Nächstenliebe leben im Gast-Haus
21.01.2017

Nächstenliebe leben im Gast-Haus

Julia Ackermann engagiert sich für mittellose Menschen in Dortmund. Sie teilt Frühstück aus und spricht mit ihnen.

Von Laura Konieczny

Freitagmorgen, 7 Uhr. Während viele ihrer Kommilitonen sich wahrscheinlich nochmal in ihrem Bett umdrehen, ist Julia Ackermann bereits auf dem Weg ins „Gast-Haus“. Jeden Freitag verteilt die 21-Jährige Studentin dort Frühstück an wohnungs- und mittellose Menschen.

7.30 Uhr. Julia begrüßt ihre Kollegen im Gasthaus. Einige von ihnen sind schon seit 7 Uhr da, haben Kaffee gekocht, die Tische gedeckt und Brötchen aufgebacken. Sie wäscht sich die Hände und hilft bei den letzten Vorbereitungen in der Küche, bevor die Gäste herein kommen. Teller mit Aufschnitt und Brot werden bereitgestellt, Gebäck zugeschnitten und letzte Stühle gerückt.

Um 8 Uhr öffnet das Gast-Haus seine Tür. Einige Menschen warten bereits seit mehreren Stunden darauf, an diesem kalten Wintertag den warmen Raum betreten zu dürfen. Nach und nach füllen sich die Stühle. Kaffee und Geschirr stehen auf den Tischen. Das Frühstück bekommt jeder der Gäste einzeln serviert. „Wir behandeln unsere Gäste wie in einem richtigen Café“, erklärt Julia. „Jeder soll sich hier wohl und vor allem wertgeschätzt fühlen.“

Julia Ackermann, 21, engagiert sich jede Woche im Gast-Haus.

Die Stimmung im Gast-Haus ist entspannt. Jeder der gut ein Dutzend Helferinnen und Helfer kennt seine Aufgabe. Julia geht mit großen Tabletts voll belegter Brötchen und Gebäck von Tisch zu Tisch. Jeder darf essen, so viel er oder sie möchte. Sämtliche Lebensmittel werden von Bäckereien, Supermärkten und Kantinen gespendet. „Fürs Gast-Haus ist es super, dass wir so viele Lebensmittelspenden bekommen und austeilen können. Dass das alles, nur weil es vom Vortag ist, sonst im Müll landen würde, finde ich trotzdem erschreckend“, meint Julia. Sie sei stets aufs Neue davon von den großen Mengen überrascht. Heute gibt es massenhaft gefüllte Berliner und Kuchen. Die Gäste freuen sich sichtlich über die leckeren Sachen. Viele stecken das ein oder andere Gebäckstück und Brötchen in die Tasche, um auch später am Tag noch etwas davon zu haben.

Bis zu 350 Frühstücke und an drei Tagen in der Woche auch – je nach Spendenaufkommen – Kuchen oder Suppe am Nachmittag teilen die insgesamt rund 100 Ehrenamtlichen Mitarbeitenden im Gast-Haus täglich aus. Mehr als die Hälfte der Gäste, erklärt Gasthaus-Koordinatorin Katrin Lauterborn, seien nicht obdachlos, sondern leben am Rande der Armutsgrenze. Die Gründe dafür sind vielfältig: Einige sind arbeitslos, chronisch krank oder bekommen nur eine geringe Rente. Andere wurden durch Schicksalsschläge aus der Bahn geworfen und flüchteten sich in Süchte und wieder andere sind Migranten, zum Beispiel aus Osteuropa, und haben deshalb keine Ansprüche auf Sozialleistungen in Deutschland.

Brötchen und Gebäck sind Spenden und werden an mittellose Menschen ausgegeben

Außer einem sättigenden Frühstück bekommen mittellose Menschen im Gast-Haus auch kostenlos frische Kleidung und eine warme Dusche. Rechtsanwälte, Psychologen, Seelsorger, Fußpflegerin und ein Friseur gehören zu den ehrenamtlichen Helfern und sind abwechselt zu Besuch in den Nebenräumen des großen Aufenthaltsraums. Eine Haustür weiter gibt es eine Arztpraxis, in der die Patienten auch ohne Krankenversicherung behandelt werden. „Die Geschichten der Leute, die hier herkommen, sind zum Teil ziemlich krass“, erzählt Julia, während sie eine kurze Pause vom Brötchen verteilen nimmt. Wann immer möglich nehme sie sich auch Zeit, mit den Café-Gästen ins Gespräch zu kommen. An ihrem ersten Tag im Gast-Haus, im Dezember 2014, sei sie überrascht gewesen über die Offenheit vieler Besucher, erinnert sie sich.

Noch immer beschäftige sie zum Beispiel das Treffen mit einem relativ jungen Mädchen, das von zuhause abgehauen sei. „Da musste ich erstmal schlucken und habe noch mehr zu schätzen gelernt, wie gut es mir geht“, sagt sie. Vor allem während ihres achtwöchigen Praktikums für das Studium der Rehabilitationswissenschaften sei sie vielen der Gäste näher gekommen. Deshalb sei es auch selbstverständlich für sie, sie in der Fußgängerzone oder im Park zu grüßen. „Ein älterer Mann hat sich letzten Sommer spontan meinen Freunden und mit zum Picknick angeschlossen. Das war total schön.“ Momente wie diese machen für die 21-Jährige die Arbeit aus. „Man bewirkt hier wirklich was und die Leute sind dankbar für unseren Einsatz“, sagt sie.

Das Gast-Haus ist an 365 Tagen im Jahr geöffnet.

Die Zeit im Gast-Haus vergeht wie im Flug. Im Nullkommanichts zeigt die Uhr auf elf. In den vergangenen Stunden sind 230 Männer und Frauen im Gast-Haus ein und ausgegangen und haben gefrühstückt. Während sich die letzten Gäste bedanken und verabschieden, räumen Julia und ihre Kollegen die Küche auf, putzen Tische und Stühle ab. Um 12 Uhr, nach getaner Arbeit, sitzen die Ehrenamtlichen zusammen, trinken selbst Kaffee und gönnen sich ein zweites Frühstück. „Die Arbeit hier ist anstrengend, aber sehr schön“, fasst Julia zusammen. Das Gast-Haus sei als ökumenische Wohnungsloseninitiative nicht an eine bestimmte Kirche gebunden, viele der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien aber Christen. Julia meint: „Nächstenliebe ist ohnehin universell.“ Genau deshalb komme sie Woche für Woche her, um im Gast-Haus mitzuarbeiten.

Du möchtest mithelfen? Weitere Informationen findet du auf www.gasthaus-dortmund.org.

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