SAINTS4LIFE: Johannes von Gott
Die Glastüren öffnen sich leise. Der Geruch von Desinfektionsmittel schlägt mir entgegen. Finde ich jedenfalls. Meine Mutter sagt immer, ich bilde mir das nur ein. Ich mag Krankenhäuser nicht besonders. Aber es ist Sonntag, ich habe keine andere Wahl. Langsam gehe ich die wenigen Schritte zur Information. Die Empfangsdame blickt erst von ihrem Bildschirm auf, als ich mich laut räuspere. „Was kann ich für Sie tun?“, fragt sie mit spröder Stimme und müden Augen. Vor lauter Aufregung bekomme ich kaum einen vernünftigen Satz zusammen. Zu allem Überfluss gesellt sich plötzlich ein Mann neben mich, nickt mir kurz zu und fällt mir in den fünften Satzanfang. „Sabine, ich bin jetzt da.“
Ich kann es nicht fassen: Ganz schön frech der Herr. Er ist schon wieder halb verschwunden, als Sabine ihm hinterher ruft: „Ach, Johannes?“ Und fügt hinzu, als er wieder am Tresen steht: „Bleib doch bitte da.“ Sie schaut von ihm endlich wieder zu mir rüber. „In Ordnung“, sagt er, bleibt stehen und schaut mich auffordernd an. „Mh ja“, sage ich in die Stille. „Ich bräuchte einen Arzt“, mehr fällt mir als Resümee meiner Erklärungen nicht ein. Sabine nickt: „Nehmen Sie doch einen Moment im Wartebereich Platz. Johannes wird sich um Sie kümmern.“
Ich trotte zu Holzbänken und lasse mich auf einen Platz in der Mitte fallen. Nur ein paar Sekunden später setzt sich auch Johannes neben mich. „Es wird wohl noch eine Weile dauern“, sagt er mitleidig. Ich lächle nur müde. Ich habe keine Kraft, zu reden. Also schweigen wir einfach. Bis meine Neugier dann doch die angenehme Stille bricht: „Warum machen Sie das eigentlich?“, frage ich ihn. „Fühlen Sie sich wohl hier?“, fragt er mich zurück. Ich muss schmunzeln. „Dass ich Krankenhäuser nicht besonders mag, hat man wohl gemerkt, nicht wahr?“ Johannes lacht: „Ihre Körperhaltung am Tresen hat Bände gesprochen. Aber machen Sie sich nichts draus, mir geht es ja genauso. Ich mag Krankenhäuser auch nicht. Es riecht überall nach Desinfektionsmittel und irgendwie sind die Wände ebenso steril wie der polierte Boden. Auch wenn sie schon lange nicht mehr weiß sind.“
Mein Blick schweift über die gelben Wände und die bunten Fenster. Es war mir vorher gar nicht aufgefallen. „Wir sind die Einzigen, die hier ein bisschen Farbe reinbringen, aber lassen Sie das die Pfleger und Ärzte nicht hören. Das klingt so eingebildet“, sagt Johannes mit strahlenden Augen. „Ich dachte ja immer, es gibt nur Grüne Damen in den Krankenhäusern“, sage ich schmunzelnd. Kokett erwidert er: „Na, Grüne Herren gibt es hier auch. Wenn auch nicht so viele.“ Von weitem höre ich meinen Nachnamen. „Sie sind dran“, sagt Johannes und weist mir den Weg zum Behandlungszimmer. „Ich warte hier“, versichert er mir.
„Ich muss bleiben“, erzähle ich Johannes nach dem Arztgespräch. Mein Hals ist trocken. Der Satz ging nur schwer über meine Lippen. Ich bekomme ein Bett in einem Dreierzimmer. Meine Nachbarinnen sind ausgeflogen. Es klopft an der Tür und Johannes steckt seinen Kopf durch den schmalen Spalt: „Darf ich?“ - „Klar“, sage ich etwas zu überschwänglich und muss über mich selbst schmunzeln. „Ich habe ein bisschen Schokolade eingeschmuggelt“, sagt er, als wäre es tatsächlich etwas Verbotenes. Während wir ein Stück nach dem anderen essen, erzählt er mir, dass er Buchhändler ist und mit 30 entschieden hat, auch mal „was Sinnvolles“ zu tun. Kurz darauf lag er selbst im Krankenhaus.
„Damals hat mich eine Grüne Schwester wieder aufgepäppelt mit ihren klugen Sprüchen. Da wusste ich, das will ich auch mal machen“, ergänzt er. Wir reden stundenlang, bis eine Schwester reinkommt und sagt: „Johannes, du bist ja immer noch da.“ Sie schaut vorwurfsvoll auf die Uhr. Als sie die Tür schließt, sagt er lachend: „Spielverderberin. Aber ich sollte jetzt wirklich gehen. Halt die Ohren steif. Und vergiss nicht: Es sind wirklich bunte Wände. Bis morgen Abend.“ Dann verschwindet er so schnell, wie er gekommen ist.
Am nächsten Morgen liegt ein Buch neben meinem Bett: „Ein Heiliger aus schlechtem Holz - Johannes von Gott“. Auf der ersten Seite steht in fast unleserlicher Männerhandschrift: „Was ein Namenspatron… In diesem Sinne: Gute Besserung!“
Von der ersten Seite an fesselt mich die Biographie dieses Heiligen. Ich sehe Johannes vor mir, wie er mit Begeisterung durch die Straßen rennt und von Barmherzigkeit predigt, bis man ihn wegen Geisteskrankheit in die Klinik bringt. Als er wieder entlassen wird, opfert er sich für die Kranken auf, baut Krankenhäuser - „das Herz befehle“. Ich bin schon bei der letzten Seite angelangt, als eine Krankenschwester hereinkommt. „Sie haben das Buch gefunden? Gut. Johannes hat es Ihnen da gelassen.“ Sie schüttelt lächelnd den Kopf. „Er und seine Bücher. - Ich habe übrigens eine gute Nachricht für Sie: Der Arzt hat sich eben Ihre Werte angesehen: Sie können heute Nachmittag schon entlassen werden!“ Johannes treffe ich nicht mehr… Für mich ist er ein Geschenk Gottes.