Obdachlose Person auf der Straße
08.02.2020
MITEINANDER

"Wir sind für die Menschen da, immer."

Benedikt Schulz über seine Arbeit bei der Wohnungslosenhilfe der Caritas Hamm

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von Sophie Kiko

Februar. Es ist kalt, nass und dunkel. Besonders problematisch ist das für die Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben. Schicksalsschläge, Suchtprobleme oder psychische Erkrankungen sind nur drei der zahllosen Gründe, warum Menschen keinen Ort haben, an dem sie unterkommen können. Laut Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe sind in Deutschland rund 48.000 Menschen obdachlos. Sie sind es, die auch im Winter in der Kälte ausharren müssen und uns auf der Straße begegnen.


Viele Menschen sind überfordert damit, wenn sie Obdachlosen begegnen. Während einige Kleingeld geben, reagieren andere gar nicht, gehen vorbei oder wechseln sogar die Straßenseite. Diese Nichtbeachtung ist für Benedikt Schulz das schlimmste Verhalten in solchen Momenten. Der 59-Jährige arbeitet seit 32 Jahren für die Caritas in Hamm und leitet dort seit einigen Jahren die Wohnungslosenhilfe. Mit verschiedenen Angeboten versucht er tagtäglich, Wohnungs- und Obdachlose zu erreichen, zu beraten und es für andere Gefährdete durch Präventionsarbeit gar nicht erst so weit kommen zu lassen.

Benedikt Schulz

»Wir bieten unsere Hilfe immer wieder an, aber akzeptieren auch ein ‚Nein‘. «

BENEDIKT SCHULZ
Leiter der Wohnungsholsenhilfe der Caritas Hamm

Benedikt Schulz wirkt schon auf den ersten Eindruck wie ein ziemlich unkomplizierter Typ. Der Sozialarbeiter begegnet einem im schwarzen Kapuzenpulli mit einer sehr offenen und pragmatischen Art. Er spricht Dinge aus, wie sie sind. Dieser ehrliche Umgang auf Augenhöhe kommt an und ermöglicht erst den Zugang zu seiner Zielgruppe.

Seit Schulz im Jahr 2013 die Wohnungslosenhilfe übernommen hat, ist viel passiert. „Durch ein gutes Konzept und eine enge Kooperation mit der Stadt Hamm konnten wir Betroffene in verschiedene Kategorien einteilen und in eigene Wohnungen oder Einrichtungen weitervermitteln, die ihnen helfen konnten.“ So konnten von 12 von ursprünglich 13 Wohnungslosenunterkünften geschlossen werden und seither alle Betroffenen an der Dortmunder Straße untergebracht und betreut werden. 

Dabei betont Schulz immer wieder, dass Beratung, Betreuung und Vermittlung freiwillig sind, heute wie auch damals schon. Die Menschen seien alt genug und müssten selbstständig bestehende Angebote wahrnehmen. „Wir bieten unsere Hilfe immer wieder an und akzeptieren auch ein ‚Nein‘. Wenn die Nächte kälter werden oder die Menschen durch die Lebensumstände krank werden, nehmen sie die Hilfe erfahrungsgemäß häufig doch an.“

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Notunterkunft an der Dortmunder Straße
Notunterkunft an der Dortmunder Straße

»Langsam wird die Rüstung dünner.«

In seiner täglichen Arbeit mit den Wohnungslosen kommt Benedikt Schulz auch an seine Grenzen. Er lebt ganz bewusst rund eine halbe Stunde Autofahrt von Hamm entfernt, um Arbeit und Privatleben besser trennen zu können. Dass er die Schicksale nie mit nach Hause nehme, sei allerdings so auch nicht wahr, gesteht er. „Langsam wird die Rüstung dünner. Wenn man sich Jahre lang für Menschen einsetzt, erlebt man sowohl Geschichten des Erfolgs, als auch des Scheiterns.“ Einige der Menschen, die mal regelmäßig am Frühstückstisch der Notunterkunft saßen, haben schlussendlich die Kurve bekommen und besuchen ihn noch heute ab und zu. Gerade ältere Menschen, die tief in einer Sucht stecken oder unter schweren psychischen Erkrankungen leiden, verlieren eher die Hoffnung. Auch, dass bekannte Gesichter durch die Folgen ihrer Probleme sterben, käme vor und beschäftige ihn auch über die Arbeitszeit hinaus: „Ich glaube, wenn das nicht so wäre, wäre das auch nicht richtig. Leidensgeschichten sollten die Menschen in ihrem Umfeld berühren und gehörten zu sozialen Berufen dazu.“ Abschalten könne er dann am besten Zuhause bei seiner Familie. Seine Frau lernte Schulz an seinem vorherigen Arbeitsplatz, einer Hammer KiTa der Caritas kennen. Sie haben einige Jahre zusammengearbeitet und können sich so gut bei ihren Herausforderungen unterstützen.

Handeln aus dem Glauben heraus

Der Weg zu seiner heutigen Berufung führte Schulz grundsätzlich über Umwege. Nach dem er zuerst als gelernter Kfz-Mechaniker Autos reparierte und später auch aus LKW-Fahrer unterwegs war, suchte er nach „mehr“ im Leben. In einem Anerkennungsjahr arbeitete er ein Jahr in einem Internat. In diesem Jahr habe ihn besonders der Kontakt mit dem Präses und zwei Schwestern geprägt.


Nach anfänglicher Skepsis gegenüber dem geistlichen Kontext, hat er sich dem Glauben wieder annähern können und stellt rückblickend fest: „Mein Lebensweg war von der Kirche geprägt, auch wenn ich es nicht bemerkt habe.“ Vor allem seitdem er seine Frau kennengelernt hat, spiele Religion aber wieder eine wichtige Rolle: „Glaube bedeutet für mich, dass ich mich in meinem Handeln weniger auf mich und mehr auf die Gesellschaft besinne. Wenn Gott mich gemacht hat, dann kennt er auch meine Fehler. Wichtig ist: Mein Konto sollte am Ende des Lebens im Plus stehen.“ Dabei ist der Leiter der Wohnungslosenhilfe sich sicher, dass der Glaube allen Halt gibt und dies auch für Betroffene kann. „Trotz ihrer Schwierigkeiten und Schicksale, beeindruckt mich im täglichen Umgang insbesondere die Lebensfreude und der Optimismus, mit dem mir die Menschen häufig begegnen. Es kommt mir vor wie eine gottgegebene Grundzuversicht.“ Über die Frage nach dem ‚Warum?‘ macht er sich dabei keine Gedanken. „Ich glaube, wir sollten uns trotz Schicksalsschlägen über all das freuen, was dennoch da ist und die Dinge annehmen, wie sie sind. Wenn wir sie dann genau betrachten, finden wir noch immer Positives und somit auch Gott.“

Glaube trägt


Zwischen Schreibtisch, Beratung und Notunterkunft

Immer dienstags und donnerstags morgens trifft man ihn nicht am Schreibtisch in seinem Büro, sondern in einer kleinen Wohnung in einem Mehrfamilienhaus an der Dortmunder Straße – eher ein Randbezirk und nicht die schönste Gegend. Hier befindet sich die Notunterkunft der Caritas Hamm, in der Wohnungslose Unterschlupf für die Nacht finden können. 


In der Notunterkunft können bis zu 35 Personen Platz finden. Diese Kapazitäten werden allerdings selten ausgeschöpft. Die Entfernung zum Stadtkern ist mit etwa fünf Kilometern vielen zu groß. Viele der Obdachlosen verbringen ihre Zeit dort in Bahnhofsnähe oder im Winter auch in der Stadtbibliothek, wo es zum einem warm ist und zum anderen WLAN und die Möglichkeit zum Lesen gibt. Um die Distanz zur Notunterkunft zu überwinden, setzt die Caritas in den kälteren Monaten seit 2018 einen Bulli als Shuttle Service ein, der kostenlos für den Hin- und Rückweg genutzt werden kann. Angekommen an der Dortmunder Straße werden die Betroffenen in Mehrbettzimmern untergebracht, von zwei Hauswartinnen empfangen und können duschen, waschen und sich aufwärmen. Vor allem durch Alkohol und Drogen kann es jedoch auch zu Konflikten kommen. „Dann fungieren unsere Mitarbeitenden auch mal als Friedensstiftende zwischen den Beteiligten.“, kommentiert Benedikt Schulz. Er habe diese Aufgabe auch schon Aushilfsweise übernommen.


Mit dem Projekt „Cum Pane“ bietet der Verband zudem täglich ein Frühstücksangebot für Betroffene mit dem Ziel, einen besseren Zugang zu ihnen zu bekommen, sie zu begleiten und Beratungen anzubieten. Für 40 Cent tischt Schulz hier gemeinsam mit jeweils einem ehrenamtlichen Mitarbeitenden Brot, Aufschnitt, Aufstriche und unbegrenzt frischen Kaffee auf. Dass die Teilnehmenden zahlen, ist für Schulz dabei notwendig. „Was nichts kostet, wird nicht wertgeschätzt“, sagt er und findet auch das so erkaufte Recht, Ansprüche zu stellen, sei für das Projekt wichtig.

»Jeder Einzelne sollte Hallo sagen, Respekt erweisen und Berührungsängste verlieren.«

 Für die Wohnungs- und Obdachlosen hofft Schulz darauf, dass die Kommunalpolitik mehr bezahlbaren Wohnraum schafft. Auf die Frage was jeder Einzelne tun kann, wenn er in der Stadt auf Obdachlosigkeit trifft, gibt er auch eine klare Antwort: „Kein Geld geben und stattdessen Hallo sagen, Respekt erweisen und Berührungsängste verlieren. Mit Spenden unterstützt man häufig den Drogen und Alkoholkonsum der Betroffenen, aber ein nettes Wort kommt immer an.“ Das schlimmste für die Menschen auf der Straße sei es, nicht wahrgenommen oder respektlos behandelt zu werden. Denn wer seine Mitmenschen als ‚Penner‘ oder ‚Schnorrer‘ bezeichnet, dem rät Benedikt Schulz: „Lauf doch mal einen Tag in den Schuhen des anderen.“

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