Gesunde Selbstliebe, die glücklich macht.
Als du heute aufgestanden bist, hast du da in den Spiegel geschaut und dir zuerst gesagt, wie schön es ist, dass du existierst, dass du dich auf den Tag freust und dass du dich liebst? Ne, oder? Ich auch nicht. Schade eigentlich, denn das, was wie ein Joke klingt, ist in Wirklichkeit sehr ratsam, weil es dabei tatsächlich um unsere Gesundheit geht.
Selbstliebe nennt sich das Phänomen.
Sich selbst zu lieben ist wichtig, das lese ich in letzter Zeit immer häufiger in Apothekenzeitschriften und ähnlichen Ratgebern. Wenn ich „Selbstliebe“ google, dann springen mir zu aller erst acht Artikel mit Tipps und Ratschlägen zum Erlangen von Selbstliebe entgegen. Es wird also davon ausgegangen, dass die wenigsten es besitzen und deshalb Hilfe benötigen. Das bewusste Betrachten im Spiegel und der Zuspruch, den man sich zu Beginn eines neuen Tages machen soll, das ist solch ein Tipp. Manche Internetseiten bieten sogar Onlinetests an, die helfen sollen, die Liebe und Achtung, die du dir zugestehst, zu ermitteln. Ich habe so einen just for fun mitgemacht – das Ergebnis: „Du solltest mehr Selbstliebe pflegen!“ Selbstliebe ist einerseits also essentiell, andererseits überhaupt nicht selbstverständlich und muss zunächst erlernt werden.
Ich habe dazu diverse Podcast gehört und Bücher quergelesen. Sie alle wollen Rezepte für mehr Selbstliebe und in Konsequenz daraus für das eigene Lebensglück vermitteln. Je mehr ich mich mit dem Thema auseinandergesetzt habe desto stärker ist mir aufgefallen, dass Symbole (Ying Yang, Bäume, Lotusblüten) Denkströmungen und die Wortwahl allgemein („ich erschaffe mich neu“, „das Universum hat etwas für dich vorbereitet“), sich an die buddhistische Spiritualität anlehnen.
Was genau ist denn nun Selbstliebe? Wie kann ich sie fassen? Bei der Beantwortung der Frage kommen wieder naturalistische Begriffe ins Spiel: Meistens wird Selbstliebe als eine Kraft definiert, als ein dynamischer, energievoller Strom versprühender Liebe von innen heraus, der sich positiv auf mich und meine Umwelt auswirkt. Diese Liebe stärkt oder ist vielleicht sogar mein Selbstbewusstsein, dass ich fühlen kann. Das klingt ziemlich esoterisch, ja, aber es beschreibt – wie ich finde – etwas sehr Reizvolles, etwas das mir aus dem Christentum bekannt ist, das jedoch viel zu selten thematisiert wird. Wir Christen konzentrieren uns stärker auf unsere Nächsten- und sogar Feindesliebe. Dass wir uns selbst zunächst lieben sollen, das kommt häufig zu kurz, wenn es heißt „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Da ist die Dimension des Nächsten schnell übergestülpt und wir vergessen oft, dass es einen Schritt vorher gibt: „(...) wie dich selbst“. Das ist gar nicht so einfach, sich selbst zu lieben. Das setzt ein starkes Urvertrauen voraus und eine grundsätzlich positive Haltung dem eigenen Leben gegenüber. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass eine Selbstliebe, nur dann existieren kann, wenn man selber Liebe erfahren hat.
»Christlich gesprochen, bedeutet das, dass Selbstliebe die dich erfüllende Lebenskraft ist, die Gott schenkt, indem er sich selbst verschenkt.«
Miriam Pawlak
Seit einiger Zeit bewegt mich die Frage, ob ich mich liebe. Und wenn ja: wie viel kann ich selber dazu beitragen, dass ich mich und Andere mehr lieben lerne? Muss ich dafür erstmal meine Vergangenheit verarbeiten? In einem der Podcasts, die ich gehört habe, ging es darum, alte Wunden aus der Kindheit zu heilen, um die damit verbundenen Emotionen und bedrängenden Ängste loszuwerden. Solche belastenden Blockaden würden nämlich dazu führen, dass du dich nicht lieben könntest. Die Sprecherin im Podcast sprach davon, dass du dich selbst heilen kannst, wenn du deinem Körper etwas gönnst und „dein Körper wird es dir zurückgeben“. Ich finde diesen Dualismus künstlich, weil Körper und Geist eine Einheit bilden, die ich nicht trennen kann. So als ob mein Körper etwas anderes wäre, als das, was ich mit „Ich“ beschreibe. Mein Ich ist Körper und mein Ich ist Geist. Ich bin. Das heißt ich bin Körper und Geist immer zusammen. Wenn ich mir also irgendetwas gönne oder zurückgeben möchte, dann tue ich das automatisch immer meinem Körper und Geist.
Dennoch ist klar, dass unser Körper unübersehbar mit Selbstliebe zu tun hat: Wir kommunizieren durch unser Aussehen, mit dem, was wir tragen und müssen uns schon irgendwie in unserer Haut wohlfühlen, um uns selbst annehmen und lieben zu können.
Im Jargon der modernen Gesellschaft heißt das Bodypositivity und meint die soziale Bewegung, seinem Körper gegenüber positiv gegenüberzustehen. Bei meinen Recherchen bin ich auf diverse Influencer gestoßen, die für bestimmte Fitnessformen, Essensgewohnheiten, Kochrezepten, Modestyles und Make-up-Trends werben, um das Selbstwertgefühl zu steigern und genau dieses Ziel der erhöhten Selbstliebe zu erreichen. Ob das gesund ist? Müssen wir überhaupt irgendwelchen gesellschaftlichen Konventionen folgen und uns vorschreiben lassen, wie wir auszusehen haben? Sicher nicht. Einerseits wird Individualität heutzutage größer geschrieben als je zuvor, andererseits werden bestimmte Erwartungen und Ansprüche an uns gerichtet, die wir zu erfüllen haben, damit wir wertgeschätzt werden. Uns sollte bewusst sein, dass wir nicht vom Mainstream und Modeerscheinungen abhängen. Wenn ich jedem Trend nachlaufe, um von der Gesellschaft angesehen zu werden oder um Ruhm zu erlangen, dann kann ich leicht vergessen, um wen es eigentlich geht: um mich und zwar um meinetwillen.
Gesunde Selbstliebe bedeutet für mich ebenso eine Art der Selbsterfüllung und Harmonie sowie Lebenslust. Mich akzeptieren zu können, meine Makel anzunehmen und Narben dann verheilen zu lassen, wenn die Zeit reif ist. Meine Freude, die mich in Frühlingsgefühlen, Sommerträumen, Herbstzaubern und Wintermärchen, also durch das ganze Jahr hindurch, tanzen lässt. Alles mit der nötigen Geduld und Authentizität, die belegt: das bin ich. Ich bin ich, wenn ich mich anerkenne und liebe.
Der Unterschied zu dem, was ich in den Ratgebern lese, ist, dass ich sie nicht immer selbst schaffen und schon gar nicht erschaffen kann. Gott schon.
Das hebt das althebräische Wort barah (erschaffen), hervor. Es wird in der Bibel, nur in den Sätzen, in denen Gott vorkommt, verwendet, und somit ihm allein zugeschrieben.
Genauso empfinde auch ich das: nicht der Mensch kann alles erschaffen – vieles vielleicht schon, aber eben nicht alles. Meine Kraft schöpfe ich also aus Gott, der mir durch seinen Liebesvorsprung gezeigt hat, das Liebe glücklich macht.
Ich werde nicht müde gesunde Selbstliebe zu betonen, weil sie nicht mit Egoismus zu verwechseln ist. Egoismus macht krank, wenn du dich zu sehr um dich selbst sorgst und kreist, das aber primär für andere tust, weil du glaubst, nicht gut genug, nicht schön genug, nicht stark genug zu sein.
Selbstliebe ist ganz anders, weil sie dich befähigt andere zu lieben.
Das macht sie so kostbar.
Also vergiss nicht: love yourself.
Hinweis: Dieser Artikel erschien bereits im Mai 2019.