Trubeliges Leben in Nazareth
25.11.2017
Faszination

Pilgerreise nach Jerusalem

Folge 2: Nazareth

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Von Tobias Schulte

„Wer im Heiligen Land viel sehen will, der sollte die Augen schließen und das Herz öffnen.“ Dies ist einer der ersten Sätze, die Reiseleiter Cfir Horev sagt, als ich mit Pilgern aus meiner Pfarrei vom Flughafen in Tel Aviv durch Israel fahre. In fünf Teilen berichte ich thematisch sortiert von der Reise durchs Heilige Land: Von Betlehem über Nazareth zum Jordan, dem See Genezareth und schließlich Jerusalem. In diesem Sinne: Augen zu, Herz auf!

Nazareth: Das Hintertupfingen Galiläas

Jesus von Nazareth – ein arroganter Schnösel? Mit dem zweiten Teil des Reiseberichts über das Heilige Land nehme ich euch mit in die Heimatsstadt Jesu: Nazareth. Die Stadt liegt im Norden Israels, in Galiläa. Zur Zeit Jesu war Nazareth total klein und unbekannt. Dort wohnten nur Leute aus dem Stamm David, die als arrogante Schnösel galten. Die Frage: „Kennt ihr Jesus von Nazareth?“, die in den Evangelien auftaucht, vergleicht unser Reiseleiter Cfir Horev mit der Frage „Kennt ihr Jesus von Hintertupfingen?“.

Wasserspiel in Nazareth
Wasserspiel in Nazareth
Die Verkündungsbasilika - Dieser Ort erzählt Marias Geschichte
Die Verkündungsbasilika - Dieser Ort erzählt Marias Geschichte
"Hier ist das Wort zu Fleisch geworden"
"Hier ist das Wort zu Fleisch geworden"
Im unteren Teil der Basilika
Im unteren Teil der Basilika

Ich denke an viele junge Frauen, die unverhofft schwanger geworden sind und wie Maria Ja zum Leben und Nein zur Abtreibung gesagt haben.

Der obere Teil der Verkündungsbasilika
Der obere Teil der Verkündungsbasilika
Die orthodoxe Ausprägung ist überall deutlich sichtbar
Die orthodoxe Ausprägung ist überall deutlich sichtbar

Nazareth ist eine lebendige, orientalische Stadt. Heute leben in Nazareth und der Schwesterstadt Nazareth-Ilit rund 120.000 Menschen – hauptsächlich arabische Muslime und Christen. Juden leben fast keine in Nazareth, da der Ort keine Bedeutung für sie hat. An den Straßen bieten Händler Granatapfelsaft, Tücher, Kleidung und Haushaltsgeräte an. Kleine Läden für Souvenirs werden mit bunten Reklamen beworben. Stromkabel hängen offen an Hauswänden. Olivenbäume, Dattelpalmen und muslimische Minarette komplettieren das Stadtbild.

Wer nach Nazareth fährt, braucht Geduld

Wer nach Nazareth fährt, braucht Geduld. Schon Kilometer vor der Stadt beginnen Staus, die sich bis in die Straßen der Altstadt ziehen. „Europäer fahren bei Grün und halten bei Rot. Araber fahren bei Grün und bei Rot. Das führt zu Chaos“, sagt Reiseleiter Cfir Horev.

Die für uns wichtigste Pilgerstätte in Nazareth ist die katholische Verkündigungsbasilika. Die Kirche ist die flächenmäßig größte im Heiligen Land und besitzt einen Vorhof, der von bunten Marienbildern aus den unterschiedlichsten Ländern geschmückt wird.

Die Verkündigungsbasilika besteht aus drei Stockwerken: einer Grotte, der unteren sowie oberen Kirche. In der Grotte wird das Wohnhaus Marias verehrt, indem ihr nach katholischer Tradition der Erzengel Gabriel erschienen ist und verkündet hat, dass sie den Sohn Gottes vom Heiligen Geist empfangen und gebären wird. Maria antwortete dem Engel „Ich bin die Magd des Herrn“ und stimmte damit zu. Eine krasse Entscheidung, da ein uneheliches Kind zu bekommen, zur Zeit Marias eigentlich bedeutete, von der Gesellschaft verstoßen oder gesteinigt zu werden.

»Ich bewundere Maria dafür, dem Engel Ja gesagt zu haben.
Ja zum Leben.
Ja zu Gott.«

Mein Blick wandert von der Grotte hoch auf die hell erleuchtete Kuppel. Ich blicke zurück auf den weißen Altar. „Verbum caro hic factum est“ (Hier ist das Wort zu Fleisch geworden) lese ich. Ich bewundere Maria dafür, dem Engel Ja gesagt zu haben. Ja zum Leben. Ja zu Gott. Ich danke meinen Eltern, dass sie Ja zu mir gesagt und mich erzogen und unterstützt haben.

Ich denke an viele junge Frauen, die unverhofft schwanger geworden sind und wie Maria Ja zum Leben und Nein zur Abtreibung gesagt haben. Es scheint heutzutage schwer zu sein, sich spontan auf Neues in der Lebens- und Familienplanung einzulassen. Aber sind es nicht oft die spontanen Momente, die am schönsten sind? Müssen wir heute die Familie und Karriere bis ins Letzte durchplanen, sodass es manchmal zu spät für Kinder wird?

Diese Gedanken treiben mich weiter durch den ersten Stock der Verkündigungsbasilika. Der blanke Beton prägt den Innenraum, in dem ich mich wie in einem Zelt fühle. Auf der rechten Seite scheint warmes Licht durch rote und gelbe Fenster, auf der linken Seite kaltes Licht durch blaue und grüne Fenster. Ich nehme die Treppen rauf zur oberen Kirche. Der Baustil ist sehr ähnlich, der Raum wirkt durch drei-meterhohe Mosaike mit Szenen aus dem Leben Marias jedoch bunter und freundlicher.

Pilgerstätten des Heiligen Lands zu besuchen, bedeutet immer, die Orte der anderen christlichen Konfessionen zu besuchen

Verlässt man die Verkündigungsbasilika auf der zweiten Etage und überquert eine Straße, gelangt man zur Josephskirche. Die helle, hohe Kirche soll über der Fabrik gebaut worden sein, wo Joseph als Schreiner gearbeitet hat.

Pilgerstätten des Heiligen Lands zu besuchen, bedeutet aber immer, die Orte der anderen christlichen Konfessionen zu besuchen. So haben die griechisch-orthodoxen Christen auch eine Kirche der Verkündigung des Herrn gebaut – und zwar über der Quelle Nazareths, wo nach deren Glauben die Verkündigung geschah. In der Krypta der Kirche sieht man die Quelle bis heute. Dort kann man sich auch Wasser abzapfen. Wunderschöne blaue Deckenmalereien umschließen die eng wirkende Kirche. Sehenswert ist auch der detailreich gearbeitete Holzaltar.

Diese Kirche – sowie fast alle orthodoxen Gotteshäuser im Heiligen Land – wirkt fremd auf mich. Der Innenraum ist dunkler, als ich es gewohnt bin, die ganzen Lampen, Weihrauchfässer und Verzierungen wirken wie etwas zu viel.

Anbetung
Anbetung

»Die Kirche, die sich auf Jesus beruft, ist weit, breit und bunt. Deshalb müssen wir einander wertschätzen und verstehen.«

Pater Matthias
Seelsorger für die Deutschen im Heiligen Land

 Dieser Eindruck von nicht-katholischen Kirchen zieht sich durch die Pilgerfahrt. Besonders befremdlich und interessant zugleich war, als wir einen armenisch-orthodoxen Gottesdienst verfolgt haben. Die Priester in pink-weißen Gewändern singen durchgängig Gebete, die sprachlich und von der Melodie her unverständlich sind.

Pater Matthias, der für die Seelsorge der Deutschen im Heiligen Land zuständig ist, sagt uns später im Gespräch: „Im Heiligen Land gibt es 50 christliche Gemeinden, die das Abendmahl in 15 unterschiedlichen Riten feiern. Die Kirche, die sich auf Jesus beruft, ist weit, breit und bunt. Deshalb müssen wir einander wertschätzen und verstehen.“ Ich frage mich: Sind wir Katholiken besser als die anderen Christen? Was würde sich verändern, wenn ich orthodox wäre? Wenn die armenischen Gottesdienste so fremd auf mich wirken: Sind wir wirklich eine Christenheit?

Die Josefskirche
Die Josefskirche

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