Sarah Ritterbach in einem indischen Slum
22.11.2017

Faszination

„Es war, wie wenn man sich in jemanden verliebt“

Sarah Ritterbach aus Müschede lebt als Ordensschwester in Indien

Von Tobias Schulte

Direkt nach dem Abi geht’s erst mal ab ins Ausland. Wonach sich viele Schüler sehnen, hat Sarah Ritterbach aus Müschede 2012 gewagt. Anstatt in die USA oder nach Neuseeland reiste sie nach Indien. Um dort zu studieren. Um dort Nonne zu werden.

Wenn Sarah Ritterbach versucht, diesen Schritt zu erklären, fehlen ihr fast die Worte. „Das war, wie wenn man sich in jemanden verliebt. Da gibt es ja auch keine rationalen Gründe“, sagt die 24-jährige Ordensschwester schließlich und lächelt dabei durchgehend.

»Das war keine rationale Entscheidung. Wie verlieben.«

Schwester Sarah über ihren Schritt ins Ordensleben

Sarah Ritterbach kommt gebürtig aus Müschede im Sauerland und studiert derzeit im dritten Semester Musik, Englisch und Philosophie. Statt Dortmund, Paderborn oder Köln hat sie sich für Bangalore im Süden Indiens entschieden. Anstelle eines lässigen Uni-Outifts trägt sie das weiße oder das in der Regenzeit praktischere braune Ordensgewand. Statt Party zu machen und auszuschlafen steht sie jeden Morgen um halb fünf auf, um mit den anderen Ordensschwestern zu meditieren und beten. Statt der Uni-WG lebt sie im Kloster, wo sie im Schlafsaal mit sieben anderen Nonnen übernachtet.

Der Orden Apostolic Carmel, dem Sarah Ritterbach angehört, engagiert sich viel im sozialen Umfeld des Klosters und der Kirchengemeinde. Jeden Sonntag besuchen die Nonnen Familien in den Slums neben dem Kloster. „Die Menschen freuen sich einfach, wenn ich auf sie zugehe und ihnen zuhöre“, sagt Sarah Ritterbach. „Die Leute in unserer Umgebung sind sehr arm. Alle Familienmitglieder wohnen in Betonhütten, die meist zwei kleine Zimmer haben. Es hat nicht mal jeder zwei Quadratmeter für sich. Da merke ich: Obwohl ich wenig schlafe und viel Stress mit Hausarbeiten und Klausuren habe, habe ich eigentlich gar keine Probleme.“

Schwester Sarah in der indischen Kirch
Das Kloster des Ordens Apostolic Carmel

Anhand der Begegnungen in den Slums erklärt Sarah auch, wie sie Gott spürt und warum sie an ihn glaubt: „Gott ist eine Kraft, die mich jeden Tag aufstehen und denken lässt: ‚Ich mache das Beste draus!‘ Ich spüre Gott in den kleinen Begegnungen: Wenn ich total gestresst in den Slum gehe, eine Dreijährige mir zulächelt und sagt: ‚Good evening sister‘, dann denke ich: ‚That made my day!‘“

Mit den Einwohnern unterhält sich Sarah Ritterbach auf Tamilisch, Kannada und Hindi. Ich kann mich auf den regionalen Sprachen mit den Menschen über einfache Dinge unterhalten“, sagt Sarah Ritterbach. Um über Atompolitik zu diskutieren reiche es aber nicht. Im Kloster spricht sie fast ausschließlich Englisch. Im Gespräch mit YOUPAX streut sie immer wieder englische Worte ein, die sie auf die Schnelle nicht mehr übersetzen kann.

»Die Menschen freuen sich einfach, wenn ich auf sie zugehe und ihnen zuhöre.«


Im Verlauf des Gesprächs merkt sie an, dass sie manchmal nicht nur die deutsche Sprache, sondern auch andere Dinge aus ihrer Heimat vermisst. Allen voran Nudeln und Kartoffeln. „In Indien gibt es jeden Tag Reis.“ Außerdem: eine richtige Orgel. „In den Gottesdiensten hier spiele ich das Keyboard. Das klingt leider sehr radiomäßig und nicht so festlich wie eine Orgel.“ Es bleibt also die Frage: Warum Indien? Warum Ordensschwester?

In Sarahs Heimatgemeinde St. Hubertus Müschede leben Nonnen aus Indien. Sarah kommt aus einer atheistisch geprägten Familie, fand aber Freude daran, sich in der Pfarrei als Messdienerin und Organistin einzubringen. „2009 sind wir dann mit der Gemeinde zu einer Pilgerfahrt nach Indien aufgebrochen – ein ziemlicher Kulturschock. Was mich am meisten beeindruckt hat, war, wie die Schwestern dort für die Waisenkinder und die Armen da sind. Das hat mich im positiven Sinne schockiert“, erzählt Sarah.

Nach der Reise spricht Sarahs Heimatvikar sie an, ob sie nicht Nonne werden will. Sie solle mal die indischen Schwestern kontaktieren. „Und dann wusste ich schlagartig, dass ich Nonne werde. Ich hatte vorher nie darüber nachgedacht, aber ab dem Moment wusste ich es ganz genau“, sagt Sarah. Mit 15 Jahren hat sie ihren Eltern erstmals von dem Plan erzählt. „Die haben das nicht ernst genommen. Jahrelang. Bis ich dann einfach ohne große Diskussionen nach Indien gegangen bin.“

»Natürlich vermisse ich Deutschland auch. Aber am Ende des Tages habe ich ein erfülltes Gefühl.«


Ein mutiger Schritt, aber war es auch der richtige? „Am Ende des Tages habe ich ein erfülltes Gefühl“, antwortet Sarah Ritterbach. „Ich kriege zwar kein Geld, aber mir gibt es einen Sinn, als Ordensschwester für die Menschen zu arbeiten.“ Die Werte eines Ordenslebens Gehorsam, Keuschheit, Armut könne sie in Indien viel besser verwirklichen als in Deutschland.

Eine Nonne, viele Kinder
Das Keyboard kann mit einer Orgel nicht ganz mithalten

„Hier leben wir materiell noch viel ärmer als in Deutschland. Das macht mich frei, gerade, wenn ich daran denke, wie viele Stunden ich früher auf Facebook verbracht habe“, sagt Sarah. Auf Facebook aktiv ist sie immer noch, um mit Freunden und Familie in Kontakt zu sein – sie teilt sich die PCs aber mit den anderen Schwestern.

 Seit fünf Jahren lebt, arbeitet und glaubt Sarah Ritterbach nun schon in Indien. In einem Land, das von einer hinduistischen Regierung geprägt wird. Christen sind in Indien nach Hindus, Buddhisten und Muslimen klar in der Minderheit, gerade im Norden des Landes liegt der Anteil bei ein bis zwei Prozent. „Das Leben in der Minderheit kann auch von Vorteil sein. Hier ist das Gemeinschaftsgefühl unter den Christen viel stärker als in Deutschland“, sagt Sarah.

Nur mit Gott in den Geburtstag starten:

»Die Inder haben einen beeindruckenden Sinn für Religiösität.«


Was wir außerdem von den indischen Christen lernen können: „Ich finde es sehr beeindruckend, wie die Menschen in Indien zu ihrem Glauben stehen. Ich habe mich in der Schulzeit schon geschämt, wenn ich erzählt habe, dass ich Messdienerin bin.“ Beeindruckt erzählt Sarah da von einem Kommilitonen, den sie gefragt hat, ob er an seinem Geburtstag gefeiert habe: „Da hat er gesagt, dass er um Mitternacht erst mal alle Mobilgeräte abgestellt hat, um 15 Minuten lang mit Gott zu reden. Erst dann hat er seine Mutter angerufen, um sich gratulieren zu lassen“, sagt Sarah Ritterbach und fügt hinzu: „Manchmal habe ich das Gefühl, die Inder haben mehr Sinn für Religiosität als ich – obwohl ich Ordensschwester bin.“

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