10.10.2019
Voneinander lernen im Gespräch, Vertrauen aufbauen - das sind wichtige Grundprinzipien. Dabei ist Liebe die oberste Maxime.
Voneinander lernen im Gespräch, Vertrauen aufbauen - das sind wichtige Grundprinzipien. Dabei ist Liebe die oberste Maxime.
Miteinander

Interreligiöser Dialog vom Kopf ins Herz

Junge Muslime und Christen haben es erlebt: gemeinsam leben, essen, danken und streiten, um sich am Ende wieder zu umarmen. YOUPAX-Autorin Miriam war mit dabei und berichtet von ihren Erfahrungen.

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von Miriam Pawlak

Es ist 6.30 Uhr. Emines* Wecker klingelt. Mit einem Ohr höre ich sie aufstehen, das andere Ohr drücke ich in mein Kopfkissen und schlafe wieder ein. Emine ist eine gläubige und praktizierende Muslimin. Ich teile mir das Zimmer mit ihr. Es ist das erste Mal, dass ich in einem Doppelbett mit einer Muslimin schlafe. Wir waren uns von Anfang an sympathisch.
Fünf Mal am Tag verrichtet sie ihr Gebet – eines davon eben schon am frühen Morgen, wenn die Sonne aufgeht. Zuvor sagte sie mir, dass sie ja die Kurzfassung bete, da sie auf Reisen und daher von der gewöhnlichen Gebetslänge befreit sei. Nachdem sie ihren Gebetsteppich, den sie vorher in Richtung Mekka ausgelegt hatte, nun wieder zusammenrollte, legte sie sich Schlafen. Im Verlauf des Tages fragte ich, woher Muslime denn wüssten, welches die richtige Richtung nach Mekka sei, wenn sie sich immer an anderen Orten zum Gebet aufhielten. Sie erklärte mir dann, dass entweder eine Art eingebauter Kompass im Teppich die Richtung weise oder eine App, die man leicht bedienen könnte. Ziemlich modern also.

Mit leerem Magen spricht man nicht. Süße Abende vertieften interessante Gespräche.
Mit leerem Magen spricht man nicht. Süße Abende vertieften interessante Gespräche.

»Dialogisieren«

So begann das neuntägige interreligiöse Zusammenleben von 16 Teilnehmern und zwei Coaches aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen in Köln. Gemeinsam mit muslimischen Geschwistern haben wir Christen miteinander gelebt, gegessen, gestritten und gedankt – kurz: „dialogisiert“.

Ich habe mich schon Wochen vorher auf das Zusammentreffen gefreut. Ich war wohlgestimmt und brachte die nötige Offenheit und innere Haltung mit, unbedingt „die anderen“ näher kennenlernen zu wollen. Wir haben uns als Gruppe ohnehin sehr schnell sympathisch gefunden und diese Grundstimmung hat sich bis zum Ende hin intensiviert.
Es gab Zeiten, da wurden einige unter uns unzertrennlich. Tiefe innertheologische, aber auch persönliche Gespräche haben die Nächte kürzer erscheinen lassen, als sie es ohnehin schon waren. 12 Stunden Input am Tag – 12 Stunden Miteinander – 12 Stunden Dialog: Das war nicht nur erfüllend, sondern manchmal eben auch anstrengend.
Trotzdem überwiegen die schönen Erfahrungen. Die abendlichen Spaziergänge am Rhein, die Mittagssonne mit einer Tasse türkischem Tee und nicht zuletzt die täglichen spirituellen Impulse, also die Lieblingsbibelstellen und Koranrezitationen, die die Tage ein- und ausklingen ließen.

Kleine Beiträge leisten

Im Prinzip zeichnet all das schon Dialog aus. Der interreligiöse Dialog ist dann erfolgreich, wenn er entsteht: in meiner Homebase, in meiner Gemeinde, in meinem Stadtteil, in meinem Umfeld. Zu hohe Erwartungen darf ich nicht setzen, das habe ich gelernt. Wir haben uns untereinander viel darüber unterhalten, welche Erfahrungen wir jeweils mitbringen: Welche Vorurteile wir haben und wie wir offen damit umgehen können. Wie können wir Diskriminierung im Alltag verhindern? Was verbindet uns? Was trennt uns? Was möchte ich von anderen über ihre Religion erfahren?

Die verschiedenen Exkursionen, Begegnungen mit Menschen und Gottes- und Gebetshäusern und die reflektierten kleinschrittigen Workshops haben uns zu aktiven Mitgestaltern des Projekts gemacht. Als Christen haben wir eine Kirchenführung vorbereitet und die Muslime führten uns im Gegenzug durch eine Moschee. Jeder von uns hat einen Gegenstand mitgebracht, der für uns persönlich interreligiöse Gemeinschaft symbolisiert. Mit unseren individuellen und kreativen Ideen konnten wir uns so einbringen, wie es für jeden Einzelnen von uns angemessen war. Ich selbst habe beispielsweise gerne mein Leben mit Farben und Zeitungsschnipseln auf einem Plakat skizziert, um zu zeigen, wer ich bin, wer mich geprägt und was mich zu der Person gemacht hat, die ich heute bin.


Den Rahmen für das Miteinander geben wir uns am besten selbst.
Den Rahmen für das Miteinander geben wir uns am besten selbst.
Komm, ich zeige dir einen Ort, der mir viel bedeutet.
Komm, ich zeige dir einen Ort, der mir viel bedeutet.

»Das erste und wichtigste Ziel der Religionen ist es, an Gott zu glauben.«

Papst Franziskus und Großimam von Al-Azhar

Da leider keine jüdischen Teilnehmer mit uns nächtigen konnten, hatten wir wenigstens einen Tag lang Eindrücke von drei jüdischen Jugendlichen sammeln können. In der orthodoxen Synagogengemeinde in Köln haben sie uns während des Verzehrs von köstlich koscheren Speisen Fragen beantwortet. In der „jüdisch-liberalen“ Gemeinde wurden wir am Abend des Sabbats ebenfalls herzlich willkommen geheißen. Wir haben am Synagogengottesdienst teilgenommen und konnten anschließend Klartext sprechen, ohne dabei schief angeschaut zu werden. Diese Herzlichkeit, die viele Jahrhunderte zwischen verschiedenen Religionen leider nicht selbstverständlich war (und es in vielen Teilen der Welt immer noch nicht ist) ist so wichtig und gewinnbringend! Als Dialogermöglicher können und müssen wir genau dort ansetzen und konstruktiv fortführen, was in uns und mit uns beginnt: Gesten der Freundschaft und des Friedens. 

Wir haben aber auch bemerkt, dass religiöse Prägungen schnell an den Punkt kommen, an dem sie nicht mehr von der Kultur zu trennen sind. Kultische Rituale und spirituelle Grundannahmen reizen den Dialog mit Andersgläubigen aus. Rituelle Waschungen vor dem Gebet sind bei Muslimen Pflicht. Bei uns Christen herrscht keine Pflicht zum Gebet, wohl aber eine Sonntagspflicht. Fragen, die wir als kompliziert empfunden haben, waren vor allem die nach dem Sinn und Heil der Menschen. Sind Christen in den Augen der Muslime Ungläubige? Werden wir in die Hölle kommen? Wir Christen fragen vielleicht: Gibt es die Hölle überhaupt? Ist sie nicht vielmehr leer? Ist Gottes Heilswille nicht universal, gilt also allen Menschen? 

Hinzukommt dann die emotionale Dimension, die uns an Grenzen des Denk- und Fühlbaren stoßen lässt. Interreligiöses Lernen bedeutet diese Spannungen auszuhalten. Wir spürten, dass auch politisches Interesse Menschen dazu anleiten kann, Positionen zu verfechten, die selbst innerhalb der eigenen Religion angezweifelt sind. 
Auch hier haben wir gelernt: Die Sensibilisierung erfolgt durch Respekt und in unserem eigenen (Um-)Denken

Manchmal reicht es aus, zu wissen: "Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt."  B. Pascal
Manchmal reicht es aus, zu wissen: "Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt." B. Pascal

Was nehme ich mit?

 Wir haben am meisten voneinander und im Miteinander gelernt. Die Gespräche während der Mahlzeiten oder nachts vor dem Zubettgehen waren sehr gewinnbringend. Die fachlichen Diskussionen, aber auch die theologisch motivierten Auseinandersetzungen mit der andersartigen Religion haben schnell gezeigt, dass wir erstens gar nicht so fremd sind, wie wir vielleicht dachten, zweitens haben wir viel über unseren eigenen Glauben erfahren und drittens gingen wir jeden Tag aufs Neue mit einem unglaublich großen Wissensdurst und kenntnisgeleitetem Interesse auf unsere Dialogpartner zu. Durch den Kurs fühle ich mich bestärkt, Hebamme des interreligiösen Dialogs zu sein, die zwischen Leitung und Begleitung changiert.

Ich nehme neben den inhaltlichen Erkenntnissen vor allem Folgendes mit:

1. Interreligiöser Dialog beginnt schon im Herzen und führt von da aus in den Kopf. 

2. Grundvertrauen und das Feststehen in der eigenen Weltanschauung führen zu der nötigen Akzeptanz und Toleranz, die Dialogpartner brauchen, um einen community spirit entstehen zu lassen, der sie trägt, bewegt und zur Liebe befähigt.

3. Interreligiöser Dialog ist mehr, als nur der Austausch zwischen verschiedenen Religionen. Interreligiöser Dialog bedeutet, sich energievoll und mutig mit Herzblut zu investieren, den Respekt zu wahren, ohne die Scheu vor „heißen Eisen“ walten zu lassen.

Mit dem Zertifikat in der Hand, das schwarz auf weiß bestätigt, dass ich Dialogbegleiterin bin, blicke ich höchst motiviert in die Zukunft. Aus dem kleinen Netzwerk, das sich in den wenigen Tagen etabliert hat, kann noch viel entstehen. Ich darf mich glücklich schätzen, Teil dieser community von wunderbaren Menschen zu sein, für die Glaube, Liebe und Hoffnung genauso viel zählen wie für mich.


*Name geändert

Das Projekt "DialogbegleiterIn werden" wird gefördert von der Aktion  des Bundesinnenministeriums "Weißt du, wer ich bin?". Eva-Maria Leifeld (Erzbistum Paderborn) und Thomas Frings (Erzbistum Köln) haben den Kurs geleitet. 

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