Schwänzen Schule für das Klima: Chris Hoffmann (links) und Marcel Marcon.
Schwänzen Schule für das Klima: Chris Hoffmann (links) und Marcel Marcon.
19.02.2019
Perspektive

Schule schwänzen für das Klima

Bei Fridays for Future demonstrieren Schüler während des Unterrichts für eine bessere Umweltpolitik.

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von Tobias Schulte

Dass alle dasselbe Ziel haben, kann momentan leicht vergessen werden. Jugendliche demonstrieren aktuell während der Schulzeit für eine bessere Klimapolitik. Das Motto: Fridays for Future. Schüler, Studenten und Azubis gehen einen Tag in der Woche auf die Straße und streiken für das Klima. Die Landesregierung reagiert: Zur Not geleite die Polizei die Jugendlichen in die Klassenräume. Ein Teil der Erwachsenen klatscht den Schülern Beifall während der Demos. Ein anderer Teil beleidigt sie in sozialen Netzwerken. Hat unsere Erde das verdient?

Chris Hoffmann (19) und Marcel Marcon (19) sind Teil der weltweiten Bewegung Fridays for Future. In ihrer Heimat Meschede sind sie an zwei Freitagen im Februar mit 160 Jugendlichen vor das Rathaus gezogen. Mit Megaphon und Plakaten aus Pappe. Sie demonstrieren gegen die Klimapolitik der Landes- und Bundesregierung. Konkret: Dass Deutschland seine Klimaziele bis 2030 einhält und ab dann ganz auf Kohlestrom verzichtet. Bisher ist der Kohleausstieg bis 2038 angesetzt.

Sie fühlen sich dazu verpflichtet, sich für die Bewahrung der Welt – Gottes Schöpfung – einzusetzen. „Es ist ja nicht unser Planet“, sagt Chris Hoffmann. „Wir leben nur darauf. Wir wollen, dass unsere Kinder und deren Nachfahren diese Erde auch noch genießen können.“

Die beiden kennen die Nachricht, dass wir Menschen im Jahr 2018 alle Ressourcen, die die Erde in einem Jahr wiederherstellen kann, im August verbraucht hatten. So früh wie in keinem Jahr zuvor. Sie beobachten, dass Schnee in Meschede zur Seltenheit geworden ist.

Wir treffen die beiden vor dem Mescheder Rathaus. Es ist Freitagnachmittag. Heute haben sie nicht demonstriert. Die Schüler in der neunten und elften Klasse bewerben sich mit den kommenden Zeugnissen auf Ausbildungsplätze. „Da müssen wir darauf achten, dass sie nicht zu viele Fehlstunden haben“, sagt Chris Hoffmann.

Chris Hoffmann (links) und Marcel Marcon.
Chris Hoffmann (links) und Marcel Marcon.

Wir leben, als hätten wir 1,7 Erden zur Verfügung
Wälder absorbieren Kohlendioxid, Tierbestände und Pflanzen wachsen nach - die Erde erholt sich von den Einflüssen des Menschen. Doch nicht, wenn wir sie so stark belasten, wenn wir es tun. 2018 verbrauchten wir so viele Ressourcen, als hätten wir 1,7 Erden zur Verfügung. Das hat die Organisation Global Footprint Network berechnet.

In den Radionachrichten haben die beiden gehört, dass die Landesregierung an Lehrer und Eltern appelliert, die Schüler davon zu überzeugen, nicht während der Unterrichtszeit zu demonstrieren. „Ich finde es ein bisschen scheinheilig“, sagt Marcel Marcon. Die CDU habe im Wahlkampf für die Landtagswahl 2017 kritisiert, dass so viele Unterrichtsstunden ausfallen. „Das hat sich nicht gebessert. Und jetzt tut die Landesregierung so, als wäre es ein großes Problem, wenn wöchentlich zwei Stunden ausfallen wegen einer Demonstration.“ Bei der ersten Demonstration haben die Schüler ab 11 Uhr, also nach der vierten Unterrichtsstunde demonstriert.

Das ausschlaggebende Argument ist jedoch: Demonstrieren die Schüler nicht während der Schulzeit, bekommen sie weniger Aufmerksamkeit. Dann können sie weniger Druck auf die Politik ausüben – worum es beim Demonstrieren geht. „Es mag sein, dass es glaubwürdiger wäre, in der Schulzeit zu demonstrieren“, gibt Marcel Marcon zu. „Wenn die Landesregierung aber so wie jetzt reagiert, zeigt es, dass sie sich unter Druck gesetzt fühlt.“

Chris Hoffmann und Marcel Marcon mit den Plakaten, mit denen sie die Bundes- und Landesregierung aufrütteln wollen.
Chris Hoffmann und Marcel Marcon mit den Plakaten, mit denen sie die Bundes- und Landesregierung aufrütteln wollen.

Deutschland hinkt beim Umweltschutz hinterher
Wir Deutschen sehen unser Land gern als Vorreiter in Sachen Klimaschutz. Tatsächlich setzen sich andere Ländern viel mehr für unsere Erde ein als wir.
Im Klimaschutz-Index 2019, der 14 Indikatoren miteinander verbindet, liegt Deutschland auf Platz 27. Hinter Mexiko, Ägypten und der Ukraine. Ein Grund dafür ist, dass Deutschland mehr Braunkohle als viele Länder verbraucht.
Im Jahr 2016 hat Deutschland den sechstgrößten Anteil aller Länder an CO2 in die Luft gepustet. Negativer Spitzenreiter ist China mit fast 30 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Berechnet man die Anzahl der Einwohner des Landes mit ein, stößt Deutschland pro Kopf die elftgrößte Masse an CO2 in die Luft.

Wir Menschen können es uns nicht leisten, auf Dauer so weiterzuleben und zu produzieren wie jetzt – das ist seit Jahrzehnten klar. Staats- und Regierungschefs haben sich 1992 in Rio de Janeiro darauf geeinigt, so wenig Treibhausgas auszustoßen, sodass das Klimasystem nicht gestört wird. 2015 haben sie sich mit dem Pariser Klimaabkommen zu Klimazielen verpflichtet, die alle fünf Jahre strenger werden. Seit mehr als einem Jahr ist klar: Deutschland wird seine Klimaziele für 2020 verfehlen.

»Erinnern wir uns, dass nach dem biblischen Schöpfungsbericht Gott den Menschen in den gerade erschaffenen Garten setzte, nicht nur um das Vorhandene zu bewahren (hüten), sondern um es so zu bearbeiten, dass es Frucht bringe (bebauen).«

Papst Franziskus
in dem Schreiben Laudato si.

Darum ist öffentlicher Druck der Bevölkerung umso wichtiger – das sagt auch Papst Franziskus in dem Schreiben Laudato si (2015). Schülern wie Chris Hoffmann und Marcel Marcon würde er heute sicher den Daumen nach oben zeigen. Auch, wenn viele Schüler nicht aus ihrem Glauben heraus demonstrieren gehen – Papst Franziskus motiviert alle Christen dazu. Wenn wir erkennen, dass die Welt ein Geschenk Gottes ist, dann könnten wir uns überzeugt für sie einsetzen. Im Buch Genesis verleihe Gott den Menschen den Auftrag, das Vorhandene zu bewahren und es so zu gestalten, dass es Frucht bringe.

Papst Franziskus sorgt sich um unseren Planeten. In Laudato si nennt der Papst die Erde „das gemeinsame Haus“. Er beschreibt, wie wir dieses Haus behandeln, verurteilt das und fordert eine ökologische Umkehr. Ein Satz, der beim Lesen der Enzyklika im Gedächtnis bleibt: „Alles ist miteinander verbunden“. Franziskus schreibt ihn mehrfach.

Der Papst beschreibt, wie Umweltverschmutzung, Armut, weltweite soziale Ungerechtigkeit und der Verlust biologischer Vielfalt zusammenhängen. Das macht die Problemlösung nicht leichter, sondern schwerer. In Laudato si fordert er: „Es geht schlicht darum, den Fortschritt neu zu definieren. Eine technologische wirtschaftliche Entwicklung, die nicht eine bessere Welt und eine im Ganzen höhere Lebensqualität hinterlässt, kann nicht als Fortschritt betrachtet werden.“ Die Industrienationen müssten ihre Gangart verlangsamen. Damit andere Länder einen gesunden Aufschwung erleben können, müssten sie akzeptieren, dass ihre Wirtschaft langsamer wachse.

Bei dieser Forderung fällt einer der ersten Gedanken auf die deutsche Automobilindustrie, die immer weiter umweltschädliche SUVs produziert. Dass die Bundesregierung die Branche eher schützt, als zur Umkehr auffordert, kritisieren die Schülerinnen und Schüler während der Fridays for Future. Bei einer Demonstration in Düsseldorf haben sie der Landesregierung ein Zeugnis ausgestellt. Energiewende: Mangelhaft. Luftreinhaltung: mangelhaft. Förderung der Autoindustrie: Sehr gut.

Dazu bekommen sie Gegenwind aus der Politik. Auf Twitter reagiert CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak auf die Forderungen von Fridays for Future: „kein Wort von Arbeitsplätzen, Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit.“ Wer weniger Emissionen ausstoßen will, darf weniger produzieren. Arbeitsplätze fallen weg. Marcel Marcon macht sich keine Sorgen um Arbeitsplätze. Die Betriebe in Deutschland suchten gerade händeringend nach Arbeitskräften. Das zeigt die Studie der Bertelsmann Stiftung, die Anfang Februar erschienen ist. Die Schlagzeile dazu: Deutschland benötigt jährlich 260.000 Fachkräfte aus dem Ausland.

„Jede Generation hat ihr politisches Problem“, sagt Marcel Marcon. „Der Klimawandel ist das politische Problem unserer Generation.“ Mit Fridays for Future können sie sich auch deshalb identifizieren, weil sie gemeinsam mit Schülern aus Deutschland, Europa und der Welt auf die Straße gehen. Sie haben ein gemeinsames Ziel und eine gemeinsame Vorreiterin: die Schwedin Greta Thunberg (16).

Die schwedische Schülerin hat im August 2018 damit angefangen, freitags die Schule zu schwänzen und vor dem Reichstag in Stockholm für den Klimaschutz zu protestieren. Sie nennt das „Skolstrejk för Klimatet“ – Schulstreik für das Klima. Chris und Marcel erzählen von ihr wie von einem Idol. Sie berichten, dass Greta auch wüsste, dass sie in Meschede protestieren. Schließlich hat die 16-Jährige ein Foto der Demo in Meschede auf Instagram gepostet. Mit Fridays for Future fühlen sie sich als Teil eines großen Ganzen und können sich vernetzen. Laut Fridays for Future sind in Deutschland vom 11. bis 15. 26.000 Menschen in 35 Städten auf die Straßen gegangen. Marcel Marcon ist Mitglied in WhatsApp-Gruppen der Bewegung für Meschede, den Hochsauerlandkreis und NRW.

In der Instagram-Story erwähnt Greta Thunberg die Demo in Meschede.
In der Instagram-Story erwähnt Greta Thunberg die Demo in Meschede.

Gerade planen die Schüler eine kreisweite Demonstration am 15. März. An dem Tag soll es eine weltweite Aktion geben. Vielleicht der Höhepunkt, den sie an Öffentlichkeit und damit Druck auf die Politik erreichen. Denn wie in den Nachrichten üblich wird die Aufmerksamkeit rund um Fridays for Future abebben. Während andere Themen in die Öffentlichkeit rücken, bleiben die Anliegen der Bewegung wichtig. Die Folgen des Klimawandels werden immer spürbarer. Nicht nur die Schüler sind gefordert, mit vielen kleinen Schritten unser gemeinsames Haus zu schützen.

Tipps für ein umweltbewusstes Leben
In Laudato si gibt Papst Franziskus praktische Tipps, um die Umwelt zu schützen:
- auf Plastik und Papier verzichten
- weniger Wasser verbrauchen
- die anderen Lebewesen sorgsam behandeln
- Abfälle sorgfältig trennen
- öffentliche Verkehrsmittel benutzen
- unnötige Lampen ausschalten
- nur so viel kaufen und kochen, wie man vernünftigerweise essen kann

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