Journalistin Susan ist aus Afghanistan nach Deutschland geflohen.
Journalistin Susan ist aus Afghanistan nach Deutschland geflohen.
12.03.2020
Perspektive

"Ich glaube nicht an Grenzen"

Journalistin Susan setzte sich in Afghanistan für Frauenrechte ein – und kam dafür ins Gefängnis

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von Maike C. Kammüller

Ab dem Tag wusste Susan, dass sie kämpfen musste. Dafür, dass Frauen in Afghanistan ein selbstbestimmtes Leben führen dürfen. Damals sollte ihre Schwester, 14 Jahre alt, verheiratet werden. Heute lebt Susan, die eigentlich anders heißt, in Deutschland – und erzählt von dem Hass einiger mächtiger Familien, den sie mit ihrem Einsatz auf sich gezogen hat.

Vor mir sitzt eine junge Frau, 33 Jahre alt, mit langen dunkelbraunen Haaren und wachen Augen, mit klugen Gedanken, abwägenden Worten und einer guten Ausbildung. Nichts scheint ihr im Wege zu stehen, doch der Eindruck täuscht. Susan hat einen langen Kampf hinter sich – und auf ihrem neuen Weg in Deutschland sicher noch einige Kämpfe zu bestehen. Ich möchte mit ihr sprechen über ihren Einsatz für Frauenrechte in einer patriarchal geprägten Gesellschaft. Wir unterhalten uns auf Englisch. Mit ihrem Einverständnis darf ich das Gespräch ins Deutsche übersetzen.

Susan arbeitete als Reporterin für BBC-Radio in Afghanistan. „Männer“, so sprudelt es aus ihr heraus, „Männer halten sich in meiner Heimat für die Bewacher der Frauen. Frauen sollen keine eigenen Entscheidungen für sich treffen. Das ist nicht gewünscht.“ Frauen gälten in Afghanistan als schutzbedürftig, erläutert Susan. Vor allem in den Dörfern würde ihnen das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben abgesprochen.

Journalistin Susan spielt am Keyboard.
Journalistin Susan spielt am Keyboard.

Mit der Bildung fängt es an

Um etwas dagegen zu tun, absolvierte Susan einen regulären Schulabschluss, studierte und arbeitete als Reporterin. Sie fuhr zu den Frauen vor Ort, um zu erfahren, wie es um die Situation der Mädchen und Frauen in Afghanistan bestellt ist. „Das Ergebnis war erschreckend. Viele Frauen sind nicht dazu fähig, ihre Situation zu reflektieren“, sagt Susan. „Und diejenige, die es können, sind sehr unglücklich. Und Männer stellen dieses System nicht infrage, denn es bringt ihnen Macht.“

Susan ist sich sicher, dass dieses Problem kulturell gewachsen sei, denn der Koran würde verlangen, dass Frauen und Männer gleichermaßen Bildung erhielten. Wenn Frauen aber nichts lernen dürften, würden sie sich weniger gegen Ungerechtigkeiten wehren. Deshalb hätten die Taliban viele Jahre lang behauptet, dass die politische Situation und der Krieg für Frauen zu gefährlich seien und sie lieber zu Hause bleiben sollten. „Darunter leidet Afghanistan bis heute. Diese Kultur der mangelnden Bildung ist das Problem, denn diese Gedanken haben sich als selbstverständlich in den Köpfen der Menschen festgesetzt“, so Susan.

Die eigenen Stärken wertschätzen

Susan musste lange ihre Freiheit und ihr Recht auf Bildung in der eigenen Familie erkämpfen. Auch in ihrem Elternhaus war es keine Selbstverständlichkeit, dass Mädchen zur Schule gingen. Ihre Mutter ist Analphabetin. Mädchen, die in einem Dorf leben, besuchen oft keine Schule. Sie blieben zu Hause und würden lernen, einen Haushalt zu führen. Kindererziehung spielt dabei nur indirekt eine Rolle, denn Lehrbuchwissen über Kindesentwicklung gäbe es in einer Familie kaum. Gelernt werde alles Wichtige in der Praxis.

Für Susan war früh klar, dass sie keine in Afghanistan übliche Zwangsehe eingehen wollte, sondern die Universität in Kabul besuchen würde, um Psychologie zu studieren. Es kostete sie viel Zeit und viele Gespräche mit ihrem Vater, ihren Brüdern und ihrer Mutter, bis sie die Erlaubnis bekam, die Zugangsprüfung zur Universität abzulegen. Dabei hatte sie immer wieder gegen Vorurteile und Benachteiligungen aufgrund ihres Geschlechtes zu kämpfen.

„Gegen die totalitären und einengenden Regeln in meiner Kultur anzukämpfen ist so schwierig wie Atmen ohne Sauerstoff“, sagt sie. Gegen die Traditionen anzukämpfen braucht Kraft, Mut, Leidenschaft und Moral. „Ich als Frau habe viel unter dieser Fremdbestimmung gelitten, bis ich meine eigene Stärke erkannt und gelernt habe, sie wertzuschätzen und für mich zu nutzen.“ Auch der Koran, so betont Susan, kenne Nächstenliebe, wie sie in der Bibel gefordert werde. Doch dazu gehöre große innere Widerstandsfähigkeit.

Frauen demonstrieren für Gleichberechtigung.
Frauen demonstrieren für Gleichberechtigung.
Susan mit einem Plakat für Frauenrechte.
Susan mit einem Plakat für Frauenrechte.

"So banal das auch klingt"

Diese Stärke ermöglichte es ihr, Anfeindungen standzuhalten und immer wieder neu für Autonomie und Bildung für Frauen einzutreten. Doch blieb ihre Arbeit ein stetes Ringen zwischen Interessensgruppen. Freundeskreis, Familie und Arbeitgeber, Susan feindlich gesinnte Menschen und wildfremde Frauen - alle traten mit anderen Erwartungen und Forderungen an sie heran.

Deshalb versuchte Susan, ihr wöchentliches Radioprogramm bei der BBC mit Themen zu füllen, die Frauen bewegen: Verhütung, Kindererziehung, Gesundheit, Lernstrategien und Schulpflicht, Zwangsehen und Hochzeitsrituale und vor allem: Selbstbestimmung.

Das Resultat dieser Arbeit fast Susan folgendermaßen zusammen: „Ich habe mit vielen Frauen versucht, über Frauenrechte zu sprechen. Manche haben verstanden, dass sie Menschen sind und Rechte haben. So banal das auch klingt. Andere Frauen haben mich nicht verstanden und waren gegen meine Aufklärungsversuche. Diese Frauen hatten nie gelernt, mündig zu sein. Wie fürchterlich! Dagegen müssen wir kämpfen!“.

Die vergangenen Jahr haben Unruhe gebracht

Mithilfe von Social Media organisierte sie kleine Protestaktionen für Frauenrechte. Das brachte sie und ihre Mitstreiterinnen ins Gefängnis. Doch sie versuchte, weiterhin ihre Stimme zu erheben. Susan formuliert es so: „Frauen sind nicht schwach, doch sie müssen sich trauen, ihre Stärke auch öffentlich zu äußern. Wir haben das Glück, Social Media nutzen zu können, Radio, Internetplattformen – hier können wir unsere Meinung kundtun und uns vernetzen. Vernetzung macht uns stark!“.

Irgendwann wurde der Druck auf sie und ihre Familie zu groß. Mit ihren Reden um Gleichberechtigung und Machtmissbrauch hatte sie es gewagt, sich gegen die etablierten Machteliten zu wenden und ihr Weltbild infrage zu stellen. Sie musste ihre journalistische Tätigkeit aufgeben und ihre Heimat verlassen. Wohin ihr Weg nun gehen mag, weiß sie noch nicht genau. Zu viel Unruhe haben die vergangenen Jahre in ihr Leben gebracht.

Doch für die Zukunft wünscht sie sich, dass alle Menschen auf dieser Welt juristisch gleich behandelt werden, denn die Würde des Menschen ist unantastbar. Susan wünscht sich Frieden für ihr Land und die „derzeit so unfriedliche Welt“. Susans Lebensgeschichte zeigt eines deutlich: Der Kampf für eine Gleichberechtigung aller Menschen ist noch nicht abgeschlossen und es liegt an uns allen, einen Beitrag dafür zu leisten.

Sie hofft, dass jedem das Recht zugesprochen wird, so zu glauben und zu leben, wie es zu einer friedvollen Gemeinschaft passt. Sie sagt: „Ich glaube nicht an Grenzen! Ich mag keine Grenzen! Also sollten wir auch niemandem Grenzen auferlegen mit scheinheiligen Argumenten. Dafür sollten wir alle eintreten!“.

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