Als ich in meinem letzten Sommerurlaub in Mailand durch ein Kunstmuseum schlendere, bleibt mein Blick an einem Gemälde hängen. Es ist die Darstellung einer bekannten biblischen Szene. Schon viele Male hatte ich sie gehört, aber das Bild bringt mich zum Nachdenken.
Das Bild stammt vom italienischen Maler Michelangelo Merisi da Caravaggio (1571-1610) und zeigt das Mahl von Jesus mit den beiden Emmausjüngern. Der Evangelist Lukas erzählt, wie Jesus nach seiner Auferstehung zwei Jüngern begegnet und sie auf dem Weg von Jerusalem nach Emmaus begleitet. Die Jünger sind traurig über den Tod Jesu und merken gar nicht, dass er selbst mit ihnen geht. Erst als sie ihn in Emmaus zum Mahl einladen und er das Brot bricht, erkennen sie ihn (vgl. Lk 24).
Man könnte dieses Gemälde lange betrachten und immer wieder eine neue Facette entdecken. Aber es ist vor allem ein Detail, das mir ins Auge fällt: Auf dem Tisch liegen Brote, ein Krug Rotwein und ein Teller Gemüse – also Nahrung der einfachen Leute vom Land. Kein üppiges Festmahl, sondern ein einfaches Abendessen.
Hinter den Personen, die am Tisch sitzen, stehen ein Wirt und eine Magd. Die Szene scheint sich in einem Wirtshaus abzuspielen. Die Begegnung mit dem auferstandenen Jesus geschieht also an einem alltäglichen, schlichten Ort.
Ich denke: Für den Maler Caravaggio könnte sich diese Begegnung an jedem beliebigen Ort, auch heute, wiederholen. Und obwohl es eine ganz alltägliche Szene im Wirtshaus ist, machen die anwesenden Personen eine tiefe religiöse Erfahrung: Sie begegnen Jesus, nachdem er vom Tod auferstanden ist. Damit begegnen sie letztlich Gott selbst. Wie sie darauf reagieren? Das ist ganz unterschiedlich.
Dem Bauern auf der rechten Seite ist die Verwunderung deutlich anzusehen. Er zieht die Augenbrauen hoch und klammert sich mit beiden Händen an der Tischplatte fest. Dann plötzlich erkennt er, dass es Jesus ist, der neben ihm sitzt. Ein plötzlicher Moment der Klarheit – solche Momente gibt es manchmal auch im Glauben.
Der Wirt schaut neugierig und fragend, vielleicht auch skeptisch. Er könnte für einen kritisch-grübelnden Glaubenstypen stehen.
Die Magd senkt ihren Blick und wirkt nachdenklich, müde, ergebend. Sie ist in der Szene die einzige, die Jesus nicht anschaut. Vielleicht stellt der Maler mit ihr all die Menschen dar, die zwar an Gott glauben, aber ihre leidvollen Lebenserfahrungen nicht ausblenden können.
Als Betrachter des Bildes frage ich mich: Wie würde meine Reaktion in der Szene aussehen?
Caravaggio hat es geschafft, mich mit seinem Gemälde und einer Facette von Gott darin nachhaltig zu berühren. Doch bei aller Begeisterung muss ich mir auch klarmachen: Es ist nur ein Bild von Gott, nicht Gott selbst. Und: Es gibt noch unzählige andere Bilder und Geschichten über Gott.
Allein, wenn ich in der Bibel lese, begegnen mir viele verschiedene Bilder von Gott und Erzählungen davon, wie sich Menschen vor über tausend Jahren Gott vorgestellt haben. Wie Gott sich ihnen gezeigt hat.
Als Hirte, der die Menschen beschützt und ihnen den Weg zeigt (Ps 23). Der sich um die Menschen sorgt und jedes einzelne Schaf sucht, wenn es verlorengeht (Mt 18).
Als König, der über die ganze Welt regiert (Ps 47).
Als Richter, der das Böse nicht einfach ungestraft lässt und am Ende der Zeiten für Gerechtigkeit sorgen wird (Jes 2).
Als barmherziger Vater, der sich über die Rückkehr des verlorenen Sohnes freut (Lk 15).
Als Mutter, die sich sanftmütig und liebevoll um ihre Kinder kümmert (Jes 49).
Diese Liste ließe sich noch lange fortführen.
Das Spannende ist: Bei all den verschiedenen Gottesbildern hat jeder Mensch nochmal eine ganz individuelle Vorstellung von Gott. Jeder hat andere Erfahrungen mit Gott gemacht. Meine Lebenssituation hat Einfluss auf mein Gottesbild. Das, was mich gerade beschäftigt – Freude, Trauer, Angst, Hoffnung – prägt mein Gottesbild. In manchen Momenten ist das Bild ganz klar, manchmal ist es verschwommen. Vor allem ist es nie fertig und Gott bleibt letztlich immer ein Geheimnis, dem ich mich immer mehr annähere.
Gottesbilder aus der Bibel und der Kunst können mir helfen, meine eigene Beziehung zu Gott positiv zu entwickeln. Bilder können niemals Gott vollständig erfassen, aber sie können einen Teil, eine Facette von ihm hervorheben. Das Wichtigste aber ist, nicht nur über Gott zu sprechen, sondern auch mit ihm. Schon die Bibel erzählt davon, wie Menschen Gott angesprochen haben. Wie sie ihre Erfahrungen, Wünsche, Hoffnungen, Ängste vor Gott getragen haben.
Um mit Gott ins Gespräch zu kommen, kann mir ein biblischer Text oder ein Bild helfen. Ich versetze mich hinein und frage, wie mir der Text oder das Bild in meinem Glauben helfen kann. Wie ich mich in der Szene wiederfinde. Dann kann ich Gott nicht nur in der Kunst, sondern auch in meinem eigenen Leben entdecken.
Um Gott in meinem Leben zu entdecken, kann mir es mir helfen, ein Bild mit folgenden Schritten zu betrachten:
1. Ich lasse das Bild auf mich wirken. Was sehe ich? Was ist im Vordergrund, was im Hintergrund? Welche Farben nutzt der Künstler? Gibt es Emotionen, die in den Gesichtern der dargestellten Personen zum Ausdruck kommen?
2. Wenn ich das Bild länger anschaue, macht das vielleicht etwas mit mir. Welchen Eindruck habe ich von der dargestellten Szene? Welche Gefühle kommen in mir auf?
3. In welcher Figur kann ich mich wiederfinden? Wie würde ich mich in der Szene verhalten?
4. Über all meine Gedanken kann ich zum Abschluss im Gebet mit Jesus sprechen.
Lesetipp: Mario Dal Bello (2015): Die Bibel des Caravaggio. Bilder aus dem Alten und Neuen Testament, 2. Auflage