Was denken Jugendliche über das Leben?
09.12.2020
Perspektive

Was Jugendliche über die Kirche denken

Jugendstudien zeigen: Glaube ist nicht gleich Kirche

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von Till Kupitz

„Junge Leute? Das sind doch die Partygänger. Die, die in den Tag hineinleben und lieber chillen, als Sinnvolles zu tun.“ Diese und andere Aussagen sind aktuell immer wieder zu hören. Die großen Jugendstudien belegen jedoch mit ihren neusten Auflagen anderes.

Die gute Nachricht vorweg: 75 Prozent der katholischen Jugendlichen und 69 Prozent aller jungen Menschen zwischen 15 bis 25 Jahren finden gut, dass es die Kirche gibt. Das zeigt die - repräsentative Shell-Jugendstudie, die zuletzt im Oktober 2019 herausgekommen ist. Ein Ergebnis, das heutzutage eher erstaunt als selbstverständlich wirkt. In der Studie geben aber auch 59 Prozent der katholischen Jugendlichen an, dass die Kirche keine Antwort auf die Fragen hat, die sie wirklich bewegen..

In diesem Sommer ist die SINUS-Jugendstudie erschienen. Um mehr zu erfahren, treffe ich mich mit Jan Hilkenbach, Vorsitzender beim Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) im Erzbistum Paderborn. Der katholische Dachverband ist einer der Auftraggeber der SINUS-Jugendstudie.

Jan Hilkenbach mit der aktuellen SINUS-Jugendstudie

Vielleicht fragst du dich jetzt, warum du als junger Mensch einen Text lesen solltest, in dem es darum geht, wie „die Jugend“ tickt. Naja, es ist deine Entscheidung. Aber vielleicht interessiert es dich ja, ob die Jugendlichen in Deutschland ähnlich wie du drauf sind. Eine Auseinandersetzung mit den Werten, für die man einsteht, soll noch keinem geschadet haben. Und gerade Fridays for Future zeigt, wie junge Leute etwas bewegen, auch Politiker unter Druck setzen können. Die Meinung deiner Generation ist die, die das zukünftige Leben in Deutschland mitbestimmten wird. Und außerdem: Wenn du Kirche verändern möchtest, dann hilft es doch zu wissen, was andere junge Menschen überhaupt über die Institution und den Glauben denken. Was sie mit „Kirche“ in Verbindung bringen.

Familie ist besonders wichtig

Die SINUS-Jugendstudie, die die Altersspanne von 14 bis 17 Jahre untersucht teilt Jugendliche in verschiedene Lebenswelten ein, mit verschiedenen Haltungen und verschiedenen Einstellungen zum Leben, die sich teilweise stark voneinander unterscheiden: Die Traditionell-Bürgerlichen zum Beispiel sind Menschen mit starken Heimatgefühl, naturverbundene Familienmenschen mit Bodenhaftung. Die Expeditiven hingegen sind lifestyle- und erfolgsorientiert und immer auf der Suche nach neuen Grenzen und unkonventionellen Erfahrungen. Eine allgemeine Aussage könne man daher nur in Teilbereichen treffen, erklärt Hilkenbach.

Familie ist das, was zählt.

Ganz besonders wichtig ist für junge Menschen die Familie – im weitesten Sinne. Ihre Bedeutung wird sogar quer durch alle Lebenswelten immer größer. Dabei ist egal, ob das die Familie im klassischen Sinn oder der enge Freundeskreis ist, der als Familie angesehen wird. . „Die Familie entspricht dem Ort, wo ich Rückhalt finde und mit anderen im Gespräch bin“, sagt Hilkenbach. Jugendliche aus allen Sinus-Lebenswelten stünden hinter Werten wie Fairness, Treue, Gerechtigkeit, Solidarität, und Umweltbewusstsein – ein Werteuniversum, das sich an vielen Stellen mit Werthaltungen der katholischen Kirche überschneidet.

Die SINUS-Jugendstudie erforscht seit vielen Jahren, wie Jugendliche in Deutschland ticken und untersucht dazu deren Lebenswelten. Sie erscheint alle vier Jahre, jeweils mit anderen Schwerpunkten. In der Studie von 2020 sind dies Politik, Gesundheit, Sport, Berufswahlprozesse und Schule. Das SINUS-Institut führte sie im Auftrag verschiedener Verbände durch: neben dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) auch von der Bundeszentrale für politische Bildung, der BARMER, der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, der Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz, des Deutschen Fußball-Bundes, der Deutschen Sportjugend sowie der DFL Stiftung. Dazu wurden 72 Jugendliche vielfältigen Hintergrundes im Alter von 14 bis 17 Jahren in Interviews befragt.
HIER kannst du dir die aktuelle Studie gratis downloaden und dir alle Ergebnisse ansehen.

Die Shell-Jugendstudie ist im Jahr 2019 bereits zum 18. Mal erschienen und untersucht repräsentativ, wie 12- bis 25-Jährige in Deutschland zu Themen wie Politik, Gesellschaft und Religion stehen. Für die Studie beauftragt das Mineralöl- und Erdgasunternehmen Shell alle vier Jahre unabhängige Wissenschaftler und Institute mit der Erstellung der Studien. Insgesamt nahmen an der 2019-er Studie 2.572 Jugendliche aus ganz Deutschland teil und beantworteten einen Fragebogen.

Believe.

Auch deshalb hält eine Mehrheit der Befragten der SINUS-Jugendstudie die Kirche für vertrauensvoll. Denn sie ist eine moralische Instanz in unserer Gesellschaft und wird als politisch unabhängig wahrgenommen, schreiben die Autoren der Studie: „Positiv ins Gewicht fällt besonders die dem Prinzip der Nächstenliebe verpflichtete Seelsorgequalität der Kirchen, die den Menschen bedingungslos Hilfe und Schutz anbieten (zum Beispiel Kirchenasyl für Flüchtlinge).“

Glaube ist nicht gleich Kirche

Würde man an dieser Stellen ein Zwischenfazit ziehen, es wäre durchaus positiv. Die jungen Menschen teilen christliche Werte, sie schätzen den Einsatz für die Schwachen der Institution Kirche. Doch dann wird es kritischer. „Durchaus spannend ist, dass die Befragten tatsächlich viele Werte teilen, für die die katholische Kirche steht“, schildert Hilkenbach, „aber die jungen Menschen differenzieren zwischen Kirche und Glauben.

Der Unterschied in der Sichtweise macht die Shell-Jugendstudie deutlich: Der Glaube sei etwas, das jeder für sich habe, etwas Individuelles, das einfach da ist und an dem man sich festhalten könne. „Die Institution Kirche wird dagegen mit sehr vielen Regeln verbunden. Da geht es um so etwas wie Bevormundung und Vorschriften, wie ich mich verhalten muss.“ Die Sexualmoral, so Hilkenbach, sei beispielsweise ein riesiger Knackpunkt, an dem die Lebenswirklichkeit der meisten jungen Leute mit der Kirche fundamental auseinanderdriftet. Dazu passt: Fast drei von vier katholischen Jugendlichen sagen, dass sich Kirche verändern muss. Die Kirche – nur ein großes Reglement?

Jan Hilkenbach vom BDKJ erklärt, dass in der Sichtweise auch eine Chance liegen könne. Denn sie zeigt: Der Glaube an Gott und das, wofür er steht ist auch jungen Menschen nach wie vor wichtig. Das könne ein Anknüpfungspunkt für die katholische Kirche sein, über die Brücke zum Glauben die Jugendlichen zu erreichen und neue Glaubenswege zuentdecken. Natürlich gehe das nur gemeinsam und gleichberechtigt mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Neue Glaubensformen, geprägt von der Jugend

Glaube ist für Jugendliche nicht direkt gleich Kirche.

„Es ist nicht die Lösung, sich in einem Elfenbeinturm neue Formate auszudenken und die dann auszurollen“, sagt Hilkenbach. Denn gerade das sei vielen jungen Menschen ja ein Dorn im Auge: nicht mitbestimmen zu können. „Die Antwort kann nur sein, mit der Jugend ins Gespräch zu kommen und miteinander unterwegs zu sein. Je ehrlicher und authentischer die Kirche da ist, desto ehrlicher sind auch die Rückmeldungen. Wir brauchen ernstzunehmende Beteiligungsstrukturen für junge Menschen.“ Zentrales Ergebnis der Sinus-Studie ist: Die Jugend fühlt sich zu wenig gehört und nicht ernst genommen, Wenn Kirche keine partizipativen Strukturen entwickelt, schlägt sie die Tür zu den Jugendlichen zu.

Das gehe laut Hilkenbach im Kleinen los, zum Beispiel bei der Gestaltung des Gottesdienstes: Welche Lieder passen? Welche Gottesdienstformen kann es sonst noch geben? Ist die Liturgie etwas Standardisiertes oder etwas, das ich gemeinsam in der Glaubensgemeinschaft gestalten will? Fragen, zu denen Jugendliche mit Sicherheit Neues, Attraktives und Kreatives entwickeln können. In den Jugendverbänden gehen wir diesen bereichernden und partizipativen Weg an vielen Orten.

Verwunderung über Kirche als Arbeitgeberin

Wie distanziert das Verhältnis vieler junger Menschen zur Kirche ist, wird in einem Punkt besonders deutlich: in der SINUS-Jugendstudie 2020 war die Kirche als Arbeitgeber ein zentraler Punkt in der Befragung der Jugendlichen. Das Ergebnis: Die jungen Leute haben die Kirche als Arbeitgeber gar nicht so sehr im Blick. „Scheinbar gehört die Kirche als Arbeitgeberin für viele Jugendliche nicht zu ihrem Mindset. Teilweise ist man unsicher, etwas skeptisch und vielen fehlt einfach der Bezug“, zitiert Jan Hilkenbach. Die Kirche wird in den Augen der Befragten teilweise als überkorrekt und zu spirituell angesehen, andere schätzten aber, dass es eine Arbeit sei, bei der man Gutes und Sinnvolles tun könne.

Dies zeigt sich auch in den Werten, die die befragten Jugendlichen der SINUS-Jugendstudie allgemein verfolgen: Hilfsbereitschaft, Toleranz und Empathie sehen fast alle als erstrebenswert an. Sie wünschen sich Halt und Orientierung im Leben, wollen sozial geborgen sein, schreiben die Autoren. Daher auch ein fest eingeplantes Lebensziel der meisten Teenager: eine eigene Familie zu gründen.

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