gekreuzigter Christus
10.04.2020
Faszination

Karfreitag

Hinsehen und aushalten. 

test
von Miriam Pawlak

Ist euch das mal aufgefallen? Das Hallelujah am Ende des Psalters, scheint die Schreie des Hiob und der Klage vieler Psalmen zu übertönen. Mir ist das die Tage durch den Kopf gegangen. Innerlich bereitet uns die Fastenzeit auf Ostern vor und mein Eindruck ist: Wir haben es uns angewöhnt, Ostern nur noch mit Ostersonntag zu verbinden.

Kreuz mit Corpus

Im Namen des Kreuzes

Wir singen lieber das Hallelujah, statt die Grabesstille des Karsamstags auszuhalten. Die Osternacht ist das, worauf wir Christen uns freuen. Klar, die ist ja auch wunderbar! Jedoch vergessen wir allzu schnell, dass Ostern oder besser das Triduum, wie der lateinische Name schon sagt, sich aus drei Tagen zusammensetzt, welche eine Einheit bilden. Genauso verhält es sich mit dem Leben Jesu, zu dem das Leiden und Sterben gehören, das aber nicht im Tod endet, sondern mit der Auferstehung endgültig den Tod überwindet. Diese Überwindung, die den Sieg Jesu Christi und damit den Sieg des Lebens über den Tod bringt, ist es, dank der wir auf unsere eigene Vollendung hoffen dürfen. So verstanden gehören wir Christen natürlich einer Religion an, die durch Christus mit dem Siegeskranz gekrönt wurde – aber wir kennen auch Leid.  Wir sind Menschen. Wir sind gut und böse zugleich, freudig und traurig, begrenzt mächtig, aber meistens ohnmächtig. Das Kreuz steht ja für beides: Tod und Leben.

Es wäre fatal, wenn wir das Leiden Christi und das der Menschen verdrängen würden, weil damit ein Teil unserer Identität abbrechen würde. Von dem Kreuz können wir nämlich auf uns schließen. Beides gehört zusammen und fließt zusammen in das Kreuz, an dem Jesus für uns gelitten hat. Das Kreuz ist unser Erkennungszeichen. 

Im Schrecken des Todes verweilen

Vielleicht gibt es ja ausgerechnet in dieser außergewöhnlichen Zeit der Corona-Krise Leid, dem wir uns zuwenden sollten, aber auch anderes Leid in der Welt. Es gibt so viel Leid… 
Wo ist unser Mitleid – unsere Mit-leidenschaft? Die Frage hat sich ein berühmter Theologe gestellt: Johann Baptist Metz. Er wirft dem Christentum Geschichtsvergessenheit vor und sucht einen Ausweg. Ausgehend von seinen biografischen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und des damit verbundenen erschütternden Ereignisses, von dem es reicht, den Ort Auschwitz zu nennen, wagt er eine neue Denkform. Metz sieht Leid besonders in den Opfern von Auschwitz fokussiert – was ist es, was nach dieser Menschheitskatastrophe bleibt? Für ihn ist es der stumme Schrei der Leidenden, der ungerecht behandelten und getöteten. Er ist überzeugt, jenes Leid kann nicht nur eine historische Chiffre bleiben, deshalb ist für ihn klar: Wir Menschen dürfen nicht so tun, als hätte es sowas nie gegeben. Besonders die Theologie ist herausgefordert, denn sie kann und darf nicht mehr so sein, wie sie vorher getrieben wurde. Es fehlt der Blick Jesu, der zuerst den Anderen galt, schreibt er in seinem Werk Memoria passionis. Natürlich weiß auch Metz keine Antwort auf die quälenden Fragen nach dem Warum. Trotzdem sensibilisiert er uns für Mitmenschlichkeit, die in Wirklichkeit Mitleidenschaft ist: Wir müssen den Blick für fremdes Leid schärfen, weil uns als Christen eine »Mystik der offenen Augen« inhärent ist. 
Das bedeutet: Unsere jüdisch-christliche Identität ist geprägt von Leid und Leidenden. Es reicht nicht, dass wir uns einfach daran erinnern, was geschah und dann damit abschließen, weil jedes Erinnern, jedes Erzählen eine Vergegenwärtigung ist, die unser Heute aktualisiert. 

Stacheldraht
Kreuze in trockenem, rissigen Boden

»Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan«

Mt 25,40

Das dürfte uns bekannt vorkommen, wenn ich ihn richtig verstehe. Denn das Leiden Jesu Christi vergegenwärtigen wir Christen jedes Mal in der Eucharistiefeier. Wenn wir die Erzählungen aus der Heiligen Schrift hören und das Geheimnis des Glaubens feiern, dann ist das nicht nur ein bloßes Erinnern an das Wort und Leid Gottes, dann ist das der weckende Ruf zur Nachfolge, die sich in unseren Tätigkeiten widerspiegeln muss. Nachfolge geschieht im Namen des Kreuzes. Sie ist wirklich ein Kreuzweg. Wichtig ist dabei, dass wir die Anderen nicht absichtlich aus den Augen verlieren, weil wir uns wichtiger sind. Schließlich können wir selbst uns auch nur dann lieben, wenn wir unsere Nächsten lieben. Jesus Christus, der mit seiner Leidensgeschichte die Menschheit erlöst und die Welt endgültig mit Leben beschenkt hat, ja wo ist er denn heute? 

Wir müssen uns fragen: Zieht uns Leid heutzutage in Mitleidenschaft? Sehen wir das Leid der Anderen? Falls ihr jetzt denkt, was diese Fragen sollen, ihr seid doch nicht kaltherzig, dann müsst ihr verstehen – Metz geht es in seinem Ansatz nicht um Gefühlsduselei oder einfach um »Mitleid haben«, sondern um echte Betroffenheit, die unseren Alltag unterbricht, die uns irritiert, die wirklich erschüttert und uns in Bewegung setzt, anders zu handeln, gegenzusteuern. Dabei kann uns der Zuspruch Jesu aus dem Matthäusevangelium als Leitsatz dienen: »Was ihr einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan«.

Junge Frau schaut nachdenklich in die Höhe. Hinter ihr ein weiß leuchtendes Kreuz.
Corpus Christi ohne Arme, hängend an der Wand.

»Es gibt kein Leid, das uns nicht angeht.«

Johann Baptist Metz
Memoria passionis, 2006

»Es gibt kein Leid, das uns nicht angeht«, hat Metz mal gesagt. Natürlich können wir nicht die Welt retten, das hat Gott schon für uns übernommen. Aber wenn wir uns darauf besinnen, dass er Mitleidende sucht, dass, das was uns berührt auch ihn berührt, dann lassen wir Jesu Stimme in unser Herz legen. Wenn wir ihn an Karfreitag anschauen, hängend am Kreuz und uns von ihm anschauen lassen. Wenn wir bedenken, dass sein Blick uns zuerst galt. Wenn wir die Stille, die uns zur Zeit vielerorts begegnet zum Anlass nehmen, den Blick nicht von ihm zu wenden. Dann sind wir ganz da, dann sind wir ganz bei ihm. Wie damals am Grab. Vielleicht nehmen wir plötzlich Leid, Klage, Angst und den Schrei der Verstummten wahr. Vielleicht hören wir die Verse aus Psalm 130: »Aus den Tiefen rufe ich, HERR, zu dir: Mein Herr, höre doch meine Stimme!« Vielleicht durchglüht uns ein tiefer Schmerz. Vielleicht verschreckt uns die Todesstille. Vielleicht lassen wir uns einfach nur in seiner Ruhe wiegen. Vielleicht ist dann Karsamstag.


HERR, im Namen des Kreuzes, möchte ich in deinem Angesicht verweilen. Hilf mir.

»Der Schrei nach Gott drückt eine besondere Weise des Naheseins aus. Er ist der Ausdruck dafür, dass Gott mir gerade in seiner Göttlichkeit, d.h. in seiner Unfasslichkeit und Unaussprechlichkeit, so nahe gekommen, so nahe gegangen ist, dass ich dies nur im Schrei ausdrücken kann, dass ich nur nach ihm schreien kann. In diesem Ereignis wäre der Schrei selbst das erste Ereignis seiner Erhörung. In diesem Schrei, und gerade in ihm, ist Gott »da«, ereignet sich Da-sein Gottes.«

Johann Baptist Metz, Memoria passionis. Ein provozierendes Gedächtnis in pluralistischer Gesellschaft, Freiburg i.Br. ²2006.

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