichtungslager ankamen, einen Kranz ab.
Die Gruppe legte dort, wo die Gefangenen im Vernichtungslager ankamen, einen Kranz ab.
Bei der Stadtführung durch Krakau.
Bei der Stadtführung durch Krakau.

Ihr habt beide gesagt „wir müssen das weitertragen“. Habt ihr da für euch schon einen Ansatz entwickelt?

Florian: Ich würde das nicht so eben als Thema bei einer Party einbringen. Aber wenn in einer ernsten Situation darüber gesprochen wird, dann würde ich den Leuten von meinen Erfahrungen berichten. Und wenn die etwas Fehlerhaftes sagen, würde ich sie auch korrigieren. 

Mareike: Ich werde meiner Familie und meinen Freunden auf jeden Fall von der Gedenkstättenfahrt erzählen. Und ansonsten bin ich auf Gespräche und Diskussionen vorbereitet und kann mein Wissen dann weitertragen .

Wir waren nicht nur in den Konzentrationslagern Auschwitz und Auschwitz-Birkenau. Wir haben in den ersten Tagen der Reise vor allem auch Orte jüdischen Lebens vor 1939 besucht, zum Beispiel im jüdischen Viertel Kazimierz in Krakau oder in Oswiecim, dem Ort, der nur wenige Kilometer entfernt vom Stammlager Auschwitz liegt. Erst dann haben wir die Orte der Vernichtung jüdischen Lebens gesehen. Wie verändert das euren Blick auf den Holocaust?

Florian: Ich fand es erstmal interessant zu sehen, wie die Jüdinnen und Juden dort gelebt haben und wie viele von ihnen dort gelebt haben. Dadurch fand ich es noch einmal bedrückender zu sehen, dass das alles zerstört wurde – wofür sie gestanden haben und was ihnen heilig war. Das ist völlig unverständlich. Und das, was wir gesehen haben, war ja nur ein kleiner Teil des Ganzen. 

Mareike: Ich finde, das unterstreicht auch noch einmal, wie wichtig diese jüdischen Orte sind. Eben weil sie schon einmal zerstört worden sind. Und deshalb ist es so wichtig, dass sie wieder aufgebaut wurden und bewahrt werden. Auch wenn Synagogen heute nicht mehr benutzt werden, sollten sie trotzdem stehen bleiben im Gedenken. Dadurch dass so viele Jüdinnen und Juden umgekommen sind, so viele geflohen sind und generell kaum noch Jüdinnen und Juden in Deutschland leben, ist es besonders wichtig, dass man sieht, wie die jüdische Kultur ist. Es wäre schön, wenn diese Kultur wieder gelebt würde – zum Beispiel mit jüdischem Essen. 

Kennt ihr Orte jüdischen Lebens in euren Heimatstädten und würdet ihr diese besuchen?

Mareike: Ich glaube, in Dreisbe oder Siegen gibt es nicht so viele Ort jüdischen Lebens. Aber wenn ich in einer anderen Stadt wäre und es dort solche Orte gäbe oder vielleicht auch jüdische oder israelische Restaurants, dann würde ich die aufsuchen.

Florian: In Köln gibt es auf jeden Fall eine Synagoge. Die würde ich gerne mal besuchen, aber nicht jetzt sofort. 

Mareike und Florian, ich danke euch für das Gespräch.

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