Fotoreporter ohne Grenzen
10.11.2014

Fotoreporter ohne Grenzen

Kino-Tipp

Der brasilianische Fotograf Sebastiao Salgado reist um die Welt, um Menschen und Völker hautnah abzulichten – er dringt insbesondere an Orte vor, an denen Tod und Elend herrscht. Wie viel Katastrophe verträgt ein Fotograf? Der Film „Das Salz der Erde“ erzählt von Salgados Leben.

salgadoSie wirken wie Ameisen. Tausende an Menschen wuseln in einem riesigen sandigen Graben umher. Sonnenschein prallt auf sie herab. Sie sind angestrengt, doch auch getrieben. Wer seinen Sack bereits gefüllt hat, klettert eine der vielen winzigen Leitern hinauf, dicht an dicht. Wenn einer von der Leiter fallen würde, würden alle fallen. Dieses Szenario ereignet sich in einer Grube während eines Goldrausches in Brasilien.

Damit beginnt der Dokumentar-Film „Das Salz der Erde“ über den brasilianischen Fotografen Sebastiao Salgado. Es ist nur der Anfang einer sehr eindringlichen, zweistündigen Reise ins Leben des Fotoreporters, der um die Welt reiste, um Völker und Menschen kennenzulernen und der vor keinem Elend und keiner Gefahr zurückschreckte. Ob Hungersnot oder Großbrand, ob Geschundete, Ausgemergelte, vom Leben Gezeichnete – Salgado hat in seinem Leben viele Katastrophen miterlebt und auf Bildern dokumentiert. Selten berührt ein Fotograf so tief, dass man oft Staunen oder gar Weinen muss – und das, obwohl die Bilder nur in schwarz-weiß sind.

Heute ist Salgado 70 Jahre alt. Der Regisseur Wim Wenders hat nun gemeinsam mit Salgados Sohn Juliano sein Leben in einen Film gegossen. Wenders war schon lange ein großer Bewunderer von Salgados Bildern, von denen er einige in seinem Zuhause hängen hat. Als Salgado auf Wenders zukam und fragte, ob er einen Film über ihn machen wollte, zögerte er nicht. Sein Co-Regisseur, Salgados inzwischen 30-jähriger Sohn Juliano, war damit zum ersten Mal mit seinem Vater auf einer Mission dabei.

Im Film erfährt man auch, wie Salgado zum Fotografieren kam. Sein Vater wollte, dass er Wirtschaft studierte. Also tat er das und arbeitete anschließend als Verwaltungsangestellter in London. Während Geschäftsreisen in Afrika entwickelte er seine Leidenschaft Fotografieren und kam nicht mehr davon los. Mit 29 Jahren, als er bereits mit seiner Frau Leila verheiratet war und einen kleinen Sohn hatte, entschied er sich für die Selbstständigkeit.

salgadoEr ging mit seiner jungen Familie nach Paris, versuchte sich als Sport- und Modefotograf, doch fand er darin nicht seine Erfüllung. Erst als er wieder zu Reisen begann und Menschen in verschiedenen Lebenssituationen ablichtete, wusste er, was er wirklich sein will: sozialdokumentarischer Fotoreporter.

Von da an war er fast nur noch unterwegs. Er widmete sich meist zwei bis sechs Jahre lang einem Land oder Thema, etwa der Vertreibung oder den Arbeitsbedingungen. Er blieb so lange, um ein Verständnis für die Lage zu entwickeln, um Winkel zu entdecken, die einem nicht gleich ins Auge springen. Sein erstes großes Projekt hieß „Otras America“, zu deutsch: Das andere Amerika. Er zeigte den Süden Amerikas von einer für Europa unbekannten Seite: Dürren, die vielen Landarbeiter, und eine hohe Kindersterblichkeit. „Otras America“ war Salgados erste erfolgreiche Arbeit als sozialer Fotograf. Es folgten Bildbände und Ausstellungen auf der ganzen Welt.

Im Film erzählt Sebastiao Salgado von all diesen Projekten und davon, wie einzelne Bilder entstanden sind. Er sitzt vor schwarzem Hintergrund; nur sein Gesicht ist beleuchtet. So konzentriert man sich voll und ganz auf seine Mimik. Salgado spricht leise und langsam, sehr wortgewandt. Er ist ein begnadeter Erzähler.

Immer wieder werden Fotos von Salgado mit seinem Kopf beim Erzählen übereinandergelegt, so dass Salgado quasi in seine Bilder hineinblickt, wenn er sie kommentiert. Ein spannender Kinoeffekt, den man so noch nicht gesehen hat.

Bewegtbild hingegen setzt der Film nur sehr dezent ein. Immer wieder tauchen Sequenzen auf, in denen man Wenders, Sebastiao und Juliano bei den Dreharbeiten sieht, etwa als sie Eisbären am Nordpol fotografieren. Doch der Großteil des Films fokussiert sich auf die Fotografien, mitunter begleitet von dezenter Musik von Laurent Petitgand. Das reicht allemal aus, um einen Film zu füllen - man ist keine Sekunde lang gelangweilt.

Geschockt und gerührt ist man hingegen ziemlich oft. Am Schlimmsten sind die Aufnahmen aus Äthiopien, während die Hungersnot herrschte und aus Ruanda, während des Genozids an den Tutsi. Salgado ist in Ruanda einmal 150 Kilometer lang gelaufen und hat links und rechts nur Leichen gesehen.

salgadoWenn man diese Bilder sieht, fragt man sich auch, was diese Situationen wohl mit dem Fotografen gemacht haben. Wie ist er vor Ort klargekommen? Und wie konnte er in solchen Momenten abdrücken? Ist das skrupellos? Es gehört schon eine gewisse Sensationslust dazu. Die hat Salgado sicherlich - auch wenn ihn der Anblick des Leids letztlich krank machte und er sich mit zunehmendem Alter der Natur zuwandte. Aber er hat auch das starke Bedürfnis, der Welt die Augen zu öffnen für das, was sich in armen Ländern ereignet und was fern von der Lebenswelt des Westens ist. Salgado wollte Aufmerksamkeit generieren, indem er als stiller Beobachter das abbildet, was passiert.

Dieser Aufgabe widmete Sebastiao Salgado sein Leben. Oft hatte auch seine Familie darunter zu leiden, weil er viel unterwegs war und seinen Sohn beim Heranwachsen nur selten sah. Wie er das persönlich verarbeitete, darauf gibt der Film nur am Rande eine Antwort.

Umso mehr zeigt der Film, wie sehr sich ein Mensch einer Lebensaufgabe annehmen kann und wie er darin aufblühen kann, wie Salgado mit seinen Fotografien Protest gegen Ausbeutung und Leid äußert. Wer den Film sieht, wird ihn so schnell nicht wieder vergessen.

Fotos: Sebastião SALGADO und Sara RANGEL (Porträtfoto)

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