Mit kleinen Schritten die Welt verändern
23.12.2014

Mit kleinen Schritten die Welt verändern

SAINTS4LIFE: Stephanus

Endlich ist es vorbei. „Geschafft“, denke ich, als ihm Zug nach Hause sitze. Es war schön die Familie wieder gesehen zu haben. Aber ich freue mich schon auch wieder auf ein bisschen Ruhe. Weihnachten ist doch jedes Jahr aufs Neue anstrengend, denke ich und lehne mich entspannt im Sitz zurück.

„Frankfurt Hauptbahnhof“, schrillt es durch die Lautsprecher. Ich steige aus und schiebe mich durch die Massen am Bahnsteig. Ich bin nicht die Einzige die am zweiten Weihnachtsfeiertag schon wieder unterwegs ist. In der Bahnhofsvorhalle stehen noch die Holzbuden, die Läden sind geschlossen und die Lichterketten ausgeschaltet. „Last Christmas, I gave you my heart ...“ höre ich es von weitem singen. Ich bin ganz in Gedanken versunken, als ich plötzlich kurz vor dem Ausgang zwei ältere Damen anstoße. Aber sie bemerken mich nicht einmal und reden aufgeregt weiter.

saints4lifeDer Grund dafür steht zwei Meter vor ihnen in der Ecke: Eine hagere Frau läuft laut schimpfend auf und ab. Hinter ihr liegen die wenigen Besitztümer: ein Schlafsack, ein Kissen und eine kleine Tragetasche. Die beiden älteren Damen sehen sie angewidert an und laufen dann doch an ihr vorbei. Eigentlich will ich es den beiden gleich tun und kann doch den Blick nicht von ihr wenden. Ganz unvermittelt greift ein junger Mann nach ihrer Hand. Ob das ihr Freund ist? Der Anzug und die schicken Lederschuhe passen dabei so gar nicht ins Bild. Und irgendwie dann doch. Innerhalb weniger Sekunden hat er die Frau beruhigt. Er nimmt sie an der Hand und setzt sich mit ihr in die Ecke, die sie sich bereits eingerichtet hatte. Er gestikuliert wild und lacht dabei lauthals. Selbst die zierliche Gestalt neben ihm beginnt, zu lächeln.

Eine Packung Taschentücher liegt zwischen uns auf dem Boden. Sie müssen wohl ihr gehören. Ich hebe sie auf und mache ein paar vorsichtige Schritte auf dieses ungewöhnliche Pärchen zu. „Das haben Sie verloren“, sage ich zu ihr, die den Mann neben ihr immer noch etwas entgeistert anstarrt. „Würden Sie mir erlauben, diese junge Dame zu Ihnen einzuladen?“, fragt er sie, sie nickt bloß. „Setzen Sie sich doch“, sagt er jetzt zu mir, räumt seinen Platz auf dem Schlafsack und setzt sich auf den kalten Boden. „Haben sie beide Hunger?“, fragt er und fügt, ohne auf eine Antwort zu warten hinzu: „Es ist zwar kein Festmahl, aber für zwei so hübsche Damen wie Sie habe ich etwas Brot und sogar Apfelschorle dabei!“ Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, halte ich beides in der Hand. „Danke!“, sage ich und gebe beides der Frau neben mir. „Ich habe gerade gegessen“, erkläre ich ihr. Behutsam nimmt sie mir das Brot aus den Händen und beißt schnell davon ab.

Ich schaue wieder zu meinem Sitznachbarn, der mir aufmunternd zulächelt und sagt: „Ich heiße Stephan - und Du?“ „Isabella“, sage ich bloß. Neben mir höre ich Schmatzgeräusche. Sie isst unbeirrt weiter. „Schön, dass Du bei uns sitzt, das freut Eva ganz besonders.“ - „Ach, sie kennen sich?“ - „Nein, nein. Sie hat mir gerade gesagt, dass sie Eva heißt.“ Das ging aber schnell, denke ich mir und muss plötzlich grinsen. Diesem Mann habe auch ich direkt meinen Namen gesagt. „Danke!“, sagt Eva plötzlich neben uns. Weiße Zähne strahlen uns entgegen. Lange ist sie noch nicht auf der Straße.

Ich krame in meinem Rucksack und finde meine heiß geliebten Plätzchen. „Hier Eva, die hat meine Mama gebacken - Frohe Weihnachten!“ Sie schaut mich bloß an, Tränen steigen ihr in blutunterlaufenen Augen. „Frohe Weihnachten!“, sagt auch Stefan uns beiden mit einem großen Lächeln. Wir beide stehen auf. Es ist Zeit zu gehen. Ein paar Schritte laufen wir noch gemeinsam. „Danke. Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern“, ruft er mir noch zu und schon haben wir uns im regen Treiben des Hauptbahnhofes verloren.

Als ich zu Hause ankomme, werfe ich ein Blick auf den Kalender. Gedenktag des Heiligen Stephanus, Diakon und Märtyrer, lese ich da. Ganz unvermittelt muss an meinen ganz persönlichen Tagesheiligen zurück denken, Stephan ...

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