Wie bestimmt mein Handy meinen Alltag? Das Ergebnis eines Selbstversuches
Morgens klingelt der Wecker. Erste Handlung: Griff zum Handy, Wecker ausstellen, Nachrichten checken, Wetter abrufen, vielleicht schon mal kurz durch Instagram und Facebook scrollen. Beim Frühstück: Griff zum Handy. Auf dem Weg zur Schule/Uni/Arbeit: Griff zum Handy. Musik hören, Mails checken, Nachrichten schreiben, Soziale Netzwerke durchforsten. Das Handy ist unser ständiger Begleiter. Unser engster Freund? Oder eher unser engster Feind?
Was leitet uns zum ständigen online sein? Ist es wirklich das Phänomen, immer und überall erreichbar sein zu müssen? Oder zu wissen, was andere gerade machen und welche Beiträge sie in sozialen Netzwerken teilen? Oder ist es vielleicht auch nur diese eine Person, für die man immer wieder am Handy ist und bei WhatsApp gespannt auf die nächste Nachricht wartet?
Ich kenne das von mir selbst. Eigentlich weiß ich, dass ich viel zu viel am Handy bin, immer ständig erreichbar, antworte meistens prompt auf Nachrichten. Die Apple-Funktion Bildschirmzeit zeigt mir an, dass ich innerhalb von einer Woche 14 Stunden und 19 Minuten WhatsApp geöffnet hatte. 14 Stunden, mehr als ein ganzer Arbeitstag! Wir sind (zu) häufig online und laufen damit Gefahr, von der Handynutzung abhängig zu werden. Aber wovon eigentlich genau? Vom Handy selbst? Von den Personen, mit denen wir schreiben? Dazu habe ich mich an ein kleines Selbstexperiment gewagt und eine Woche Urlaub dafür genutzt, mein Handy weniger zu benutzen.
99% der Jugendlichen im Alter von 12-19 Jahren besitzen ein Smartphone. So sind die Zahlen der aktuellsten JIM-Studie 2018 des Medienpädagogischen Forschungsverbandes Südwest (mpfs). Bei Erwachsenen sind es 100%, die ein Smartphone oder ein konventionelles Handy besitzen, ergibt die FIM-Studie aus dem Jahr 2016.
»99% der Jugendlichen im Alter von 12-19 Jahren besitzen ein Smartphone.«
Ich habe den Eindruck, wir leben mittlerweile in einer Gesellschaft, in der man schnell in eine Schublade gesteckt wird, wenn man im Jahr 2019 immer noch kein Smartphone besitzt. Da so gut wie jeder eins besitzt, wird der gesellschaftliche Druck, immer erreichbar zu sein, immer höher. Ab wann schlägt die häufige Handynutzung in eine ungesunde Richtung aus? Wie schaffe ich es aus einem süchtigen Verhalten wieder raus und wie kann ich vorbeugen, dass ich keine Sucht nach meinem Handy entwickle? Der Gebrauch eines Mittels oder die Benutzung eines Gegenstandes kann sich dann leicht zu einer Sucht entwickeln, wenn er dauerhaft, ständig und überall verfügbar ist. Unser ganzes Leben verbirgt sich in den kleinen, viereckigen Geräten. Kontakte, Adressen, Termine, Fotos und jegliche Apps und Funktionen, mit denen uns die Kommunikation mit der Außenwelt einfach gemacht wird.
Zu diesem Thema habe ich mich mit Valentina Beckin von der Suchtprävention und Gesundheitsförderung der Suchtkrankenhilfe im Caritasverbandes Paderborn e.V. unterhalten. Sie beschäftigt sich unter anderen mit dem Thema Mediennutzung und bietet dazu Informationsveranstaltungen für viele Zielgruppen an. Die Anfragen zu diesem Thema sind in den letzten Jahren stark gestiegen. Frau Beckin hält fest, dass vor allem die Eltern zunehmend nach Unterstützungsangeboten suchen. Die Suchtkrankenhilfe des Caritasverbandes Paderborn e.V. hält deshalb Beratungsangebote für Menschen mit problematischen Mediennutzungsverhalten, sowohl für Erwachsenen als auch für Jugendliche, vor. Gerade weil der Umgang mit Medien bei vielen Jugendlichen zu Problemen z.B. in der Schule oder außerhalb der digitalen Welt führen kann, fragen sich viele Eltern, ob das Medienverhalten ihrer Kinder noch „normal“ sei. Dieses Themas nimmt sich auch die „LOBBY- eine Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche in Konfliktsituationen“ des Caritasverbandes Paderborn e.V. an und steht als Ansprechpartner sowohl für Jugendliche als auch für Eltern zur Verfügung. Den Mitarbeitenden der LOBBY ist es ein wichtiges Anliegen, gemeinsam mit allen Beteiligten das Medienverhalten zu hinterfragen, auf Gründe der übermäßigen Mediennutzung zu schauen sowie nach Alternativen zu suchen, um mehr „offline“ zu leben. Frau Beckin und die Mitarbeiter*innen der LOBBY leisten viel Präventionsarbeit an Schulen - mittlerweile auch Grundschulen – mit dem Ziel, das Bewusstsein für einen verantwortungsvollen Umgang mit Medien zu wecken und die kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Medien- bzw. Handykonsum zu stärken.
»Ein Drittel der Hilfesuchenden in Paderborn leiden unter einer exzessiven Mediensucht.«
Eine irgendwie erschreckende, aber für mich persönlich erleichternde Erkenntnis des Gespräches war definitiv, dass wir alle ein wenig abhängig von unserem Handy sind. Die Gründe scheinen vielfältig: Häufig ist es Langeweile, mal ist es Neugier, mal ist es der Drang, in Kontakt mit anderen zu stehen. Vor allem gegen das Gefühl der Langeweile kann man viel tun. Im Kasten rechts findet ihr einige Tipps von mir, wie man sich selbst überlistet und vielleicht nicht sofort bei jedem Klingeln auf’s Handy guckt.
Als Fazit meines Versuches, im Urlaub weniger auf mein Handy zu gucken, kann ich sagen: Ich habe es mir viel viel einfacher vorgestellt. Auf Instagram, Facebook, Snapchat und Co. zu verzichten, war für mich überhaupt kein Problem. Aber WhatsApp? Schier unmöglich. Man möchte Fotos verschicken, Familie und Freunden vom Urlaub erzählen und einfach irgendwie vielleicht doch nicht ganz aus dem Alltag raus sein. Das Handy ist der Zugang zur Außenwelt. Der Automatismus, morgens beim Aufstehen direkt auf’s Handy zu schauen, ging zumindest bei mir nicht einfach weg. Geholfen dabei hat mir auf jeden Fall die „Nicht Stören“-Funktion. Dem Drang des Griffs zum Hany widerstehen zu können wurde einfacher, als ich nicht direkt gesehen habe, dass ich eine neue Nachricht hatte. Mir war von Anfang an klar, dass ein radikaler Entzug nicht funktionieren würde. Mir ging es auch hauptsächlich darum, wieder ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wann, wofür und wie viel ich mein Smartphone am Tag benutze.
Und was ich vor dem Urlaub für kaum denkbar hielt: Ich habe vorhin fünf Postkarten in den Briefkasten geworfen. Und nicht nur eine für Oma, die kein Smartphone besitzt…
Mein Tipp: Versucht nicht radikal auf euer Handy zu verzichten, aber nehmt euch vor, es bewusst weniger in die Hand zu nehmen und nicht jedes Mal, wenn ein Hauch von Langeweile aufkommt zum Smartphone zu greifen.