Sternenhimmel
13.11.2020
Faszination

Auf welches Gott Sein hat Gott Bock?

Die Debatte um Gott mit oder ohne Sternchen zeigt eine entscheidende Frage auf:
Was ist mein Konzept von Gott?

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von Tobias Schulte

Es geht ums Ganze, es geht um Gott. Die Katholische Studierende Gemeinde (KSJ) schreibt nun Gott mit Sternchen, also Gott*. Ob das sinnvoll ist, darüber haben wir mit Philipp Pretz, aktiv in der KSJ in Trier und Dr. Oliver Reis, Professor am Lehrstuhl für Religionspädagogik an der Uni Paderborn, diskutiert. Eins wurde schnell klar: Ein emotionaler Streit über Gottesbilder lohnt sich nicht. Dafür stellt sich die Frage: Wie möchte Gott bzw. Gott* denn überhaupt für uns Gott sein?!

Gott mit Sternchen
Philipp Pretz, KSJ Trier
Philipp Pretz, KSJ Trier

Herr Pretz, als Mitglied der KSJ schreiben Sie nun Gott*. Hat sich dadurch etwas in ihrem Glaubensleben verändert? 

Pretz: Früher habe ich „Gott“ so wie jeden anderen Begriff auch gelesen, heute denke ich bewusster darüber nach, wenn ich das Wort lese. Mir wurde klar, dass Gott nicht der alte weiße Mann ist, den man intuitiv doch vor Augen hat.

Mit im Chat ist Prof. Oliver Reis, der in dem Buch „Gott denken“ zu der Gottesfrage gearbeitet. Haben Sie eine Frage über Gott an ihn? 

Pretz: Damit habe ich jetzt nicht gerechnet, aber ich fände es spannend, zu hören, ob es sich lohnt, über Gott und das Bild, das wir von Gott in unseren Köpfen haben, zu diskutieren.
Reis: Es macht einen erheblichen Unterschied, ob ich über Gott oder das Gottesbild diskutiere. Über Gott kann man streiten, über Gottesbilder eigentlich nicht, denn sie sind mit einer hohen Subjektivität aufgeladen. Ich glaube, das richtige Verb wäre, sich über Gottesbilder auszutauschen, weil ich damit keinen öffentlichen Anspruch habe, dass das jemand übernehmen muss.

Machen Sie das Thema Gott* mit ihrer Antwort also schon zu?

Reis: Es ist ja die Frage, auf welcher Ebene man mit Gott* etwas erreichen möchte. Ich denke, dass es zu wenig ist, über das Sternchen verschiedene Gottesbilder zuzulassen. Ich glaube vielmehr, dass es Ihnen, Herr Pretz, um Gott als Akteur geht – und dieser Akteur, der soll eine innere Vielfalt erhalten. 

Pretz: Wenn man sich anschaut, wie auf Google, Instagram oder in der Bibel Sprache benutzt wird, um sich Gott anzunähern, dann ist es meist männlich konnotiert. Da haben wir uns gefragt, welche sprachlichen Mittel es gibt, das zu verändern. Darüber haben wir auf der Bundeskonferenz vier oder fünf Stunden lang diskutiert, zusammen mit Bischof Hauke. Am Ende haben wir uns für den Stern entschieden. Wenn wir hinter Gott einen Strich statt dem Sternchen geschrieben hätten, dann hätte es keine Sau interessiert.

Reis: Im Grunde genommen lasse ich mit dem Stern die rechte Seite auch frei. Sie wird füllbar. Ich würde dazulegen, dass für mich eine entscheidende Erkenntnis war, dass das Wort Gott eigentlich ein Gattungsbegriff ist. Gott ist gar kein Eigenname. Es gibt die Personen Gott-Vater, Gott-Sohn und den Heiligen Geist, da müssen wir in der Sprache genau darauf achten. Das macht ihre Veränderung noch plausibler.

Dr. Oliver Reis, Uni Paderborn
Dr. Oliver Reis, Uni Paderborn

Können Sie das erklären? 

Reis: Wenn wir sagen: „Der Mensch atmet“, dann verwenden wir einen Gattungsbegriff. Genauso, wenn wir sagen: „Gott liebt dich“. Doch eigentlich meinen wir die Person Gott-Vater. Das führt in unserem Denken automatisch dazu, dass Jesus nicht mehr Gott ist. Dahinter steckt für mich die Frage: Wie sieht Gott-Sein überhaupt aus? Meine Nachbarin, die naturreligiös ist, hat eine ganz andere Vorstellung von Gott-Sein als ich.

Wie sieht denn Ihre Vorstellung von Gott-Sein aus? 

Reis: Für mich ist das Thema Gerechtigkeit ganz wichtig. Für andere bedeutet Gott-Sein, dass er mir alles geben soll, was ich will. Manche beten zu Gott und sagen: „Lass es morgen nicht regnen“. Dann haben sie eine ganz eigene Vorstellung davon, was jemand, also eine Person, tun muss, der Gott sein will.
Die Frage ist einfach, auf welches Gott-Sein für uns Gott-Vater, JAHWE, „Lust“ hat. Und: Auf das gleiche Gott-Sein müssen auch noch Jesus und der Heilige Geist „Lust“ haben. Ganz sicher haben die keine „Lust“auf ein Gott Sein, das das weibliche Geschlecht grundsätzlich diskriminiert. Schon Feuerbach und Luther haben kritisiert, dass wir Menschen uns eine Vorstellung von Gott-Sein aufbauen und Gott Vater hineinzwingen. Nach dem Motto: „Du bist nur Gott, wenn du auch so bist.“

Pretz: Das wurde uns übrigens auch vorgeworfen, dass wir Gott benutzen, um ein gewisses Bild für unsere politische Agenda herzustellen. Das kommt daher, weil die meisten nur gelesen haben: „KSJ gendert Gott“, was natürlich bullshit ist, weil man Gott nicht gendern kann. Gott hat kein Geschlecht – und sprachlich können wir uns ihm immer nur annähern.

Schöpfung

Herr Reis, wie könnte sich die Debatte, die die KSJ angestoßen hat, noch weiterentwickeln?

Reis: Ich würde noch stärker zwischen dem Akteur Gott und dem Gottesbegriff unterscheiden. Begriffe erzeugen immer Konzepte. Die KSJ hat das, was die Menschen implizit als Gottesbegriff voraussetzen, irritiert. Das ist produktiv, weil JAHWE damit Luft gewinnt und wir uns fragen können, wie er Gott für uns sein möchte.

Herr Pretz, was glauben Sie, wie Gott* für Sie Gott sein möchte?

Pretz: Gott ist alles, aber auch nichts. Ich tue mir leichter damit, über Jesus zu reden. Da kann ich ganz klar sagen, dass ich versuche, in der Nachfolge Jesu dafür zu sorgen, dass die Welt besser wird. Dass Gottes Wille auf der Erde vervollständigt wird.

Reis: Wenn Jesus Gottes Willen zeigt, was ist denn dann Jesu Wille? 

Pretz: Na ja, vielleicht ist es doch nicht ganz richtig, dass Jesus Gottes Willen zeigt. Aber durch Jesu Handeln auf der Erde wurde klar, wie Gott es sich vorstellt, das Reich Gottes auf Erden zu verwirklichen.
Reis: Ok. Damit ist Jesu Handeln Abbild einer Gotteserwartung. 

Pretz: Würde ich so sagen, ja. 

Reis: Damit haben Sie ein Gotteskonzept. Nur, dass Sie es über Jesus erschlossen haben. Wenn ich mir Jesu Wirken anschaue – den Gerechtigkeitswillen, den Einsatz für die Schwachen, auch mal rumpoltern, auf den Putz hauen, mal Fehler machen, sich entschuldigen müssen – da merken wir, dass das ja gar nicht homogen ist.

Herr Reis, was ist Ihr Gotteskonzept?

Reis: Als ich Kind war, war in meinem Gotteskonzept ganz wichtig, dass Gott derjenige ist, der mir einen Platz im Leben gibt. Dass Gott gut ist. Als ich älter geworden bin und mein Leben mir auch heftig um die Ohren geflogen ist, war in meinem Gotteskonzept nicht mehr so wichtig, dass Gott alles in der Hand hat und alles steuert, sondern, dass Gott das Wort ist, das mir im Chaos eine Richtung gibt. Dabei ist für mich die Gerechtigkeitsfrage ganz wesentlich. Armut ist nicht schlimm, aber Ungerechtigkeit ist die Hölle.

Pretz: Welche Art von Gerechtigkeitsbegriff meinen Sie?  

Reis: Dass es eine Rechtsordnung gibt, eine Person, die Rechtsprechung lebt. Aber es geht auch um eine Rechtsvorstellung, die sich auch selbst immer wieder aufhebt: Leistungsgerechtigkeit und Erbarmensgerechtigkeit, Prinzipiengerechtigkeit und die situative Fürsorgegerechtigkeit. Wenn ich die Eucharistie empfange, frage ich mich, wie Jesus mich ermächtigt, für Gerechtigkeit zu sorgen. Gott treibt mich zur Frage: Was kann ich hier tun? Ich liebe diesen Gott, also Gott-Vater, der für mich Gott sein will, so, weil er mich nicht in Ruhe lässt. Weil er mich ständig verunsichert und antreibt, mich zu fragen: Was ist hier zu tun?

Brot

Herr Pretz, können Sie damit etwas anfangen? 

Pretz: Ich glaube auch, dass das Konzept von Gott Gerechtigkeit vorsieht. Ich finde es nur schwierig, mir aus dem Alten Testament ein Bild von Gerechtigkeit zusammenzubasteln. Und für mich ist die Frage, wie ich einzelne Bibelstellen wirklich zu einem Gotteskonzept machen kann, bei dem ich sagen kann: Das kommt von Gott, nicht von mir. 

Reis: Theologie ist der Versuch, sich aus der Vielzahl an heterogenen Stellen heraus zu trauen, eine Aussage zu machen – und zwar in einer Einheit.
Ich habe großen Respekt davor, dass Sie mit dem Gott* eine Arena aufmachen, aber das Ende der Arena darf nicht Vielfalt sein. Ich muss mich auch festlegen. Ihre Generation muss sich trauen, zu vereindeutigen und Dinge auszusprechen: Wie soll ein Gott sein und welche Person kann so Gott sein?

Pretz: Das führt mich zu der Frage, wie man die Bibel denn dann liest? Zum Beispiel waren da bei der Brotvermehrung nicht auf einmal eine Million Brote, die vom Himmel gefallen sind, sondern da wird klar beschrieben, wie Widerstand gegen ein ungerechtes System auszusehen hat. Und zwar, indem man sich zusammensetzt, indem man Gruppen bildet, indem man teilt, was man hat. Dann kann man klar eine Aussage treffen, dass die Konzeption von Gott vorsieht, dass man als Gemeinschaft zusammengeht.

Reis: Genau, sie könnten sagen: Gott will Gemeinschaft. Gott ermächtigt Menschen in Gemeinschaften Widerstand zu leisten gegen ungerechte Systeme. Das ist so eine Vereinfachung, die andere ablehnen würden – und man kann darüber streiten.
Pretz: Aber gleichzeitig ist das keine Herangehensweise für alle.

Reis: Ja. Die katholische Kirche hat immer gesagt, dass es völlig legitim ist, einen intuitiven Zugang zu Gott zu haben. Du musst nicht Theologie studieren, um eine lebendige Gottesbeziehung zu haben, aber über die damit gemeinten Gotteskonzepte zu streiten, das ist ganz wichtig.


Vielen Dank für das Gespräch.

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