Kinokritik: "Aus dem Nichts"
Drogen, Tränen, und die Suche nach Gerechtigkeit. Fatih Akins neuer Film zeigt, wie eine Mutter ihren Ehemann und Sohn bei einem Terroranschlag verliert – und welche Rolle dabei der Rechtsstaat spielt.
Den Ehe-Ring haben sich Katja und Nuri tätowieren lassen. Sich
damit ewige Liebe geschworen. Katja hat Nuri im Gefängnis geheiratet, wo er
wegen Drogenhandels eine Strafe verbüßt. Beide ganz in weiß.
Später bekommen Katja und Nuri einen Sohn, Rocco. Wahrscheinlich
ist es auch die Liebe, die Nuri zu einem erfolgreichen Geschäftsmann werden
lässt. Zu dritt, eine glückliche Familie. Bis eine Nagelbombe Nuris Laden in
einem multikulturellen Hamburger Viertel in die Luft sprengt. Rocco, 6, und Nuri
Sekerci, 37, sind tot. Katja bleibt alleine zurück. Ganz alleine.
Was passiert ist, das soll die Kriminalpolizei herausfinden.
Und Katja will es wissen. Eine Vermutung hat sie bereits. Noch am selben Abend trifft
sie eine Zeugenaussage, für die Polizei später die Entscheidende.
»„Aus dem Nichts“ schildert hautnah, wie eine Hinterbliebene eines Terroranschlags mit den Geschehnissen umgeht.«
Caroline von Eichhorn
YOUPAX-Autorin
Katjas Eltern, Nuris Eltern, ihre Freundin, stehen ihr bei. Doch die Trauer kann ihr niemand nehmen, die Einsamkeit. Unbeschreiblich schreckliche Gefühle, selbst ein Film kann nur schemenhaft darstellen, wie es in Katja aussieht. Sie versucht sich selbst zu helfen, mit Drogen.
„Aus dem Nichts“ schildert hautnah, wie eine Hinterbliebene eines Terroranschlags mit den Geschehnissen umgeht. Man sieht eine Perspektive, die so tieftraurig ist, dass man sich scheut, sie einzunehmen, mitzufühlen. Aus dem Nichts verliert Katja, gespielt von Diane Kruger, ihre Familie, ihren Lebenssinn. Ohne Vorwarnung, ohne Anhaltspunkte, ohne Grund.
Ein Schicksal, so schrecklich, und doch häufig Realität. So oder ähnlich müssen sich die Angehörigen der Opfer von Terroranschlägen fühlen. Man erinnert sich an den Berliner Weihnachtsmarkt, an das Konzert im Pariser Bataclan, an den Axtangriff bei Würzburg, an Amokläufe, an die NSU-Morde.
Prozess als eine Chance, um Gerechtigkeit zu schaffen
An den NSU-Prozess ist auch dieser Film ganz bewusst angelehnt. Und man findet einige Parallelen: Wie im echten Prozess dauert es auch im Film bis die Kripo faschistische Motive in Erwägung zieht, zuerst wird das Opfer selbst verdächtigt. Der Rechtsanwalt der Neonazis im Film erinnert an Ralf Wohllebens Anwalt Olaf Klemke. Man darf allerdings nicht anfangen, diese beiden Geschichten zu sehr zu vergleichen. Dafür sind sie zu verschieden.
In dem Film kann man einmal in einem Gerichtssaal mit dabei sein, wo in der Realität sonst keine Kameras und Aufnahmen erlaubt sind. Vor allem fühlt man, wie sich Katja fühlt. Man erkennt, wie wichtig es für sie ist, die Wahrheit zu erfahren, wie ihr dabei das Gericht, Zeugenaussagen, die Kriminalpolizei helfen können. Sie sieht den Prozess als eine Chance, um Gerechtigkeit zu schaffen, um ihr persönliches Dilemma, ihren Schmerz zu lindern. Denn für Katja geht das Leben weiter, ohne Mann und ohne Sohn - doch mit vielen Erinnerungen.
Der Film zeigt die enorme Bedeutung von einem funktionierenden
Rechtssystem für Hinterbliebene, und doch auch die Grenzen. Fatih Akins große
Stärke ist die Intensität seiner Filme. „Aus dem Nichts“ ist nichts für zarte
Gemüter. Manch einer wird zittern, wenn er den Kinosaal verlässt.
Hier gibt's den Trailer zum Film: