Gefühle zwischen Bücherstaub
12.01.2017

Gefühle zwischen Bücherstaub

Kinotipp: „Die Blumen von gestern“

Von Caroline von Eichhorn

In der Komödie „Die Blumen von gestern“ trifft ein humorloser Holocaust-Forscher eine durchgeknallte Jüdin – über die Vergangenheit können sie auch Wunden der Gegenwart heilen.

Im Institut, in dem der Holocaust-Fortscher Totila Blumen (Lars Eidinger) arbeitet, geht es drunter und drüber. Der Überlebende und Professor Manfred Norkus stirbt, der Auschwitz-Kongress ist gefährdet, weil die Schirmherrin absagen möchte; und Totila Blumen und sein Vorgesetzter haben Auseinandersetzungen am laufenden Band. Dazu kommt, dass Toto auch mit seinem Privatleben unzufrieden ist.

Dann taucht die Praktikantin Zazie Lindeau (Adéle Haenel) auf. Toto Blumen soll sie betreuen. Doch schon bei der Abholung am Flughafen kracht es. Die Beiden sind die Gegensätze schlechthin. Er: staubtrocken, mürrisch, gewissenhaft. Sie: provokant, emotional, direkt. Allmählich findet Toto heraus, dass Zazie aus einem ganz anderen Grund ihr Praktikum angetreten hat.

Mit Zazie findet Toto zu einer neuen Ausgelassenheit.

„Die Blumen von gestern“ ist kein typisch deutscher Film. Dafür ist er zu aberwitzig, und greift er das schwermütige Kapitel Holocaust mit ungewöhnlicher Leichtigkeit auf.

Chris Kraus kam auf das Thema, weil er selbst einmal eine Art Holocaustforscher war. „Vor 15 Jahren bin ich auf eine Version meiner Familiengeschichte gestoßen, die mich viele Jahre nicht losließ“, sagt er. „Ich habe die Verstrickungen meines Großvaters in seine SS-Vergangenheit doch recht gründlich erforscht. Im Verlauf meiner Recherchen habe ich dann mit vielen Fachhistorikern zu tun gehabt, war in zahlreichen Archiven in Deutschland, Lettland, Polen unterwegs und habe mich in diese Materie geradezu eingefressen. Es ist auch ein Buch entstanden für meine Kinder, ein privates Fachbuch, ein Familienatlas des menschlichen Makels. Und als Nebenprodukt dieser Untersuchungen, die doch sehr deprimierend waren und in den Höllenschlund der conditio humana blicken ließen, habe ich mir dann so eine etwas aufmunternde Liebesgeschichte ausgedacht.“

Herausgekommen ist „Die Blumen von gestern“ – der Film findet eine Herangehensweise, die viele Menschen ihrer Generation betrifft. Denn wer hat nicht einen Großonkel, Nachbarn oder Opa im Umfeld, der im Krieg viel erlebt hat. Meist wurden die Erinnerungen wage wiedergegeben, doch große Teile blieben auch verschwiegen. „Achtzig Prozent der Leute aus der jüngeren Generation, so habe ich in einer Studie gelesen, gehen davon aus, dass ihre Großeltern dem „Dritten Reich“ ablehnend gegenübergestanden haben, was bei einem Massenphänomen wie dem Nationalsozialismus natürlich extrem fragwürdig ist. Ich finde, der Verantwortung, mit der Vergangenheit umzugehen, muss man sich stellen“, sagt Lars Eidinger in einem Interview. Auch zwei Generationen später tragen wir viel Unausgesprochenes mit uns herum. Was macht es mit einem, wenn der Großvater ein Nazi war?

Toto ist Nachfahre von NS-Tätern, was sich in jedem Bereich seines Lebens bemerkbar macht. So ist die Ehe mit Hannah (Hannah Herzsprung) schwer zerrüttet.

Mit Toto Blumen macht es vieles: er hat den Holocaust als Historiker zu seinem Beruf gemacht, liest auch privat nur Fachliteratur, doch über seine psychischen Probleme hilft ihm Anhäufen von Wissen nicht hinweg – die Begegnung mit Zazie hingegen schon.

Zum Ende hin zieht sich der Film. Einige Schlenker – etwa den Ausflug nach Riga – hätte man sich sparen können. Doch insgesamt liefert „Die Blumen von gestern“ ein unterhaltsames Kinoerlebnis – mit einer tollen Mischung an französischer und deutscher Musik, wunderschönen Kameraeinstellungen und dem großartigen schauspielerischen Talent von Lars Eidinger und Adéle Haenel - die Französin hat extra für den Film deutsch gelernt. Alle grammatikalischen Fehler sind also echt. Die Figuren füllen das Thema mit bitterem Witz – dennoch wird das Kapitel des zweiten Weltkriegst nie verharmlost. Genau das macht den Film besonders.

„Die Blumen von gestern“ läuft ab dem 12. Januar in den deutschen Kinos.

Fotos: © Edith Held / Four Minutes Filmproduktion

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