Über einer Kirche schlagen Blitze ein.
26.01.2022
Miteinander

Missbrauch und #OutInChurch

Darum kracht es gerade in der katholischen Kirche

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von Tobias Schulte

Die katholische Kirche erlebt gerade eine Zerreißprobe. Stichwort: Missbrauchsgutachten in München. Und: #OutInChurch. Dabei geht es um unterschiedliche Sachen: Einerseits den Umgang mit Missbrauch in der katholischen Kirche. Und andererseits das Outing von 125 kirchlichen Mitarbeitenden. Beide Themen lassen sich nicht miteinander vermischen. Deshalb geben wir euch zwei Updates, was gerade los ist. In den kommenden Wochen widmen wir uns den einzelnen Themen dann intensiver.

1. Missbrauch im Erzbistum München-Freising

Am Donnerstag, 20. Januar, wurde das Missbrauchsgutachten für das Erzbistum München-Freising vorgestellt. Das Gutachten belastet unter anderem den emeritierten Papst Benedikt XVI. / Joseph Ratzinger. In seiner Zeit als Erzbischof von München-Freising soll Ratzinger in vier Fällen falsch gehandelt haben. Zum Beispiel soll er zwei Priester, die wegen Missbrauchs strafrechtlich verurteilt wurden, weiter in der Seelsorge eingesetzt haben.

Der emeritierte Papst bekundete in einer Stellungnahme „Scham und Schmerz über das Leid“. Eine Entschuldigung erfolgte jedoch nicht. Außerdem erregte Benedikt XVI. die Gemüter mit einer Falschaussage. Er teilte zunächst mit, dass er im Jahr 1980 nicht an einer Sitzung teilgenommen habe, bei der es um einen Priester ging, der mutmaßlich sexuellen Missbrauch begangen hatte. Doch vier Tage später räumte er ein, dass er doch bei jener Sitzung dabei gewesen sei. Die erste Aussage sei ein Versehen gewesen.

Blick auf München im Sommer

Das Münchener Gutachten hat Missbrauchsfälle von 1945 bis 2019 untersucht. Insgesamt geht es um 497 Betroffene und 235 mutmaßliche Täter. In 42 Fällen beweisen die Gutachter, dass noch lebende kirchliche Verantwortungsträger fehlerhaft gehandelt haben. Darunter der amtierende Erzbischof Kardinal Marx (2 Fälle von Fehlverhalten), Kardinal Wetter (21 Fehlverhalten) und der emeritierte Papst Benedikt XVI. (4 Fehlverhalten).

Wie geht es weiter mit dem Thema Missbrauch? Das Gutachten aus München ist nicht das erste seiner Art. Und wird nicht das letzte bleiben. Seit dem Jahr 2018 haben viele Bistümer in Deutschland externe Fachleute damit beauftragt, den Umgang mit Missbrauch aufzuarbeiten. Anstoß dafür war die sogenannte MHG-Studie "Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz".

Im Erzbistum Paderborn untersuchen seit August 2019 Wissenschaftlerinnen der Universität Paderborn Fälle des sexuellen Missbrauchs. Dieses und weitere Gutachten werden dazu führen, dass nach und nach das Ausmaß des Missbrauchs und das Verhalten der Verantwortungsträger vollständig beleuchtet werden.

Weitere Missbrauchsgutachten folgen

Dunkle Wolken ziehen heran.
Dunkle Wolken ziehen heran.

Es sind also weitere schlechte Nachrichten zu erwarten. Doch es gibt auch gute Entwicklungen. In der katholischen Kirche wird die Präventionsarbeit seit Jahren massiv ausgebaut. Zum Beispiel, indem jede und jeder, der in den Gemeinden und Verbänden Kinder und Jugendliche auf Freizeiten betreut oder als Ministranten ausbildet, eine Präventionsschulung absolviert. Außerdem gibt es im Erzbistum Paderborn zwei unabhängige Missbrauchsbeauftragte. Sie sind für alle Fälle sexuellen Missbrauchs ansprechbar.

Auf Ebene der Deutschen Bischofskonferenz hat sich ein Betroffenenbeirat gebildet, in dem Menschen, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind, an der Aufarbeitung mitwirken. Einige Bistümer haben ebenfalls einen Betroffenenbeirat gebildet beziehungsweise sind dabei.

  2. Gekündigt wegen queer?

In diese aufgewühlte Stimmung hinein fiel die zweite große Schlagzeile der Woche: In der ARD-Doku „Wie Gott uns schuf“ outeten sich 125 kirchliche Mitarbeitende. Sie gehören zur Bewegung #OutInChurch: Priester, Religionslehrerinnen, ehemalige Ordensleute, Pfleger, Krankenschwestern und Mitarbeitende der Caritas.

Sie sind schwul, lesbisch, trans, non-binär. Also alle queer. In der Dokumentation erzählen sie davon, wie die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität ihren Arbeitsplatz in der Kirche gekostet hat. Oder aktuell gefährdet.

Es sind berührende Beispiele von Menschen, die sich jahrelang für ihre Liebe und Identität verstecken mussten. Die sich verletzt fühlen, weil sie in der Kirche lange nicht sein durften, wer sie sind.

Eine Regenbogenfahne vor einer Kirche

Katholisch und queer

Eva Dreier ist katholisch und queer. Beides gehört für sie zutiefst zu ihrer Identität. Die 25-Jährige studiert katholische Theologie in Paderborn und ist eine der 125 Mitarbeitenden, die sich bei #OutInChurch geoutet haben. In einem Interview mit der ARD sagt sie: „Ich möchte nicht länger in verschiedenen Welten leben. Ich bin ein Mensch, führe ein Leben und möchte nicht aufgeteilt sein müssen.“

Wie sehr ihre sexuelle Orientierung den Alltag beeinflusst, wird an zwei Beispielen klar. Eva erzählt, dass sie mit Kommilitonen selten offen sprechen konnte. Sie sagt: „Ich schiffe immer drum herum, wenn es um das Thema Partnerschaften geht“.

Warum sie das gemacht hat, wird an einem anderen Beispiel klar. Ein Kommilitone habe ihr gesagt, dass queere Menschen sich nur in die Homosexualität flüchten, weil sie in Wahrheit andere Probleme hätten. Und dass Homosexualität Sünde sei. „Das hat mich total mitgenommen“, sagt Eva Dreier. Der Satz habe sie in den Grundfesten ihres Wesens angegriffen.

Homosexualität als Kündigungsgrund?

Wer die ARD-Dokumentation guckt, bei dem drängt sich eine Frage in den Vordergrund: Müssen die Menschen, die sich geoutet haben, um ihren Job fürchten? Dazu haben sich einige Verantwortungsträger bereits zu Wort gemeldet. Aus einigen Bistümern heißt es: Menschen, die offen zu ihrer Homosexualität oder sogar einer Beziehung stehen, drohen keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen.

Der Paderborner Generalvikar Alfons Hardt (ein Generalvikar ist Chef der Verwaltung eines Bistums) sagte in einem Statement, dass das kirchliche Arbeitsrecht seit 2015 die privaten Lebensweisen differenziert betrachtet. „Tatsächlich sind Kündigungen aufgrund von Loyalitätsverstößen sehr selten – es findet ausnahmslos eine differenzierte Einzelfallprüfung statt“.

Deshalb betont der Generalvikar: „Alle Menschen sind in der Kirche willkommen, ganz gleich mit welcher sexuellen Orientierung sie leben und lieben. Eine Seelsorge, deren Maßstab das Evangelium ist, darf niemanden missbrauchen und ausschließen.“ Um diesem Anspruch gerecht werden zu können, wurde im Erzbistum Paderborn Anfang dieses Jahres ein Arbeitskreis für queersensible Pastoral gegründet. Auf den Wunsch von Erzbischof Hans-Josef Becker.

Der Paderborner Generalvikar Alfons Hardt
Der Paderborner Generalvikar Alfons Hardt

Das zeigt, dass Kirche eine Entwicklung mitmacht, in der sich auch noch die Gesellschaft befindet. Laut YouGov-Studie fühlen sich sieben Prozent der Deutschen der LGBTQ+ Community zugehörig. Damit sind alle Menschen gemeint, die sich als lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, queer, non-binär oder anders bezeichnen würden. Die Mehrheit der Deutschen (61 Prozent) hat angegeben, selbst nicht Teil der Community zu sein und auch keine engen Freunde oder Familienmitglieder zu haben, die dies sind.

Ändert sich die Lehre der Kirche?

Zurück zur Kirche. Wenn man eine Ebene höher geht, stellt sich die Frage: Wird sich die Lehre der Kirche verändern? Damit das der Fall sein könnte, müssen die aktuellen Fragen wissenschaftlich diskutiert werden. Humanwissenschaftlich und theologisch. Das geschieht zum Beispiel beim Synodalen Weg der Kirche in Deutschland. Dort gibt es das Forum „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“.

Bischöfe, Wissenschaftler, Mitarbeitende der Kirche und ehrenamtlich Engagierte diskutieren dort miteinander über die wichtigen Zukunftsfragen der Kirche. Bis September dieses Jahres erarbeiten sie gemeinsam Texte, die dazu beitragen sollen, ein neues Verständnis zu schaffen. Klingt schwammig, ist es auch. Noch ist nicht klar, inwiefern die Ergebnisse des Synodalen Wegs in die Praxis der einzelnen Bistümer übergehen. Und welchen Effekt sie in Rom haben werden.

Apropos Rom. Dort wacht der Vatikan über die Glaubenslehre der katholischen Kirche. Dort ist die Stimme der deutschen Kirche, die langsam aber sicher eine Sensibilität für queere Menschen entwickelt, nur eine von vielen.

Was möchtest du verändern?

München und Missbrauch. #OutInChurch und die Diskriminierung von queeren Menschen. Beide Themen bewegen die Kirche. Deshalb haben wir mit drei jungen Menschen darüber gesprochen, wie sie die Situation der Kirche betrifft. Und was sie daran zum Positiven ändern möchten.

Anna Lena Drees
Felix Lieneke
Jan Hilkenbach

Missbrauch
Was letzte Woche herausgekommen ist, trifft mich hart. Es verunsichert mich auch in meiner Rolle als Gemeindereferentin, weil ich darin in den Augen vieler für die Kirche stehe. Gerade junge Menschen nehmen die Lage war und konfrontieren mich damit. Sie fragen: Wie kannst du für so eine verbrecherische Institution arbeiten? Ich sage ihnen dann, dass ich auch vieles kritisch sehe. Dass ich nicht für die Bischöfe arbeite, sondern für Gott. Und dass es mir total viel Freude macht.

#OutInChurch
Ich finde es sehr mutig von den 125 Menschen, sich zu outen. Es ist wichtig, dass sie auf die Missstände in Kirche aufmerksam machen. Und die Aktion macht mir persönlich auch viel Mut. Ich arbeite mit vielen jungen Menschen zusammen, die ihre Identität noch suchen. Deshalb ist die Aktion ein Aufbruch, der mich berührt und mitreißt. Kirche ist schon super vielfältig und bunt – das kann sie jetzt auch anerkennen.

Anna Lena Drees arbeitet als Gemeindereferentin in Dortmund.
Anna Lena Drees arbeitet als Gemeindereferentin in Dortmund.

Wie kann es weitergehen?
Wir dürfen nicht verstummen und sprachlos werden. Es ist gerade jetzt wichtig, in den Austausch zu kommen. Deshalb habe ich bei 60sekundenkirche auf Instagram meine Wut rausgelassen, worauf viele Leute positiv reagiert haben. Ich habe das Gefühl, dass vielen jungen Menschen die kritische Haltung innerhalb der Kirche nicht so präsent ist. Und viele haben Angst, sich zu äußern. Deshalb möchte ich die Themen auch mit jungen Menschen vor Ort diskutieren.

Anna Lena Drees, 27, arbeitet als Gemeindereferentin im Pastoralen Raum im Dortmunder Süden.

Missbrauch
Das Missbrauchsgutachten aus München hat mich sehr erschrocken. Gerade weil auch Kardinal Marx belastet wird. Ich hatte bei ihm immer den Eindruck, dass er für Veränderung steht.
Für die Betroffenen muss sich so ein Gutachten wohl wie ein Schlag ins Gesicht anfühlen. Besonders auch das Verhalten vom emeritieren Papst Benedikt, der sich in Falschaussagen verstrickt. Um Schadensbegrenzung zu betreiben, müssen die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Die belasteten Verantwortungsträger dürfen ihren Dienst nicht mehr ausüben. Da darf es keine falsche Scheu geben.

#OutInChurch
Das Thema betrifft mich, weil unser Pfarrer vor Ort sich selbst geoutet hat. Ich zolle ihm dafür meinen Respekt und unterstütze ihn. Im 21. Jahrhundert sollte das eigentlich kein Thema mehr sein, auch nicht in Kirche.

Felix Lieneke engagiert ist Messdienerleiter in Salzkotten.
Felix Lieneke engagiert ist Messdienerleiter in Salzkotten.

Wie kann es weitergehen?
Ich hoffe, dass in Deutschland durch den Synodalen Weg Bewegung in die Geschichten kommt. Und persönlich möchte ich dafür sorgen, dass sich möglichst alle im Raum der Kirche wohlfühlen. Dass niemand mit schlechtem Gewissen zum Gottesdienst kommt oder mit zur Ferienfreizeit fährt. Das mache ich, indem ich jeden Menschen aufnehmen, wie er oder sie ist. Und indem ich erst vor Kurzem eine Präventionsschulung besucht habe.

Felix Lieneke, 23, aus Salzkotten. Ehrenamtlich engagiert er sich bei den Ministranten und im Pfarrgemeinderat.

Jan Hilkenbach, BDKJ-Diözesanvorsitzender und Mitglied im Synodalen Weg.
Jan Hilkenbach, BDKJ-Diözesanvorsitzender und Mitglied im Synodalen Weg.

Missbrauch
Meine Gedanken sind bei den Betroffenen. Wir dürfen nicht vergessen, dass es immer um konkrete Betroffene geht, wenn wir über das Thema sexualisierte Gewalt reden.
Gefühlt befinden wir uns in einer Endlos-Schleife von selbst verursachten schlechten Nachrichten. Mich bewegt das sehr, weil ich mich seit vielen Jahren in der Kirche und den Jugendverbänden engagiere. Ich werde von Freund*innen hinterfragt, wie ich da nur mitmachen kann. Immer häufiger frage ich mich das auch selbst.

#OutInChurch
Unsere Kirche, die sich das Thema Nächstenliebe auf die Fahnen schreibt, darf keine Menschen diskriminieren. Wir müssen hin zu einer authentischen Kirche, die die einzelne Person mit ihren Lebenserfahrungen und ihrem Glauben in den Mittelpunkt stellt. So wie Jesus, der sich zu seinen Mitmenschen gesetzt hat. Auf Augenhöhe. Der zugehört hat und sich von dem verändern ließ, was die Menschen ihm zu sagen hatten.

Wie kann es weitergehen?
Es ist unbedingt nowendig, dass wir beim Synodalen Weg in der nächsten Woche an den Themen weiterarbeiten. Das muss mit einer sehr sehr großen Ernsthaftigkeit geschehen. Der Synodale Weg wird am Ende Texte produzieren und diese Texte müssen eine Wirkung entfalten. Dort, wo es möglich ist, müssen die Beschlüsse umgehend in diözesanes Recht umgesetzt werden, damit endlich echte Bewegung entsteht. Wo die diözesanen Kompetenzen an ihre Grenzen stoßen gilt es die Forderungen mit aller Deutlichkeit an den Vatikan heranzutragen und sie in die weltweite Synode einzubringen.

Jan Hilkenbach, 31, aus Paderborn. Er ist Vorsitzender des Diözesanverbands des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) im Erzbistum Paderborn und Mitglied im Synodalen Weg.

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