Teresa Henkemeier über ihre Arbeit im Kinderhospiz
„Wie, das kannst du?“ – die meisten Menschen reagieren mit Ungläubigkeit, wenn Teresa Henkemeier von ihrem Masterstudium „Palliative Care“ an der FH Münster und ihrem Freiwilligen sozialen Jahr im Kinderhospiz Bethel erzählt. Darauf folgt fast immer eine Mischung aus Bewunderung und Distanzierung: „Uh krass, das könnte ich aber nicht“.
Wie kommt es also, dass für die 23-jährige Teresa Sterben und Tod alltägliche Themen sind, auf die sie ihren Bildungsweg und womöglich auch ihr Berufsleben aufbaut? Wie die meisten Jugendlichen hat sich auch Teresa in ihrer Jugend nur wenig mit dem Sterben befasst. Warum auch? Man ist jung und hat genug damit zu tun, seinen Platz im Leben zu finden, welches doch gerade erst beginnt. Natürlich war ihr bewusst, dass alte Menschen irgendwann sterben, aber gesprochen wurde darüber kaum, weder in der Familie noch im Freundeskreis. Dass auch Kinder und junge Menschen bereits mit ausweglosen Schicksalen konfrontiert sind, ging an ihr vorbei.
»Das Kinderhospiz ist bunt und fröhlich,
ein Ort voller Leben für die kranken Kinder und ihre Familien.«
TERESA HENKEMEIER
Studentin, 23 Jahre
Von diesen Eindrücken geprägt und fasziniert, entschied sich Teresa nach ihrem Abitur, ein Freiwilliges soziales Jahr an diesem besonderen Ort zu machen und ihn noch besser kennenzulernen.
Heute schaut sie gern auf die Zeit im pädagogischen Team des Hauses zurück, in der man ihr, wie ihr Chef zu ihr sagte, beim Wachsen zuschauen konnte. Sie erinnert sich an einen schönen und fröhlichen Lebensabschnitt. Es war aber auch ein Jahr, in dem sie sich wie nie zuvor mit dem Tod und den Facetten des Sterbens auseinandersetzen musste. Sie war nun ganz nah dran, an den Familien und ihren unterschiedlichen Schicksalen. Und manchmal war sie auch mittendrin in Krisensituationen. Mittlerweile redet sie wie selbstverständlich über das Sterben: „Für alle im Kinderhospiz ist der Tod einfach ein Bestandteil des Lebens. Er wird nicht verschwiegen. Deshalb kann dort so bewusst gelebt werden.“
Auch für Teresa ist Sterben kein Tabuthema mehr, sondern gehört einfach dazu. Und sie weiß mehr denn je, dass sie das Leben schätzen und dankbar sein will. Dankbar, das ist sie auch für die Erfahrungen, die sie machen konnte, für die vielen Familien, die sie kennenlernen durfte und für die Begegnungen mit den Geschwistern der verstorbenen Kinder. Die Arbeit mit den hinterbliebenen Geschwistern bedeutet ihr viel, weshalb Teresa noch immer neben dem Studium als pädagogische Begleitung der Geschwistergruppe für die Einrichtung tätig ist.
So schön das Freiwillige soziale Jahr in Erinnerung geblieben ist, gab es für die junge Frau natürlich auch Situationen, in denen sie an Grenzen gestoßen ist. „Ich habe die Familien und die kranken Kinder intensiv und oft über einen langen Zeitraum begleitet und intensive Bindungen aufgebaut“, sagt Teresa. „Und natürlich ist es dann schwer, Abschied zu nehmen.“
Eine besondere Unterstützung leistet in diesen Situationen das Team der Hospizmitarbeitenden, die sich gegenseitig Trost spenden. Mit Ritualen und gemeinsamen Abschiedsmöglichkeiten wird sich gemeinsam Zeit genommen. Sie begegnen so auch der Tatsache, dass sie immer mittrauern – egal, wie viel sie sich mit dem Sterben auseinandersetzen, wie oft sie schon eine Familie begleiten mussten oder ob sie den Tod als unumgänglichen Teil des Lebens akzeptieren.
Ein Sterbefall ist für Teresa, so paradox es auch klingen mag, immer auch ein Ansporn, mit ihrer Arbeit weiterzumachen. Gerade in den schweren Zeiten sieht sie, warum es gute Trauerbegleitung und Angebote für die Familien geben muss. Im Kinderhospiz Bethel geht es immer darum, was sich die Familie wünscht und braucht, zu Lebzeiten des Kindes und auch nach seinem Tod. Manche Familien schöpfen beispielsweise Kraft, wenn sie den Sarg für ihr verstorbenes Kind gestalten können. Wichtig sei es auch, situativ und individuell auf die Vorstellungen der Geschwisterkinder einzugehen, meint Teresa: „Kinder haben oft sehr konkrete und schöne Vorstellungen davon, was nach dem Tod passiert. Ein Mädchen hat mir mal erzählt, dass ihre Schwester nun ein Engel sei. Wir haben daraufhin gemeinsam einen kleinen Papierengel für sie gebastelt.“
»Mitzuerleben, wie so junge Menschen sterben müssen, war eine Herausforderung für meinen persönlichen Glauben.«
TERESA HENKEMEIER
Teresa selbst hat keine so konkrete Vorstellung: „Ich weiß nicht genau, wie es nach unserem Tod weitergeht, aber ich bin überzeugt davon, dass es weitergeht.“ Dass sie daran glaubt, hilft ihr oft in ihrem persönlichen Umgang mit Sterbefällen. Aber auch Glaubenszweifel kennt sie: „Gerade in meiner Anfangszeit habe ich bei all diesen unglaublich harte Schicksalen von Kindern immer wieder gedacht: ‚Das kann doch jetzt nicht wahr sein‘ und mir selbst die Theodizee-Frage gestellt, also warum Gott dieses Leid zulässt. Mitzuerleben, wie so junge Menschen sterben müssen, war eine Herausforderung für meinen persönlichen Glauben.“
Natürlich ist die Extremsituation des Todes auch eine Belastungsprobe für die Hinterbliebenen. Grundsätzlich spielt es für die Kinderhospizarbeit keine Rolle, ob oder wie die Familien glauben. Aber Teresa sieht durchaus, dass der Glaube in Extremsituationen Kraft und Zuversicht geben kann, für die Sterbenden wie für die Angehörigen.
Dass sie selbst irgendwann, früher oder später, sterben wird – auch damit hat sich Teresa bereits oft auseinandergesetzt. Angst vor ihrem eigenen Tod glaubt sie kaum noch zu haben. Sie hält es für wichtig, sich mit der eigenen Sterblichkeit auseinanderzusetzten, um andere bei ihrer Arbeit rund um das Thema begleiten und eigenen Ängsten begegnen zu können.
Teresas großes Anliegen ist es, dazu beizutragen, dass Tod und Sterben zukünftig nicht mehr solche Tabuthemen sind, sondern zu einem normalen Bestandteil des Lebens werden, über den wir offen reden können. „Ich würde mir wünschen, dass Trauerarbeit auch in pädagogischen und sozialen Studiengängen berücksichtigt wird, weil in allen diesen Berufen ein professioneller Umgang mit dem Thema erforderlich ist“, sagt sie. „Eine Enttabuisierung würde auch Überforderungen verhindern.“
Handlungsbedarf sieht Teresa auch bei der Aufklärung von Familien mit Kindern mit lebensverkürzenden Erkrankungen. „Die betroffenen Familien müssen wissen, was hinter Einrichtungen wie Kinderhospizen steckt, welche sonstigen Unterstützungsangebote es gibt und was den Familien zur Entlastung und Begleitung zusteht.“ Auch wissenschaftlich sieht Teresa noch viel Forschungsbedarf, um die spezielle Trauer von Kindern besser zu verstehen und ihr begegnen zu können.
Wo konkret Teresa ihren Platz in der Zukunft sieht – ob in der Forschung oder weiter in der praktischen Arbeit, kann sie noch nicht sagen. Aber aus den vielen Begegnungen in der Hospizarbeit weiß sie eines ganz sicher: dass sie auf einem richtigen Weg ist.