„Er war ein großartiger Bruder!“
28.11.2013

„Er war ein großartiger Bruder!“

SAINTS4LIFE: Andreas

Die Warnleuchte blinkt - langsam schließen sich die Schranken des Bahnübergangs. Meine Fahrradbremsen quietschen, als ich so kurz vor den Gleisen zum Stehen komme. Wie ärgerlich! Nervös blicke ich von der Warnleute auf meine Armbanduhr, und von der Armbanduhr wieder zur Warnleuchte zurück. Dieses Mal bleibt mein Blick unterhalb der roten Leuchte hängen. Ein großes Andreaskreuz prangt mir entgegen. Es erinnert mich an die Worte meines Fahrlehrers: „Dem Schienenverkehr ist Vorrang zu gewähren.“

Die zwei sich kreuzenden weißen Balken mit den roten Streifen an allen vier Enden sprechen eine deutliche Sprache: Gefahr droht. Gut, ich habe keine andere Wahl. Meine Fingerkuppen trommeln auf den Lenker, meine linker Fuß tippelt auf dem Asphalt. Immer noch kein Zug zu hören, das gibt es doch nicht! „Das ist bestimmt ein Güterzug“, sagt eine dunkle Männerstimme neben mir. Ein Schauer fährt mir über den Rücken. Morgens treffe ich nur selten Menschen auf meinem Weg zur Universität. Ein alter Mann grinst mir entgegen und zeigt mir eine löchrige Zahnreihe, umrahmt von einem faltigen Gesicht. Nun höre auch ich ein entferntes, tiefes Brummen. Selbst der Boden unter meinem linken Fuß beginnt zu zittern.

Einen Moment lang hören wir der Ankündigung zu, bis ich die Stille zwischen uns beiden nicht mehr aushalte. „Haben Sie sich eigentlich schon einmal gefragt, warum dieses Verkehrszeichen da so heißt wie es heißt?“, frage ich in meiner journalistischen Neugier und zeige auf das Andreaskreuz. Sein Lächeln wird noch breiter. Er betrachtet das große X vor ihm eine ganze Weile, bevor er zu Erzählen beginnt: „Das Andreaskreuz? Den Namen hat ein Mann geprägt, der vor langer, langer Zeit gelebt hat. - Tja, der Andreas. Er war ein großer Missionar. Nach dem Tod dieses Jesu von Nazareth am Kreuz, wollte Andreas auch den Menschen in Griechenland von diesem Jesus erzählen. Dabei muss er ziemlich überzeugend gewesen sein. In Patras traf er auf Maximilla, die Frau des Bürgermeisters und erzählte ihr vom Glauben. Sie wurde Christin. Ihr Mann aber hasste Andreas, hasste den Glauben an diesen Jesus von Nazareth. Er wollte Andreas tot sehen. Er sollte qualvoll sterben.“

Plötzlich macht mein Gegenüber eine lange Pause. Im Licht der Straßenlaterne sehe ich in seinen Augen Tränenwasser schimmern. Ich nicke ihm aufmunternd zu. „Ach, Andreas. Er erbat sich vom Bürgermeister ein X-förmiges Kreuz, weil er nicht den gleichen Tod sterben wollte wie Jesus. Man sagt, zwei Tage habe er daran gehangen und selbst von dort aus den Menschen vom Glauben erzählt.“ Das Rauschen des Güterzuges überlagert den tiefen Seufzer des alten Mannes.

Wir beide beobachten die durchfahrenden braunen Waggons einen Moment lang. Ein Lachen zerreißt die Traurigkeit. „Was hätte Andreas nicht für Züge gegeben! Seine Missionsreisen waren richtige Abenteuer. Aber so ein Fischer ist ja robust. Er war ein guter Fischer, ein sehr guter. Er wusste immer, wo man das Netz auswerfen musste. Eines Morgens aber wollte er nicht mehr mit mir hinaus fahren. Er sagte zu mir: 'Wir haben den Messias gefunden!', ließ alles stehen und liegen und nahm mich mit zu Jesus. Dafür habe ich ihn bewundert. Es ist ihm so leicht gefallen, alles hinter sich zu lassen. Allein, wer weiß, ob ich gegangen wäre.“

Leise fügt er mit einem Blick auf das Andreaskreuz hinzu: „Er war ein großartiger Bruder!“ Ich muss schwer schlucken. Andreas‘ Bruder? Simon Petrus? „Los, auf!“, fordert er mich ganz plötzlich auf und zeigt auf die geöffneten Schranken. Sanft schiebt er mein Fahrrad an. Mit einem dankbaren Blick drehe ich mich kurz um und kann den alten Mann doch nicht mehr sehen. Ich muss weiter ...

Isabella Henkenjohann

Unsere JUPA-Mitarbeiterin Isabella Henkenjohann ist für den Bereich "SAINTS 4 LIFE" zuständig und schreibt jeden Monat über eine spannende Begegnung mit einem Heiligen. Vorschläge können an redaktion@jupa-paderborn.de gesendet werden.

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