Martin Gregorius an der Orgel
Martin Gregorius an der Orgel
10.08.2020
Perspektive

Organist aus Leidenschaft

Warum wird man eigentlich Organist?

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von Maike C. Kammüller

Und was macht ein Organist den ganzen Tag, wenn er nicht gerade Orgel spielt? Diese Fragen habe ich Martin Gregorius gestellt, der seit zwei Jahren Kirchenmusiker im Pastoralen Raum Gütersloh ist.

Seitdem er fünf Jahre alt war, kannte Martin Gregorius seinen Traumberuf: Organist. Heute ist er 28 Jahre alt. Er hat in Danzig, Paris, Lyon und Detmold Orgel und Kirchenmusik studiert und sogar seine Doktorarbeit zum Thema „Orgelimprovisation in der Tradition der französischen Orgelschule” geschrieben. Mittlerweile arbeitet er als leitender Kirchenmusiker im Pastoralen Raum Gütersloh.

Geboren wurde Martin Gregorius in Gdynia, Polen. Dort, im beschaulich katholischen Polen, sah er mit fünf Jahren einen Film über die Orgel im Dom zu Olivia in Danzig. Das war sein zündendes Erlebnis. In diese wunderschöne Barockorgel verliebte sich der Fünfjährige und wusste: dieses Instrument will ich mein Leben lang spielen. „Diese Orgel ist toll“, schwärmt Gregorius, „die Orgel hat bestimmte Effekte – sie kann wie die Vögel singen und klingeln wie Engelsglocken.“

Orgel im Dom zu Olivia
Orgel im Dom zu Olivia

Also meldeten ihn seine Eltern in einer Art Musik-Gymnasium an, in der er zwölf Jahre lang jede Woche unendlich viele Stunden eine musikalische Ausbildung erhielt. „Ich musste aber mit Klavierunterricht beginnen“, sagt Gregorius, „für eine Ausbildung an der Orgel haben mich meine Lehrer für zu jung gehalten. Ich habe trotzdem heimlich Orgel gespielt“, lacht Gregorius. Es sei jedoch sinnvoll mit dem Klavierüben zu beginnen. Eine sehr gute Klaviertechnik helfe beim Orgelspiel.

Orgel zu spielen sei ein bisschen wie Theater. Es passiert unglaublich viel. Es gibt viele Pfeifen und Register. Sie alle klingen verschieden, zusammen aber wie ein Orchester. „Man kann mit der Orgel spielen“, erklärt Gregorius. „Die Orgel ist nie langweilig“. Man müsse nur richtig hinhören. Gesagt getan. Martin Gregorius macht es mir vor. Da oben am Spieltisch ist Action, wenn ein Organist in die Tasten greift, Register zieht, das Schwellwerk bewegt, damit die Orgel laut oder leise klingt. Gregorius schmunzelt: „Ich wollte früher nur Johann Sebastian Bach spielen. Bach war für mich der Größte.“

»Orgel spielen ist ein bisschen wie Theater. Es passiert unglaublich viel.«

St. Pankratius-Kirche in Gütersloh. Arbeitsort von Martin Gregorius
St. Pankratius-Kirche in Gütersloh. Arbeitsort von Martin Gregorius

Dabei muss ein Organist sehr aufmerksam sein, wenn er einen Gottesdienst musikalisch begleitet, denn er muss aufpassen, was vorne im Altarraum geschieht. Ein Organist begleitet nicht nur die Gemeinde beim Singen, sondern untermalt das Geschehen des Gottesdienstes. Wenn die Gemeinde zum Abendmahl geht, dann gibt es Musik, die andächtig ist. An hohen Feiertagen ist die Musik sehr festlich, denn was macht mehr Spaß, als ordentlich in die Tasten zu hauen und das unbegreifliche göttliche Geschehen mit einem Lobpreis zu verstärken. Habt ihr in einem Festhochamt einmal genau zugehört, wie virtuos verschieden Register, also Klänge, zusammenkommen, wenn ein Organist das Können seiner Orgel vorführt?

„Für mich ist der Gottesdienst wirklich ein Augenblick, in dem ich Gott erfahren kann“, sagt Gregorius. „Die Gewänder, das Licht, der Weihrauch, die Musik, die Akustik des Raumes – all das ist wie eine Inszenierung, die mich anspricht. Das schafft eine Aura.“ Das passiere vor allem, wenn er in alten Kirchen mit einer tollen Orgel und vielen Gemälden an den Wänden spielen dürfe. „Das ist ein tolles Erlebnis“, schwärmt Gregorius. „Ich muss nicht sprechen, ich beobachte, ich spüre, was hier vor sich geht und stimme darauf mein Orgelspiel ab. In einem Konzert darf ich mich dann ganz auf die Musik konzentrieren und auf das, was ich in mir höre. Das versuche ich dann durch mein Spiel auszudrücken.“

Nicht nur Musik, aber ganz viel...

Gregorius vor der Rieger-Orgel St. Pankratius
Gregorius vor der Rieger-Orgel St. Pankratius
Konzert bei Kerzenschein
Konzert bei Kerzenschein

Mir zeigt die Begeisterung von Martin Gregorius, dass es ein tolles Gefühl ist, an der Orgel zu sitzen. Was den Beruf eines Kirchenmusikers darüber hinaus attraktiv macht, möchte ich von ihm wissen. Gregorius zählt es mir auf. Er organisiert Konzerte und macht sich Gedanken über das Repertoire für die kirchlichen Hochfeste. Er probt mit seinen Kirchenchören für Gottesdienste und Konzerte. Dazwischen muss er sich um die Pflege aller elf Orgeln im Pastoralen Raum kümmern, er gibt Orgelunterricht und spielt auf Konzerten in ganz Europa, den USA und in Japan. „In diesem Beruf ist der soziale Aspekt ganz wichtig. Manchmal wünsche ich mir, es hätte in meinem Studium das Fach Psychologie gegeben.“ Denn zwischen Interessengruppen auszugleichen, sei in den Gemeinden nicht immer einfach. Dennoch ist der Kirchenmusiker davon überzeugt, dass man in diesem Beruf einiges bewegen könne: „Ich darf mir überlegen: Wie begeistere ich Menschen für Musik?“ Gregorius ist sich sicher, dass man als Kantor und Organist Musik vorleben müsse. Wenn die Gemeindemitglieder spüren, dass man Kirchenmusiker aus Leidenschaft sei, dann stärke das ein Bedürfnis nach guter und regelmäßiger Kirchenmusik. Einen Zugang zur Kirche, so stimmt er mir zu, könne man auch durch geistliche Musik erhalten.

 Martin Gregorius versucht seinen ganz eigenen Stil an seinem Arbeitsplatz zu leben. „Es geht für mich um qualitätsvolle Musik. Das braucht Disziplin. Gleichzeitig darf ich den menschlichen Aspekt, zum Beispiel in den Chorproben, nicht vergessen.“ Das sei eine pädagogische Herausforderung. Trotzdem glaubt Gregorius an die spirituelle Kraft von Musik in Kirchen. Zu manchen Orgelkonzerten kämen Zuhörer, die sonst nie in einen Gottesdienst gingen, aber neugierig auf das Konzertprogramm seien. „Wir hatten etwa eine Orgelimprovisation zu einer Stummfilmübertragung in der Kirche. Oder wir haben eine Konzertharfe mitten in den Kirchraum gestellt, sodass jeder die Harfe ganz nah bestaunen konnte. Das hat die Menschen begeistert. Ich hoffe, dass wir so ein Angebot machen können, dass die Leute in die Kirchen bringt.“ Populäre Kirchenmusik sei nicht so ganz seine Sache, aber das Wichtigste wäre, vielfältige Musikformen in den Kirchen zuzulassen. „Es muss möglich sein Gospelkonzert anzubieten, genauso wie Gregorianische Gesänge, Taizé oder ein Orgelkonzert mit weltlicher oder geistlicher Musik.“

Orgelkonzert im Lichtermeer in der St. Pankratius-Kirche
Orgelkonzert im Lichtermeer in der St. Pankratius-Kirche

Kirchenmusik braucht Raum zum Ausprobieren

Was also braucht man für diesen Job? „Ganz einfach“, so Gregorius, „Leidenschaft. Ich kann in diesem Beruf viel ausprobieren, etwas für meine Kirche tun und mit vielen unterschiedlichen Leuten Musik machen.“ Natürlich bliebe das ein oder andere auf der Strecke, wie in jedem Beruf. Die organisatorische Arbeit für einen Musiker in einer Verantwortungsposition bringe viel Büroarbeit. Das brauche Talent fürs Organisieren und die Bereitschaft, sehr oft das Telefon in die Hand zu nehmen, um Dienstpläne zu erstellen und zwischen Institutionen zu vermitteln.

Mein Eindruck ist, Kirchenmusik soll im oft Verborgenen so einiges leisten. Also möchte ich zum Abschied noch wissen, was sich der junge Organist für die Zukunft der Kirchenmusik wünscht. Martin Gregorius´ Antwort kommt ohne Zögern: „Musik in der Kirche braucht Raum zum Ausprobieren und die Unterstützung von allen Haupt- und Ehrenamtlichen-Mitarbeitern in der Kirche. Kirchenmusik muss willkommen sein.“ Gregorius ist sich sicher, dass Qualität wertgeschätzt wird. Das bedeute auch, alte Lieder nicht rauszuschmeißen, sondern zu pflegen und die kirchenmusikalische Tradition zu stärken. Denn einen besseren Werbeträger als eine lebendige und verständige Gemeinschaft gibt es für die Sache Kirche nicht.

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