10.04.2023
LONG COVID

Mit Kampfgeist zurück ins Leben

Ein halbes Jahr krankgeschrieben, dauernd erschöpft und oft verzweifelt - Nadines Leben mit Long COVID

von Tobias Schulte

Ausbildung beenden, Jakobsweg gehen und dann richtig durchstarten – das war der Plan von Nadine Busemann. Doch als sie vom Pilgerweg nach Hause kommt, stellt sich alles auf den Kopf. Die 22-Jährige erkrankt an Corona und Long COVID.

Mehr als ein halbes Jahr kann die ausgebildete Kfz-Mechatronikerin nicht arbeiten. Eine Zeit, in der sich viele Tage wie ein Kampf anfühlen. Bis heute. Gerade beginnt für Nadine die Wiedereingliederung. Sie arbeitet an drei Tagen die Woche für zwei Stunden in der Werkstatt. Ein Neustart, der Hoffnung in sich trägt - und die Angst vor Rückschlägen.

Deine Corona-Geschichte beginnt mit dem Jakobsweg. Warum wolltest du den Pilgerweg gehen?

Es sollte eine Pause für mich sein, bevor ich richtig ins Berufsleben starte. Ich brauche immer Action und fand die Idee gut, den ganzen Tag draußen zu sein, den Weg mit meiner besten Freundin zusammen zu gehen und über alles nachdenken zu können.

Und wie war es dann?

Anfangs war es schon hart. Ich hatte fünf Blasen pro Fuß, meine Hüfte tat mega weh. Doch mein Körper hat sich daran gewöhnt und dann hat es nur noch Spaß gemacht. Ich habe total viel mit meiner besten Freundin gesprochen – und mal sind wir einfach drei Stunden nebeneinander gelaufen ohne zu reden. Ich hatte echt einen freien Kopf.

Was hast du auf dem Weg gelernt?

Was mein Körper alles aushalten kann. Was für eine Willensstärke ich entwickeln kann. Wie glücklich man mit so wenig Dingen sein kann. Ich hatte nur den Rucksack mit elf Kilogramm an Sachen auf dem Rücken. Und wie toll es ist, mit wildfremden Menschen ins Gespräch zu kommen. Wir haben immer wieder dieselben Menschen getroffen. Da ist ein Gefühl von Zusammengehörigkeit. Verbundenheit. Am Ende des Wegs war es ein wahnsinniges Gefühl an der Kathedrale zu stehen. Wir haben die Pilgermesse mitgefeiert und ich habe gespürt: Ich habe es wirklich geschafft!

Und dann kamt ihr zurück…

Meine Freundin war auf dem Rückflug schon erkältet, doch mir ging es noch gut. Am Wochenende habe ich beim Aufbauen für ein Open-Air-Konzert unseres Musikvereins geholfen und mitgespielt. Dann habe ich gemerkt, dass auch meine Kräfte weniger werden. Montags war ich auf der Arbeit, habe eine Probefahrt gemacht und dachte: Es ist, als wenn mir der Stecker gezogen worden ist. Dienstags war ich dann positiv getestet – und dann ging für drei Wochen nichts mehr.

Ein Spaziergang, Klarinette spielen oder ein bisschen zu viel auf den Beinen gewesen. All das rächt sich dann am nächsten Tag an Nadine Busemann.

Und dann?

Als es mir etwas besser ging, habe ich auf einem Schützenfest wieder Klarinette gespielt. Eigentlich ging es mir aber noch nicht gut. Da hätte ich auf meinen Körper hören und zuhause bleiben müssen. Zwei Tage später hatte ich furchtbare Schmerzen in der Brust. Einen Tag später, an meinem Geburtstag, musste ich ins Krankenhaus. Ich dachte, ich sterbe. Es war der Anfang meiner Long COVID-Geschichte.

Was heißt Long COVID? Welche Symptome hattest du?

Ich habe wochenlang nur krank im Bett gelegen. Du hast dauerhaft Gliederschmerzen, fühlst dich einfach nur erschöpft. Du bist zu nichts mehr in der Lage. Die Ärzte können dir nicht helfen. Du fühlst dich hilflos. Und niemand weiß, wie lange das dauert.

Was hast du dann gemacht?

Ich so viel geweint wie noch nie in meinem Leben. Doch ich habe auch einen Kampfgeist entwickelt. Ich bin von Arzt zu Arzt gefahren, um zu checken, ob da nicht doch was am Herzen oder der Lunge ist. Habe verschiedene Medikamente genommen. Ich habe mir Studien und Berichte durchgelesen. Mails an Chefärzte von Long COVID-Kliniken geschrieben, wodurch ich an der Uni Marburg untersucht werden konnte. Ich musste lernen, mit der Krankheit umzugehen – aber ich wollte nicht akzeptieren, dass ich nicht mehr gesund werde.

Krass.

Und bei Long COVID geht’s nur sehr langsam bergauf. Mit Höhen und Tiefen. Ich muss seitdem extrem auf meine Kräfte achten. Wenn ich an einem Tag zu viel mache, überrollt es mich am nächsten Tag. Erst in der 16. Woche nachdem ich krank war konnte ich für drei Minuten Spazierengehen.

Und was hast du den ganzen Tag gemacht?

Gegen die Langeweile habe ich mir Lego oder Malen nach Zahlen gekauft. Ich bin angefangen, eine Art Buch zu schreiben. Habe so viele Bücher gelesen wie nie zuvor. Viel über Long COVID recherchiert, Meditations- und Entspannungsübungen kennengelernt und fest in meinen Tag eingebaut.

Wie war diese Zeit für dich?

Wenn du wochenlang krank bist, merkst du wie wichtig es ist, das Gefühl zu haben, gebraucht zu werden. Und eine Routine zu haben. Man geht nicht nur zur Arbeit, um Geld zu verdienen, sondern, um ein Ziel, eine Aufgabe im Leben zu haben. Da habe ich vorher gar nicht drüber nachgedacht.

Was hat dir wirklich geholfen?

Der Austausch mit anderen Betroffenen. Ich habe eine digitale Selbsthilfegruppe gefunden und dort zwei Frauen kennengelernt, mit denen ich im Kreis Soest eine Selbsthilfegruppe in Präsenz gegründet habe. Anke und Susanne.
Medizinisch hat mir eine Behandlung mit Cortison richtig geholfen. Bevor ich das genommen habe, hätte ich jetzt kein Interview über eine Stunde führen können. Natürlich war auch der Rückhalt von meiner Familie, Freunden, meinem Chef und aus dem Musikverein wichtig. Ich habe so viele Blumensträuße und Karten mit Genesungswünschen erhalten – das ist schon rührend.

Nadine Busemann erhält Soroptimistinnen-Preis

Mitten in einer Phase, in der es Nadine Busemann gesundheitlich nicht gut ging, wurde sie besonders geehrt: Sie erhielt den Förderpreis des Soroptimistinnen Clubs Soest. Die Soroptimistinnen unterstützen Berufsanfängerinnen, die sich für eine Karriere in männerdominierten Handwerken oder im MINT-Bereich entschieden haben.

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Weil du merkst, dass du den Leuten wichtig bist?

Ja, ich glaub das habe ich vorher so nicht gesehen. Beim Musikverein dachte ich zum Beispiel: Ja, da gehöre ich halt dazu. Aber dazuzugehören oder Menschen wichtig zu sein – das ist schon ein Unterschied.

Wenn du das Wort Gottvertrauen hörst – was klingt dann in dir?

Ich glaube schon, dass es Gott gibt. Jeder hat eine Aufgabe im Leben und man kann in schweren Situationen darauf vertrauen, dass es da wieder rausgeht. Aber ich glaube nicht, dass das von allein geht. Ich vertraue darauf, dass wenn ich für etwas kämpfe, dass es dann auch gut wird.

Aber ginge das nicht auch ohne Gott?

Bestimmt. Aber vielleicht gibt es einen kleinen Impuls, der einen in die richtige Richtung lenkt oder so?! Ich kann das schlecht beschreiben… Manchmal hat man ja so ein inneres Gefühl – und vielleicht ist dieses innere Gefühl ja Gottvertrauen.

Also auch das positive Gefühl, dass nicht alles nur in meinen Händen liegt?

Natürlich habe ich viel selbst in der Hand. Aber es gibt auch Fügung. Ich frage mich manchmal: Wie kann es sein, dass ich Susanne und Anke kennengelernt habe und wir zu dritt eine Selbsthilfegruppe gründen? Ich glaube, dass es von irgendwo her eine gute Fügung ist. Man hat selbst den Impuls dazu, aber jemand anders fügt das. Bei der Online-Selbsthilfegruppe haben wir uns danach gesehnt, sich in Präsenz zu treffen – und jetzt haben wir es selbst möglich gemacht.

Es gibt das Zitat: Zufall ist einer der vielen Namen Gottes.

Das passt ja.

Vielen Dank für das Gespräch.

Mix