Hildegard von Bingen beschäftigte sich viel mit Heilpflanzen, Kräutern und Gewürzen
17.09.2023
Faszination

Hildegard von Bingen

Auf den Spuren der populärsten deutschen Frau des Mittelalters – damals und heute

von Theresa Oesselke

Die Gegend um Bingen am Rhein ist bekannt für die zahlreichen Weinberge – und für eine besondere Frau: Hildegard von Bingen. Eine Theologin, Naturwissenschaftlerin, Komponistin, Visionärin, Klosterleiterin – ein Multitalent würde man heute wohl sagen. Hildegard gilt als eine der populärsten deutschen Frauen des Mittelalters und einflussreichste Frau ihrer Zeit. Wir begeben uns auf ihre Spuren und fragen, was Menschen bis heute an ihr fasziniert.

Hildegards Weg ins Kloster

Viele historische Informationen gibt es über Hildegards Leben nicht. Vermutlich wurde sie im Jahr 1098 in eine Adelsfamilie in Bermersheim im Rheinhessen geboren. Als zehntes Kind schickten ihre Eltern, wie es damals üblich war, Hildegard ins Kloster. Im Kloster Disibodenberg erzog ihre Verwandte, Jutta von Sponheim, die achtjährige Hildegard. Sie lernte die Heilige Schrift kennen, den Gottesdienst der Schwestern und die Regel des Heiligen Benedikt. Im Jahr 1136 starb Jutta von Sponheim. Ab diesem Zeitpunkt übernahm Hildegard die Leitung der Schwesterngemeinschaft des Klosters.

Skulptur von Hildegard von Bingen vor dem Kloster Eibingen

Heilung durch Harmonie

Hildegard kümmerte sich im Kloster besonders um die Kranken. Sie beschäftigte sich viel mit Heilpflanzen, Kräutern und Gewürzen, pflegte Kranke und entwickelte Methoden zur Heilung. Dabei hatte sie einen ganzheitlichen Blick auf den Menschen: Der Mensch ist Teil von Gottes Schöpfung und muss mit ihr im Einklang stehen. Ihr wichtigster Ratschlag: Maß halten. Damit die verschiedenen Teile des Körpers ihre Funktionen erfüllen können und der Mensch gesund bleibt.

Ihre medizinischen Erkenntnisse hielt Hildegard schriftlich fest. Bis heute sind ihre natur- und heilkundlichen Schriften als Ergänzung zur Allgemeinmedizin von vielen Menschen gefragt.

Prophetin oder vom Teufel besessen?

Schon von klein auf hatte Hildegard Visionen. Das behielt sie aber lange Zeit für sich. Doch 1141 kam der Wendepunkt: Hildegard erhielt von Gott den Auftrag, ihre Visionen aufzuschreiben. So schrieb sie ein Werk über die Welt als Gottes Schöpfung, die Erlösung der Menschen durch Jesus Christus und das Ende der Welt.

Die Reaktionen auf Hildegards Visionen waren zwiegespalten: Entweder war Hildegard eine Prophetin oder vom Teufel besessen. Prominente Unterstützung erhielt Hildegard durch Bernhard von Clairvaux. Schließlich ließ der Papst Hildegards Person und Werke überprüfen. 1147 erkannte er ihre Visionen von Seiten der Kirche an und erlaubte ihr, öffentlich zu predigen. Damit war Hildegard die erste Frau, die ein Papst als Autorität in theologischen Fragen bestätigte.

Hildegard wurde berühmt. Viele Menschen suchten ihren Rat, darunter auch berühmte Persönlichkeiten wie der damalige römisch-deutsche König Friedrich Barbarossa. Aber auch für die Nöte der armen und einfachen Menschen war Hildegard da.

Wenn ein Traum wahr wird

Hildegard hatte vor allem einen großen Traum: ihr eigenes Kloster zu gründen. Dafür musste sie hart kämpfen – vor allem gegen die Widerstände der Benediktiner auf dem Disibodenberg, zu denen ihre Frauengemeinschaft gehörte. Aber Hildegard setzte sich durch: 1150 gründete sie ihr eigenes, selbsterbautes Kloster auf dem Rupertsberg bei Bingen. Immer mehr Frauen traten in Hildegards Kloster ein. So eröffnete sie bei Eibingen ein zweites Kloster.

Am 17. September 1179 starb Hildegard auf dem Rupertsberg. Ihre Gebeine liegen in der Pfarrkirche St. Hildegard in Rüdesheim am Rhein. Bis heute wird ihr Erbe in der Region weitergeführt – in erster Linie durch die Benediktinerinnen der Abtei St. Hildegard in Eibingen.

Schrein mit den Gebeinen der Hl. Hildegard von Bingen

Abtei St. Hildegard in Eibingen

Die Benediktinerinnenabtei St. Hildegard in Eibingen wurde 1904 neugegründet und steht in der Nachfolge der Klöster Rupertsberg und Eibingen, die Hildegard von Bingen gegründet hat. Die Äbtissin des Klosters gilt als Nachfolgerin der Hl. Hildegard. Das Lebenswerk von Hildegard zu erforschen und ihre Botschaft weiterzugeben, gehört zu den zentralen Aufgaben der Abtei. Seit 2019 gibt es dafür mit der „St. Hildegard-Akademie Eibingen e.V. – Zentrum für Wissenschaft, Forschung und europäische Spiritualität“ einen eigenen Verein.

Mehr Infos über das Kloster und Hildegard von Bingen finden sich auf der Homepage der Abtei.

Hildegard – die erste deutsche Kirchenlehrerin

Schon zu ihren Lebzeiten galt Hildegard für viele als heilig. Kurz nach ihrem Tod begann ihr Heiligsprechungsprozess – er endete allerdings ohne Abschluss. Dennoch wurde sie im 16. Jahrhundert in das Verzeichnis der Heiligen der römisch-katholischen Kirche aufgenommen. Papst Benedikt XVI. sprach Hildegard von Bingen am 10. Mai 2012 offiziell heilig. Im Oktober erhob er sie schließlich zur Kirchenlehrerin – als erste deutsche und vierte Frau überhaupt.

Es sind vor allem zwei Dinge, die Hildegard ausmachen: ihre Verbundenheit zu Gott, dem Schöpfer, und ihr Selbstverständnis als Werkzeug Gottes.

Der Mensch auf der Suche nach Gott

Das zentrale Thema für Hildegard war die Schöpfung. Gott hat die ganze Welt erschaffen. Er hat dem Menschen das Leben geschenkt und tritt mit ihm in Beziehung. Hildegard war in ihrem Leben immer auf der Suche nach Gott – in den großen Lebenswenden, aber auch in den kleinen Dingen des Alltags. Sie war überzeugt: Nur in Gott kann der Mensch seinen wahren Sinn des Lebens finden. Das Leben ist ein Geschenk Gottes und der Mensch muss lernen, mit der Schöpfung Gottes gut umzugehen. Sie ist ihm von Gott als Lebensraum gegeben. Ein Ort, wo Mensch und Gott sich begegnen.

Hildegard als Werkzeug Gottes

Hildegard war eine selbstbewusste, anerkannte Frau. Ihren christlichen Glauben hat sie in ihrem Leben konsequent gelebt. Sie nahm kein Blatt vor den Mund, kritisierte die weltlichen Laster der Kleriker zur damaligen Zeit, stellte sich aber nie grundsätzlich gegen die Kirche. Bei all dem versuchte sie, ihre eigene Person im Hintergrund zu halten. Sie kämpfte für einen gelebten Glauben und Liebe. Hildegard verstand sich selbst als Sprachrohr Gottes. Wer Heilung von Krankheit oder Hilfe im Glauben suchte, wurde bei Hildegard fündig – ob König, Bauer, Abt oder Mutter. Welchen Rat würde sie uns heute geben?

Film- und Romantipp:

Terra X: Hildegard von Bingen und die Macht der Frauen. Visionärin, Äbtissin und Naturheilkundlerin

Precht, J. (2023): Die Heilerin vom Rhein. Hildegard von Bingen – In der Naturheilkunde fand sie ihre Berufung, den Menschen zu helfen.

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