„Die meisten Menschen ahnen nicht, was Gott aus ihnen machen könnte..."
09.03.2016

„Die meisten Menschen ahnen nicht, was Gott aus ihnen machen könnte..."

SAINTS4LIFE: Ignatius von Loyola

Von Isabella Henkenjohann

Bin ich wirklich hier? Der goldene Dom liefert sich kurz vor Sonnenuntergang einen Wettstreit mit der Sonne. Von weitem erschallen Muezzin-Rufe. Hier oben riecht es nach Rosmarin. Ich wünschte, jemand könnte mir in den Arm kneifen. „Jerusalem“, raunt mir eine Stimme zu. Ja, hier bin ich, seit einem Monat und kann es immer noch nicht glauben. „Schon sehr beeindruckend, oder?“, murmele ich vor mich hin. „Wobei der Blick auf den Tempel zur Zeit Jesu sehr viel beeindruckender gewesen sein muss.“ Ich zucke zusammen. Das war nicht meine innere Stimme.

Da saß jemand auf der Mauer. Mit einem kräftigen Schwung dreht sich der Mann in schwarz um und lächelt mich an. Er gibt mir nicht die Möglichkeit, ihn zu fragen, woher er so plötzlich kommt, sondern redet gleich weiter: „Stell dir vor: Die Füße des Erlösers haben hier gestanden! Er hat auf die heilige Stadt geblickt, kurz vor seinem Tod, und mit Tränen in den Augen gesagt: ‚Wenn doch auch du erkenntest zu dieser Zeit, was zum Frieden dient!‘ Und er würde es auch heute noch sagen im Anblick dieser Stadt, um die sich drei Religionen streiten …“

SAINTS4LIFE

Noch während er redet, betrachte ich ihn genauer. Die strengen Gesichtszüge wollen nicht so recht zu seinen funkelnden Augen passen. Sie erzählen ganz ohne Worte von den vielen Orten, die sie bereits gesehen haben, und fordern mich zu einer Antwort heraus. „Ist es nicht so, als würde er neben uns stehen und den Kopf schütteln? Manchmal habe ich das Gefühl, wenn ich durch Jerusalem laufe, dass ich ihn spüren kann“, sage ich, immer leiser werdend. Es klingt so verrückt. „Das kann ich gut verstehen. Ich könnte für immer in Jerusalem bleiben und meine Tage damit verbringen, heilige Stätten zu besuchen.“ - „Das klingt so, als könnten Sie es nicht?“, frage ich neugierig. „Nein, ich darf nicht hier bleiben. Die Kirche hat andere Pläne für mich und wahrscheinlich nicht nur die Kirche“, sagt er mit einem kleinen Schmunzeln. „Verstehe, Gottes Pläne“, ergänze ich, „finden Sie nicht, dass wir die manchmal überinterpretieren? Ein ‚himmlisches‘ Zeichen und deshalb muss ich mich so entscheiden.“ - „Oh, ich verstehe. Ich halte diesen Rat nicht unbedingt für ein Zeichen Gottes und vor allem nicht für die einzig richtige Entscheidung. Ich glaube, ich könnte sogar hier bleiben, wenn es wirklich der größeren Ehre Gottes diente und dem Dienst an den Menschen.“ Der Gedanke gefällt mir: nicht nur eine richtige, sondern viele gute Möglichkeiten. So klingt Freiheit. „Wichtig ist, wie sich die Entscheidung anfühlt: Spüre ich Freude oder höre ich eine warnende Stimme? Das ist ein guter Kompass.“ - „Und Zurückgehen fühlt sich gut an?“, frage ich ihn skeptisch. „Heute ja. Meine Mission ist noch nicht zu Ende. Und Gottes Plan für Sie?“, fragt er mich. Eine gute Frage. „Es gibt da mehrere Möglichkeiten…“

Wir beide fangen an zu lachen. Als wir uns wieder beruhigt haben, ergänze ich: „… aber warum ich für ein paar Monate in Jerusalem bin, in diesem verrückten Land, das ist mir immer noch ein Rätsel.“ Mein Weggefährte klopft mir auf die Schulter und sagt: „Irgendwann wirst Du es wissen. Ich muss mich jetzt verabschieden. Ich will noch einmal auf den Gipfel gehen, zu den Fußabdrücken Jesu …“ Er nickt mir zu. Als er sich abwendet, höre ich ihn murmeln: „Die meisten Menschen ahnen nicht, was Gott aus ihnen machen könnte, wenn sie sich ihm nur zur Verfügung stellen würden …“ Das habe ich doch schon irgendwo gehört. Ich krame mein Handy aus der Tasche. Eine neue Mail - Hochschule Sankt Georgen. Plötzlich dämmert es mir: Ein Zitat von Ignatius von Loyola. Ich drehe mich um und blicke dem kleinen Mann hinterher, der schnellen Schrittes den Ölberg hinaufsteigt: Ignatius?

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